Die Unzufriedenheit, die Suga über das Erscheinen der Mädchen empfand, bemerkte Luca in seiner guten Laune nicht. Vielleicht hätte es ihm auffallen sollen; gerade ihm hätte es auffallen sollen. Aber er dachte nicht daran, dass.. so etwas im Raum stand, dass es so etwas wie Eifersucht zwischen seinem Kumpel und ihm geben könnte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung davon, dass ihm seine ambivalente Persönlichkeit einen gewaltigen Schritt abwärts verpassen würde; dass er die Warnsignale nicht sah, dass er nicht auf die Idee kam, über gewisse Dinge nachzudenken. Luca war nicht gut im Nachdenken, er hasste es, nachzudenken. Er lebte für den Moment, und er machte sich keine Gedanken um Dinge, die nicht aussgesprochen wurden. Sonst würde es diese Möglichkeit nicht geben; es auszusprechen.
Doch was ihm tatsächlich auffiel, war der Umstand, dass Suga die drei Shots ohne zu warten runterhaute, und aus dem Zimmer verschwand. Verdattert blickte er dem Jüngeren hinterher, grade mal den Zweiten in der Hand, bevor er sich diesen, den nächsten, und noch ordentliche Schlücke aus der Flasche in zwei parallelen Bewegungen gab, um sich idiotisch auf die Beine zu hieven. Der Hochprozentige schlug in Rekordzeit ein, dass er kurz unter dem Schwindel den Kopf zur Seite legte. Ah fuck. "Ich- geh mal nach ihm gucken, wartet nicht auf mich. Und wehe ihr spielt- in der Zwischenzeit.. Strippoker, dann könnt ihr euch auf eine saftige Rache gefasst machen!", drohte er noch, grinste belämmert in die Runde, ehe er aus dem Sitzkreis heraustrat und sich auf den Gang zubewegte. Sein erstes Ziel waren die Toiletten, doch dort hielt sich Suga nicht auf. Wie doof suchte er das Treppenhaus nach dem Jüngeren ab, bevor er mal auf die Idee kam, nach draußen zu gehen. Zu seinem Glück hatte er seine Bomberjacke nicht abgenommen; frösteln tat er trotzdem bei den Temperaturen. Sein Blick glitt angestrengt durch die Dunkelheit, bevor er den Weißhaarigen wenige Meter von der Tür entfernt ausmachen konnte.
"Hheyy.. ists nich n bisschen Kalt, um frische Luft zu schnappen?", fragte er schief grinsend - bis ihm seine Gesichtszüge, trotz gutem Alkohointus, ein wenig entglitten. Er spürte, dass was nicht stimmte - gewaltig nicht stimmte. Allein an der Art, wie Suga in der Hocke saß; die Glasscherben der Flasche hatte Luca noch nicht gesehen. "Alles.. alles okay?" Er setzte einen Schritt nach vorne, dann zwei, und selbst wenn sein Gleichgewicht etwas darunter litt, stellte er sich zu ihm und ging ebenfalls in die Hocke. "Ist dir schlecht? Musst du dich übergeben?", ließ er besorgt verlauten, konnte sich absolut keinen Reim drauf bilden, warum es dem Jüngeren sonst.. nicht gut gehen würde.
"Ich bin zwar betrunken, und- ich kann nicht aufhören Scheiße zu labern, aber- ich bin immer da, wenn du mich brauchst. Okay?" Aus seinem Lächeln verschwand das idiotisch betrunkene, und machte Platz für das sanftmütige. Er wollte nicht, dass Suga traurig war.. und wenn er irgendetwas tun könnte, um ihm zu helfen, egl was, dann würde er es tun. Immer.
Schlagartig fiel ihm auf, dass er keine richtige Jacke anhatte, zog sich die Seine ohne zu zögern aus und legte sie stattdessen um Sugas Schultern. "Lass uns 'ne Runde um den Block laufen. Ich- wäre für mich glaub ich auch am besten, damit der Scheiß mal in meinem Blut zirkuliert", stellte er schief grinsend fest und erhob sich aus der Hocke. Im Gegensatz zu Suga trug er noch einen dicken Wollkragenpulli; außerdem hatte er warmes Blut, und ein bisschen Kälte schadete ihm nie. Sein Immunsystem war wahnsinnig stark.

Suga hatte seine Arme auf den Knien verschränkt und seinen Kopf darauf gestützt, beobachtete wie sein Atem, der langsam wieder runterfuhr, sich in weißen Wolken vor ihm verflüchtigte. Es war bitterkalt und der Schnee brannte auf seiner nackten Haut, doch es war ihm egal. Keine zehn Pferde hätten ihn in diesem Moment wieder nach drinnen verfrachten können.
Ein paar Meter neben ihm ging die Tür auf und Suga wandte den Blick ab, betete, dass ihm nicht einer von den Jungs gefolgt war. Doch es war nicht nur einer von den Jungs. Es war Luca. Und das war noch eintausend Mal schlimmer.
Suga antwortete nicht auf seine witzelnde Bemerkung und auch nicht auf seine darauffolgende besorgte Frage, auch wenn es so unglaublich wehtat. Oder gerade weil es so wehtat.
Er hielt den Kopf beiseite gedreht, sah den Blonden nicht mal an, doch als dieser ihm versicherte, dass er immer für ihn da war, wenn er Reden wollte, als diese sanfte, fürsorgliche Note sich in seine Stimme legte, krampften sich seine Finger etwas zusammen.
Langsam, gefährlich langsam wandte er sich zu ihm um und sein Blick war seltsam blank, irgendwie hohl und leer. Es tat weh, es tat so scheiße weh und als Luca ihm dann noch seine Jacke um die Schultern legte, war es um ihn geschehen.
Binnen Sekunden war Suga auf den Beinen, die Jacke fiel ungeachtet in den Schnee und er packte den Älteren am Kragen, rammte ihn rücklings gegen die Hauswand, an der er eben noch seine Bierflasche zertrümmert hatte.
Luca roch nach Alkohol und nach diesem fremden Mädchen und Suga biss die Zähne zusammen, ein leises, total fehlplatziertes Lachen entkam seinen Lippen, während er Luca in die Augen sah.
"Du...du bist für alle da, wenn sie wen brauchen, Luca. Du kannst es einfach nicht sein lassen und...ich ertrag es nicht mehr."
In Sugas Adern rauschte der Zorn und am liebsten hätte er dem Blonden gerade alles an den Kopf geworfen, alles, was er seit Monaten mit sich herumschleppte, ein Päckchen, das immer schwerer und schwerer wurde.
"Du bist so naiv und gutgläubig und so bescheuert manchmal und du denkst einfach nicht nach. Du denkst nie nach, bevor du irgendwas tust oder sagst. Ich ertrag es nicht mehr, Luca." Ich ertrag dich nicht mehr.
Suga wollte nicht verachtend klingen, doch das war genau das, was er gerade tat, denn es kotzte ihn so sehr an, es machte ihn so fertig, dabei zuzusehen, wie sie ihm alle verfielen, reihenweise und Luca musste nur den kleinen Finger krümmen und er war sich dessen, was er mit seinen Mitmenschen anstellte, überhaupt nicht bewusst.
Was er mit Suga anstellte.
Er ließ ihn los, ließ ihn an der Mauer stehen und wandte sich ab, schob seine zitternden Finger in die Taschen seiner Jacke und ging einfach weg und es tat mehr weh, als alles andere, es tat mehr weh als Luca bei seinen Flirtereien zuzusehen, es tat mehr weh als alles, was Suga je gefühlt hatte.
Es war wie bei ihrem Tanz, Suga war der, der vor ihm flüchtete, wegrannte, um selbst nicht unter diesem Menschen zu zerbrechen, um sich selbst zu schützen, Suga war egoistisch und selbstzentriert und er wollte sein eigenes Herz retten.
Und diesmal wollte er auch nicht, dass Luca ihn zurückzog, ihn in diese schmerzvolle Umarmung schloss.
Nein, diesmal wollte er, dass er ihn gehen ließ.

Die Wucht, mit welcher Suga ihn gegen die Hauswand drückte, kam so plötzlich, dass Luca die Augen aufriss. Das hatte er nicht kommen sehen; nicht einmal ansatzweise. Sein alkoholisierter Verstand war nicht fähig dazu, Sugas Handlung, Mimik, Gestik zu deuten - und seine Worte sickerten zu ihm durch, als hätte er ein Verbrechen begangen. Mit jedem Wort weitete sich seine Pupille, irritiert zog Luca die Augenbrauen leicht zusammen, begriff partout nicht, worum es hier eigentlich ging.
Ich ertrag es nicht mehr. Was.. was ertrug er nicht? Dass er.. so war? Stand es so sehr im Kontrast zu ihm, dass Suga nichts mehr mit ihm zutun haben wollte? Unkontrollierbare.. Panik zuckte durch seinen Körper wie ein Stromschlag, die Klangfarbe seines Gegenübers war so unheimlich verachtend. Seine Stimme klirrte kälter, eisiger, als die gefühlte Minustemperatur.
Und da stand er nun. Suga hatte ihn losgelassen, sprachlos starrte er ein Loch in die Luft - in genau die Stelle, an welcher der Jüngere ihn bis gerade eben noch erschütternd gegen die Wand gedonnert hatte. Luca.. begriff es nicht. Was hatte er getan? Wieso.. fühlte es sich so an, als würde Suga ihn für etwas hassen, was er an sich nicht ändern konnte? Waren sie zu verschieden, und.. ging das Suga gegen den Strich?
"Aber-", ihm blieb ein riesen Kloß im Hals stecken, er stockte; vielmehr hatte er das Gefühl, als würde sich ihm gleich der Magen umdrehen. Nicht wegen dem Alkohol.. eventuell trug er was dazu bei, doch hatte ihn diese Reaktion auf ein Stresslevel befördert, mit welchem seine Psyche auf einmal nicht mehr umgehen konnte. Es erdrückte ihn, ließ ihm kalt und warm gleichzeitig werden, seine Gedanken kreisten wie die Zahlen auf einem Glücksrad, das sich bis schier ins Unendliche drehte. Er wurde kreidebleich im Gesicht. Ein Park kotzt nicht, ein Park kotzt nicht, ein Park-
Instinktiv schlug er sich die Hand vor den Mund, stolperte durch die Tür, erreichte gerade noch so die Toiletten und fiel mit dem Kopf voraus über die nächste Schüssel. Luca hatte sich noch nie wegen übermäßigem Alkohol übergeben, doch diese Grenze schien mit einem Mal ausradiert worden zu sein. Und das, weil ihn die Reaktion von Suga.. gestresst hatte. Ihm zu nahe gegangen war. Besonders auf den Magen.
Schwer atmend lehnte er seine Stirn gegen den Brillenrand, sah aus wie ein Häufchen Elend, dass sich von seinem Absturz mehr schlecht als Recht erholte. Oder gar nicht. Kaum, dass er niedergeschlagen die Augen geschlossen hatte, kam ihm alles wieder hoch - die Worte, diese Verabscheuung, der Tanz, der Alkohol, die Liste war lang. Sein Körper krümmte sich unter dem Beben, Schweißttropfen bildeten sich an seinen Schläfen.
Hätte er gewusst, wie nahe ihm Streit mit Suga gehen könnte..

Minho hatte schon ordentlich einen sitzen als zunächst Suga und dann Luca ihre kleine heimelige Party verließen, doch er machte sich da in dem Moment nicht wirklich einen Kopf drum, die Tatsache, dass Kim Platz auf seinem Schoß genommen hatte, vereinnahmte ihn dann doch zu sehr. Minho war kein wirklicher Player, aber er mochte die Girls vielleicht ein wenig mehr als er es offen zugeben würde. Gerade hatte er sich von der Brünetten weichklopfen lassen, den nächsten Kasten Bier aus der Küche zu holen und sich aus dem Sessel erhoben, drückte Kim dabei einen leichten Kuss in den Nacken und raunte irgendwas von "Nicht wegrennen", bevor er in den Flur trat, just in dem Moment, in dem die Tür aufgerissen wurde und niemand anderes als Luca hineinstolperte.
Minho ließ den leeren Kasten in seinen Händen fast fallen als er dabei zusah, wie der Blonde ins Bad stürzte, sich über die Toilette hängte und aus vollem Hals erbrach.
Einen Moment stand er wie angewurzelt da, warf dann einen absichernden Blick zurück ins Wohnzimmer, bevor er sich hinter Luca ins Bad schob und die Tür abschloss.
"Ach du Scheiße...", murmelte er und ging neben seinem Besten in die Hocke, griff nach der Hand, die sich nicht gerade als würde sein Leben davon abhängen, an den Klodeckel klammerte und strich ihm mit der anderen über den Rücken. Er kannte Luca nun wirklich schon ziemlich lange und sie hatten schon einige wilde Partys gefeiert, doch noch nie hatte er ihn kotzen gesehen.
Ein Park kotzt nicht, oder?
Doch gerade das implizierte dem Schwarzhaarigen, dass etwas passiert war. Und obwohl er selbst schon ordentlich gebechert hatte, wurde ihm binnen Sekunden klar, dass es irgendwas mit Suga zu tun hatte. Luca war ihm nachgegangen...und kam kotzend wieder zurück?
Ein ungutes Gefühl beschlich den Leader und er beugte sich ein wenig mehr nach vorne, wartete geduldig ab, bis Luca aufhörte zu würgen und das Beben in seinen Schultern nachließ.
Schnell erhob er sich, kippte die Ansammlung an Zahnbürsten aus einem der Gläser am Waschbecken und füllte es auf.
"Hey...", fing er leise an und kniete sich neben Luca auf den gekachelten Boden, hielt ihm auffordernd das Glas Wasser hin, damit er diesen super ekligen Geschmack aus seinem Mund spülen konnte. Minho hatte schon öfter über der Schüssel gehangen, er wusste wie so was war.
Aber bei dem Anblick, den Luca gerade bot, war er sich dann doch nicht so sicher...ob seine Kotzanfälle, die immer nur dem übermäßigen Alkohol zuzuschreiben waren, nicht doch komplett anders waren.
"Los, komm her, ist alles gut." Er beugte sich vor, zog Luca einfach in seine Arme und hielt ihn fest. Luca war schon so oft in seinem Leben für ihn da gewesen und Minho versuchte immer sein Bestes, es ihm zurückzuzahlen. Das war jetzt wohl einer dieser Momente, in denen Luca mal ausnahmsweise ihn brauchte. Und nicht umgekehrt.
Minho hielt ihn einfach fest, fuhr leicht durch seine blonden Haare und über seinen Rücken, versicherte ihm damit, dass er nicht alleine war.
Und Luca musste ihm auch nicht erzählen, was passiert war.

Es war erschreckend, wie schlimm es ihm ging und Minho zog sorgenvoll die Augenbrauen zusammen, traute sich gar nicht so richtig, mit ihm zu reden oder ihn mehr als nur leicht zu berühren. Also blieb er einfach in diesem geringen Abstand bei ihm sitzen, wartete einfach ab, bis Luca seinen Mageninhalt ins Klo entleert hatte und spülte.
Besorgt sah er dabei zu wie Luca sich den Mund auswusch, das Glas dann auf dem Boden abstellte. Seine Stimme war nur noch ein elendes Kratzen und Minho spannte den Kiefer leicht an. Was immer Suga getan hatte - und er konnte sich beileibe nicht vorstellen - was den Weißhaarigen so erzürnen könnte, dass es Luca so mitnahm, dass er sich übergab...es musste was Schlimmes sein.
Doch er sagte nichts, hielt seinen besten Freund einfach fest und versuchte ihn so ruhig wie möglich zu halten. "Atme durch...das wird schon wieder, Luca. Wir kriegen dich schon wieder hin, mh?", meinte er schließlich leise und strich ihm eine blonde Strähne aus der Stirn. Hätten sie hier mehr Platz, hätte er ihn vielleicht besser hingelegt, damit er merkte, dass das Schwanken nur seinen eigenen wirren Sinnen zuzuschreiben war, doch Minho fürchtete auch, dass Luca gleich wieder das Kotzen anfangen würde und so wie er ihn jetzt in der leicht aufrechten Position im Arm hielt, waren sie näher an der Schüssel dran.
Die Besorgnis in dem Dunkelhaarigen wuchs, als Luca vollkommen zusammenhangslos anfing zu reden, irgendwas vor sich hinwisperte, manchmal so undeutlich, dass Minho ihn nicht mal richtig verstehen konnte.
Sein Zustand war erschreckend und so unglaublich untypisch für den sonst so fröhlichen, aufgedrehten Luca, dass es Minho vergessen ließ, dass er eigentlich selbst total drunk war. In dem Moment schaltete sich da sein Pflichtbewusstsein als Leader und als bester Freund ein, denn für Luca war er beides und in dem Moment vor allem Letzteres.
Wortlos strich er ihm durch die Haare, auch als Luca sich zu ihm drehte, sein Gesicht an seinem Shirt vergrub, langsam aber sicher wieder runterkam. Minho spürte wie sich seine rasselnde Atmung langsam einpendelte und seufzte innerlich auf als Luca ihm den Grund für seinen Zusammenbruch gegen den Stoff seines Oberteils nuschelte. Suga. Wie Minho sich gedacht hatte.
"...weil du die Mädels mitgebracht hast?" Der spaßige "Ist er eifersüchtig?" Kommentar lag schon auf seinen Lippen, doch er schluckte ihn runter. Unpassend. Aber irgendwie...fiel ihm auch kein anderer Grund ein. Minho verstand es nicht wirklich...wollte es nicht verstehen, er kannte Suga immerhin noch nicht so lange wie der Blonde...und trotzdem, auch wenn er sich dagegen versuchte zu wehren, brandete in seinem Innern so etwas wie Wut auf. Wut auf Suga, dass er Luca in diese Lage versetzt hatte.
Normalerweise würde Minho jedem eine reinhauen, der Luca so zurichten, ihn so durch die Hölle schicken würde...doch das konnte er sich als Leader bei Suga nicht erlauben.
Minho presste die Lippen leicht zusammen, das alles was hier nebensächlich. Aber die Art, wie Lucas Stimme halb brach, sein leidender Gesichtsausdruck...Minho hatte immer gewusst, dass Luca unter all seinen Späßen und seinem Grinsen was mit sich rumschleppte, dass er irgendwann an etwas oder jemandem zerbrechen würde und zum Vorschein kam, was er wirklich empfand.
Aber dass es ausgerechnet Suga war, an dem er so zerschellte...
"Er wird sich schon wieder einkriegen...er ist eben...kompliziert...und betrunken...vermutlich hat er das alles nicht mal so gemeint. Ich bin sicher, er würde nicht wollen, dass du dir die Lunge aus dem Leib kotzt, mh?" Das waren schwache tröstende Worte und Minho hätte sich selbst dafür ohrfeigen können. So wie Luca es sich zu Herzen nahm, musste es schlimm gewesen sein, was auch immer der Jüngere ihm an den Kopf geschmissen hatte.
"Wenns dir besser geht...bring ich dich ins Bett und...morgen redet ihr miteinander, okay? Wenn sich alles ein wenig beruhigt hat." Ein wenig zweifelnd sah Minho auf Luca herunter, er sah aus als könnte er von selbst keinen Schritt gehen...aber es würde auch nicht das erste Mal sein, dass Minho seinen Besten durch die Gegend trug. Und das Schlafzimmer war ja direkt gegenüber.

Luca vernahm nicht alles, was Minho an ihn richtete; er war zu sehr in alkoholisiertem Selbstmitleid versunken, als dass er auf jeden seiner Sätze hätte reagieren können. Lediglich Wortfetzen griff er auf, versuchte sie sich zu merken und zu einer Antwort anzusetzen. Etwas, was schwieriger ausfiel, und vor allem länger dauerte als sonst. "Ich- weiß nicht", krächzte er erschöpft, regte sich keinen Zentimeter und auch nicht von Minho weg. Er brauchte diese Stütze.. er brauchte Minho. So sehr, dass er genau so gut sentimental und aufgelöst hätte drauf losheulen können. Aber das tat er nicht, dafür waren ihm die Umstände viel zu unklar, und machten ihn schlicht und ergreifend fertig. Kraftlos.
"Er... er hält es mit mir nicht aus, hat- er gesagt", erzählte er, fast atemlos, weiter, was in einem undeutlichen, leidendem Nuscheln zugrunde ging. "Minho.. ich will- ihm- doch nur", krächzte er weiter, stoppte mitten im Satz und schluckte laut, mühsam, und verdammt angestrengt die nächste Rebellion in seinem Magen runter. Schwer durchatmend fuhr er schließlich fort. "Ich.. weiß, dass was... los ist, ich kenn ihn- er- er braucht jemanden", die Erschöpfung übermannte ihn von Sekunde zu Sekunde, dass er immer wieder kurz davor war, halb wegzupennen. Bis ihn die schrillen Alarmglocken seines Schwindels aufweckten, und er sich wieder teilweise seiner Erklärung.. seiner Rechtfertigung, seiner.. was auch immer es war, zuwenden konnte. "Ich will.. ihm helfen, verstehst du? Ich- ich will ihn nicht alleine lassen, ich- will nicht mit ihm streiten.. er ist irgendwo draußen und ich.. hab ihn einfach gehen lassen, ich hätte-" Seine Stimme brach ab, er war zu fertig.. nichtmal seine Sätze ließen sich vervollständigen.
Stumm folgte er der beruhigenden Stimme seines Besten, ohne den Zusammenhang seiner Worte zu verstehen, ohne zu kapieren, was Minho da eigentlich sagte. Er konnte sich nicht auf den Inhalt konzentrieren; nur auf seine Stimme, die ihm gerade gut tat. Mehr brauchte er nicht hören; denn Aufmunterung war das Letzte, wonach er suchte.
Morgen würde er sich nicht einmal an seine eigenen Sätze erinnern können.
Minhos letzten Satz ließ er erstmal in der Luft hängen, reagierte nicht drauf, versuchte selbst einzuschätzen, inwiefern er sich bewegen konnte. Als er es versuchte, drehte sich ihm der Magen fast schon wieder um, weswegen er sich panisch, so gut es ging, in Minhos Arme drückte. "W..warte kurz.. noch.. eine Minute..", nuschelte er resigniert, weitere zwanzig Minuten vergingen, in welchen er schweigsam in den Armen seines Besten lag. Zwischendurch, obwohl er nicht wusste, ob es Einbildung war oder nicht, klopfte jemand an die Tür und fragte was los wäre. Aber mehr als das bekam Luca nicht mit.
Schließlich schaffte er es, einen Arm um Minhos Schultern zu legen und sich mit seiner Hilfe ins Schlafzimmer zu begeben. Die nächste Herausforderung war, ihn irgendwie nach oben zu kriegen - sein Körper fühlte sich schwer an, als würde er ihm nicht gehören. Als könnte er ihn nicht mehr steuern.
Doch mit etwas Glück und Minhos körperlichen Stärke, die die meisten unterschätzen, schaffte er es auf sein Bett. "W..warte, Min, kannst- kannst du mir 'n Zettel und 'n Stift.. geben, bitte?", bat der Blonde ihn leise, sützte sich mehr schlecht als recht auf seinem Unterarm ab und streckte die Hand leicht aus. Auch wenn der Andere zögerte, kam er seiner Bitte nach und reichte ihm die faustgroßen Post-It's, und einen Bleistift.
Kaum zu glauben, dass er das tat.. aber er brachte alles an Energie, wirklich alles, was er noch irgendwie zusammenkratzen konnte, irgendwie auf, um ein Es tut mir Leid, Suga draufzukritzeln. "Legst du.. ihm.. das bitte aufs Kissen?", nuschelte er benommen, bevor er gefühlt zusammenklappte und sich kraftlos ins Kissen sinken ließ. Wovor er aber Angst hatte, wovor er schon immer Angst gehabt hatte.. war das alleine sein. "....Minho, kannst du- bitte geh nicht.." Er konnte ihn nicht sehen, jedoch tasteten seine Finger schwach nach dem Dunkelhaarigen, den er winselnd anflehte, ihn nicht alleine zu lassen.
Noch eine Weile atmete er unruhig, leidend, kuschelte sich an seinen Besten, doch mit etwas Geduld und weiteren Minuten schlief er endlich ein.

"Du hättest gar nichts tun können, hör auf nur dir die Schuld zu geben." Minho wusste nichtmal, ob Luca ihm überhaupt richtig zuhörte, aber er redete trotzdem weiter, auch wenn die meisten Worte nur Schall und Rauch waren, nichts was Luca in diesem Moment richtig hätte trösten können.
Minho setzte sich ein wenig aufrechter an die Wand, lehnte seinen Kopf gegen die kühlen Kacheln, zog Luca ein wenig enger an sich und strich ihm von den Haaren leicht über die Wange.
"Zum Streiten gehören immer Zwei...und ich glaube Suga will gerade nicht geholfen kriegen. Von niemandem." Das entsprach sogar der Wahrheit, Minho hatte schon in den ersten zwei Wochen gemerkt, dass der Jüngere doch sehr einzelgängerisch veranlagt war, sich abends gerne alleine ins Studio verzog und Lyrics kritzelte, bis die Sonne wieder aufging.
Luca regte sich leicht in seinen Armen, ließ es aber dann doch schnell wieder sein und Minho nickte nur, war nach außen hin so ruhig und gesammelt, dass er sich selbst wunderte, wie er das hinbekam. Irgendwann war ein scheues Klopfen an der Tür zu hören und Minho hob den Kopf, als er Jins Stimme hörte.
"Ist alles ok, Jin...sieh mal bitte zu, dass die anderen die nächste Stunde nicht ins Schlafzimmer kommen...und dass sie nicht zu laut sind." Wenn er jemanden mit sowas beauftragen konnte, war es Jin, denn sein Pflichtbewusstsein als ältestes Mitglied und sein Drang, sich um alle zu kümmern, stand seinem in nichts nach.
Als vor der Tür wieder Stille eingekehrt, vergingen noch ein paar Minuten, bis Luca sich schließlich bereit erklärte, aufzustehen. Langsam und behutsam richtete Minho ihn auf, legte Lucas Arm um seine Schultern und hielt ihn um die Hüfte fest, bevor er die Tür aufschloss und kurz in den Flur spähte. Jin hatte sich seine Aufgabe wohl zu Herzen genommen, denn die Geräusche aus dem Wohnzimmer waren wirklich auf Zimmerlautstärke reduziert und so fertig wie Luca war, würde er das wohl nicht mal mitbekommen.
"Ok, los komm...mach langsam, ja?" Es dauerte eine Weile, bis er Luca ins Bett verfrachtet hatte und als der Blonde ihn um einen Zettel und Stift bat, zögerte der Dunkelhaarige kurz, kam seiner Bitte dann jedoch nach und heftete ihn nach Lucas Anordnung auf seinem Kissen fest.
Bei dem Anblick der Nachricht zog sich sein Herz kurz zusammen und er verschwand für eine Sekunde kurz im Nebenzimmer, kam dann mit einem Mülleimer zurück und stellte ihn neben Lucas Bett ab. Nur für den Fall der Fälle.
Seufzend fuhr Minho sich durch die Haare, als von Lucas Bett sein Name tönte und die Finger des Blonden nach ihm tasteten. "Hatte ich nicht vor.", murmelte Minho nur und versuchte ohne viel Gewackel zu Luca aufs Bett zu kommen. Der Rost knirschte ein wenig unter ihrem Gewicht als Minho sich schließlich neben ihn legte, seinen Arm vorsichtig unter Lucas Kopf schob und ihn wieder in eine Umarmung zog.
"Versuch zu schlafen ja?" Abwesend begann er wieder ihn zu kraulen und wieder dauerte es eine Weile bis Luca in seinen Armen eingeschlafen war, diese schmerzvolle Miene sich entspannte und er einschlief.
Minho hörte noch, wie irgendwann der Rest der Bande ins Zimmer kam, sich jedoch so mucksmäuschenstill verhielt, wie Minho sie noch nie erlebt hatte. Er behielt Lucas regelmäßige Atemzüge im Auge, doch der Blonde wachte nicht auf, schlief so tief und fest, dass er nichts davon mitbekam. Langsam wanderte Minhos Blick über seinen Kopf zu dem Wecker mit dem leuchtenden Ziffernblatt. Halb zwei...und Suga war immer noch nicht zurück.

Jeder Schritt, den Suga machte, schmerzte, brannte als würde man ihm mit einem heißen Schürhaken ein Loch in die Brust schlagen, seine Rippen aufbrechen und sein zusammengekrampftes Herz herausschneiden. Es tat weh, so unglaublich weh, doch dieser geschockte, verwirrte und panische Ausdruck in Lucas Augen ließ ihn immer weiterlaufen, während der Schneefall um ihn herum stärker wurde.
Irgendwann wusste Suga nicht, ob er vor Kälte oder Leid zitterte, doch er blieb stehen, an irgendeiner Straße, stand einfach regungslos da, während um ihn herum die Passanten, die noch zu später Stunde unterwegs waren, strömten.
Fetzen von Unterhaltungen zogen an ihm vorbei, sorgloses Gelächter drang an seine Ohren, doch Suga nahm es nicht mal wirklich war, alles um ihn herum schien ein Strudel aus Farben, Lichtern und Geräuschen zu sein und erst als sein Sichtfeld ein wenig zu flimmern begann, erkannte Suga, dass er weinte. Unwirsch fuhr er sich über die Augen, in denen sich die Tränen solange gestaut hatten, bis sie übergelaufen waren, auf seinen von dem Wind und der Kälte geröteten Wangen zu seinem Kinn gelaufen waren.
Was hatte er nur angerichtet? Was hatte er ihm nur angetan?
Suga presste die Lippen aufeinander, bevor er weiterlief, einfach ziellos in Seoul umherirrte und jeder Ort, an dem er war, erinnerte ihn an Luca. Die Eisdiele, an der sie sich im Sommer den größten Eisbecher den es auf der Karte gab, bestellt hatten, nur weil Luca behauptet hatte, er würde ihn ganz alleine packen...im Endeffekt hatte er ihn aber dann doch mit Suga geteilt.
Das Musikgeschäft, in dem sie Stunden zugebracht hatten, während draußen der Herbststurm tobte, in dem Suga auf einem millionenschweren Konzertpiano hatte spielen dürfen, während Luca neben ihm auf der Bank gesessen und lächelnd zugehört hatte.
Die Eislaufhalle, in der Suga es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Luca so oft es ging auf dem Arsch landen zu sehen...jeder einzelne Ort ließ den Kloß in seinem Hals dicker und dicker werden, bis Suga in irgendeiner abgelegenen Seitenstraße auf eine halb überdachte Treppe vor einem Geschäft sank, die Knie an den Körper zog und einfach nur regungslos ins Leere starrte.
Das...das würde er sich selbst nie verzeihen und er würde es nie wieder gut machen können. Allein der Gedanke, wieder zurück zur WG zu gehen, war absolut bescheuert, wie konnte er dem Rest von Pulse so unter die Augen treten?
Wieder spürte Suga wie ihm die Tränen kamen und er wischte sie mit seinen zitternden Fingern weg, zog die Nase hoch und legte den Kopf auf seinen verschränkten Armen ab. Hier war keine Menschenseele, irgendwann kreuzte eine Straßenkatze seinen Weg, kroch sogar einmal schnurrend um seine Beine, doch auch sie verließ Suga wieder, als ihr klar wurde, dass er nichts zu Essen für sie hatte.
Sugas ganzer Körper fühlte sich mittlerweile taub an, es mussten Stunden vergangen sein, seitdem er Luca dort draußen hatte stehen lassen. Aber er konnte nicht mehr zurück...nicht nachdem, was er zu Luca gesagt hatte.
Selbst wenn der Blonde ihm verzeihen würde...Suga hatte in dem Moment viel zu viel Angst, dass sich sowas wiederholen würde, dass er Luca immer und immer wieder gewaltsam von sich treten würde, bis er sich schließlich ganz von ihm abwandte.
Suga schloss die Augen, igelte sich noch ein wenig mehr ein. Es war okay, er hatte gewusst, dass er alleine so viel besser klar kam, dass er alle von sich wegstieß, bevor er sie zu nah an sein Herz ließ.
Luca hatte er an sich rangelassen...und das war jetzt seine Strafe dafür. Dieser unsägliche, unbeschreibliche ziehende Schmerz in seiner Brust, diese Kälte in seinen Knochen, die nicht von den Minusgraden herrührte, diese betäubende Stille in seinem Kopf.
Er war wieder genau da, wo er am Anfang gewesen war.
Das plötzliche Vibrieren in seiner Hosentasche ließ ihn zusammenzucken und seine Finger tasteten automatisch nach seinem Handy. Minho.
Starr blickte Suga auf die SMS, die ihm der Dunkelhaarige geschrieben hatte und atmete dann zittrig aus.
"Bring das wieder in Ordnung." Suga drückte die Tastensperre, wollte sein Handy gerade wieder in seiner durch den Schnee vollkommen durchnässten Jacke verschwinden lassen, doch es vibrierte noch einmal. Und noch einmal.
Langsam richtete Suga seinen Blick auf die aufgeploppten Nachrichten. "Er ist vollkommen am Ende. Und verrückt vor Sorge." Schon wieder. In rascher Abfolge begannen die Tränen auf das Display zu tropfen, als er herunterscrollte und die letzte Nachricht des Älteren durchlas.
"Komm nachhause, Suga."

Suga fühlte sich wie ein Eindringling als er die Tür hinter sich schloss, wie jemand, der nicht hierher gehörte, wie ein Fremder, ein Außenseiter. Lautlos machte er ein paar Schritte in den Flur rein und wollte sich gerade seine Boots ausziehen, als ein Schatten neben ihm im Türrahmen auftauchte. Minho.
Langsam kletterte Sugas Blick zu der Wanduhr neben dem Schwarzhaarigen, es war drei Uhr nachts und dass der Leader einen toughen Abend hinter sich hatte, sah man ihm mehr als nur an. Er sah müde und...geschafft aus, wank Suga wortlos hinter sich her in die Küche, wo er sich gegen die Anrichte lehnte und die Arme verschränkte.
"Also...", fing er an, nachdem Suga ihm gefolgt war und zog die Augenbrauen ernst zusammen. "Zuerst mal will ich dir sagen, dass keiner von uns hier sauer auf dich ist. Verwirrt vielleicht, nachdem wir gesehen haben, in welchem Zustand Luca sich befindet." Suga machte den Mund auf, doch Minho schnitt ihm das Wort ab. "Hör mir zu. Ich sag dir das einmal und zwar in meiner Funktion als Leader...ich will, dass du das hier wieder gerade biegst. Mir egal wie. Luca scheint alles tun zu wollen, damit du nicht mehr sauer auf ihn bist." Er richtete sich auf, reichte Suga über den Tisch einen kleinen gelben Zettel und als Suga die Worte darauf las, schnürte sich sein Brustkorb so fest zu, dass er den Blick senkte und seine Schultern ein leichtes Beben überlief. "Ich will dir noch was sagen...als Lucas bester Freund." Minho kam um den Tisch herum und blieb vor ihm stehen, sah auf den Weißhaarigen hinunter und Suga wagte es nicht mal, einen Atemzug zu tun.
Er verstand schon, wieso Minho der Leader war, gerade jetzt in diesem Moment.
"Als Lucas bester Freund sage ich dir...wenn du ihn noch einmal so sehr verletzt, bereust du das bis an dein Lebensende." Seine Miene war in dem Moment bitter ernst, das gewohnte fröhliche Funkeln in seinen Augen verschwunden und Suga nickte nur, woraufhin Minho ihm aufmunternd gegen die Schulter schlug.
"Gut. Jetzt zieh dir was anderes an, du erkältest dich sonst.", wies er ihn an und verschwand dann wieder im Schlafzimmer, ließ Suga in der Küche stehen. Ein paar Minuten vergingen, in denen Suga einfach nur dem Sekundenzeiger an der Küchenuhr zusah, beobachtete wie die Zeiger über das Ziffernblatt krochen. Minho wollte, dass er das wieder hinbog...es wieder gutmachte, sich entschuldigte...Suga hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer zweiten Chance.
Blieb abzuwarten, ob er sich die nicht bei Luca verspielt hatte.
J Hope fand ihn am nächsten Morgen in aller Früh, er war irgendwann vor Erschöpfung einfach am Küchentisch in sich zusamemngesackt, in der Hand immer noch den Post it auf dem Lucas krakelige Schrift zu lesen war.

Die Höllenfahrt des Übergebens war überwunden, doch die Qualen im Schlaf zogen nicht davon. Obwohl Luca eingeschlafen war und den Rest der Nacht auch nicht mehr mit Reiern hatte verbringen müssen, schlief er sehr unruhig. Die Sorge um Suga überwog, die Fragen, wo er sich aufhielt, ob ihm was passiert war, stellte sich ihm ständig im Traum. Und er versuchte antworten zu finden, wie in einer schlechten Quizshow - in der es um so viel mehr ging als dummes Geld. Luca murmelte neben Minho, mal mehr mal weniger, winselte, zuckte im dreißig-Minuten-Takt zusammen. Er war besorgt um Suga, so sehr - aber die Erschöpfung, die Übermüdung und der Streit saßen ihm zu tief in den Knochen. Selbst wenn er versucht hätte, ihn zu finden; er hätte es nicht einmal zwei Schritte aus dem Zimmer geschafft, ohne zusammenzuklappen. Dafür war sein Kopf einfach.. viel zu krass gefickt.
Immerhin schlief er fest und bemerkte somit auch keine Veränderungen um sich herum. Selbst, als Minho sich kurz von ihm entfernt hatte, bekam er nichts mit; er war in die verworrene Welt seiner Sorgen und Ängste abgedriftet, dass er nicht herauskam. Diese Gefühlslage erstreckte sich bis zum Morgen, und obwohl er eine verhältnismäßig gute Mütze Schlaf hinter sich bekam, fühlte er sich immer noch ausgelaugt, als er langsam gegen das Tageslicht, das durch die Jalousien leuchtete, blinzelte. Sein Kopf dröhnte, die Nachwehen eines heftigen Katers verschonten ihn auf keinen Fall. “Ugh~“ Er erkannte langsam das Gesicht seines Besten direkt über seinem Eigenen, schützend lag der eine Arm des Dunkelhaarigen unter seinem Kopf, der andere unter der Decke um ihn. Verschlafen schloss er nochmal die Lider, atmete tief durch und stöhnte leise auf, äußerst schmerzverzerrt, bei dem Schädelbrummen, das gegen seine Schläfe hämmerte wie ein Presslufthammer. Er wollte Minho nicht aufwecken, doch schien er extra für seinen Besten ebenfalls wach zu werden. “Wie.. wie spät ist es...?“, fragte er nuschelnd, seine Stimme klang belegt und etwas rauer aufgrund seiner trockenen Kehle.
Just in diesem Moment riss er die Augen, wie es ihm jedenfalls möglich war - alles Katerbedingt - auf und schob sich hektisch über Minho. “Wo ist Suga?“, platzte es alarmierend aus ihm heraus, er versuchte einen Blick in das Gestell unter sich zu werfen - seinem Kopf tat diese Hektik und Anstrengung gar nicht gut, aber das war ihm egal. Scheiß egal.
Wie auf's Stichwort kam J-Hope wieder rein, deutete fragend mit dem Daumen hinter sich und warf einen Blick zu Minho und dem Blonden. “Warum schläft Suga in der Küche?“ Mehr hatte der Park gar nicht wissen müssen, hektisch kraxelte er über Minho drüber, riskierte fast, dass er aus zwei Metern Höhe zu Boden fiel, stieß sich an jeglichen Ecken und Kanten an, stolperte zu Boden, verlor beinahe das Gleichgewicht auf dem Weg zur Küche - und blieb abrupt, mühsam atmend, im Türrahmen stehen. Schwankend. Blanke Besorgnis, Schuldbewusstsein, Reue durchzog seine Augen - er fühlte den starken Drang, ihn zu umarmen, sich inständig zu entschuldigen.. langsam kam er auf den Jüngeren zu, setzte sich ihm in aller Vorsicht gegenüber und versuchte irgendwas aus ihm rauszulesen. Seine Augen wanderten zu dem Zettel zwischen seinen Fingern, die gekrakelte Entschuldigung von heute Nacht... behutsam streckte er seine Hand nach ihm aus und streichelte ihn vorsichtig wach.

Suga bemerkte gar nicht, dass Luca zu ihm an den Tisch kam, er schlief so fest, dass es auch eine Weile dauerte, bis er die Hand auf seinem Arm realisierte, das leichte Streicheln über seine Haut. Noch immer trug er die Jeansjacke, mit der er gestern einfach so in den Schnee gerannt war und einzelne Wassertropfen von den dicken Flocken hingen noch in seinen weißen Haare, tropften auf sein Gesicht als er sich leicht regte. Auch wenn er sonst so gut darin war, alles zu verstecken, die Tatsache, dass er mehr als einmal geweint hatte, sah man ihm deutlich an, allein schon an den roten Schatten unter seinen Augen. Suga erinnerte sich nicht mal daran, eingeschlafen zu sein, sich an den Tisch gesetzt zu haben, doch als seine Lider sich flatternd öffneten, war das erste was er sah die Maserung des alten Tischs, in den die Jungs alle ihre Namen eingeritzt hatten, ein Ritual zu dem sie Suga auch gezwungen hatten.
Was für eine Ironie, dass er genau an dem Platz saß, wo sein eigener Name ihm direkt ins Auge stach...
Müde schlossen sich seine Lider wieder und er drehte sein Gesicht leicht beiseite, bevor er gegen das helle Sonnenlicht, das die Küche flutete, blinzelte, dann langsam die Umrisse einer Person ausmachte, die vor ihm saß. Sein Kopf schmerzte und seine Finger fühlten sich mehr tot als lebendig an. Doch all das war egal, als er die Silhouette vor sich in ein richtiges Bild zusammensetzte.
Luca. Augenblicklich war Suga hellwach und richtete sich auf, machte den Mund auf und klappte ihn dann doch wieder zu. Was sollte er ihm nur sagen?
"Luca, ich..."
Bring das wieder in Ordnung.
"Es tut mir...wirklich Leid." Er war fürchterlich darin, sich zu entschuldigen, was vielleicht auch einfach daran lag, dass er sich so selten bei jemandem hatte entschuldigen müssen.
Weil er einfach...noch nie mit jemandem so eng gewesen war, dass es ihn gekümmert hatte, was derjenige von ihm dachte. Lucas Hand lag vor ihm, war bei seinem abrupten Wachwerden von seinem Arm geglitten und am liebsten hätte Suga sie genommen, festgehalten.
Unsicher sah er Luca in die Augen, er war ein furchtbarer Mensch. Ein furchtbarer, undankbarer Mensch, der es nicht schaffte, jemanden bei sich zu halten, ohne ihm wehzutun. Er hatte Lucas Vergebung überhaupt nicht verdient, er hatte gar nichts an ihm verdient.
Suga biss die Zähne zusammen, unter dem Tisch tasteten seine Finger nach dem Haargummi um sein Handgelenk und das erste Mal seit Monaten ließ er es gegen seine Haut schnappen, zuckte bei dem scharfen Schmerz nicht mal zusammen. Er war ein furchtbarer Mensch.
Min Suga, du bist ein furchtbarer Mensch.

Luca war nicht dumm, selbst wenn ihm der heftige Kater zusetzte. An seiner Auffassungsgabe hatte es vielleicht gestern gescheitert, ihm doppelt und dreifach heimgezahlt - aber sonst, und besonders jetzt, war er wahnsinnig aufmerksam, was die Gemütslage seiner Mitmenschen anbelangte. Während er den Jüngeren am Arm streichelte, versuchte er jede Anzeichen aus seinem Gesicht herauszulesen; und das Erste, was ihm auffiel, als dieser langsam aufwachte, waren die geschwollenen Augen. Er hat geweint.. Sein Herz zog sich widerlich zusammen bei diesem Gedanken, die Risse von gestern, die er nicht als solche identifizieren konnten, klagten weinerlich - egal, was er getan haben musste.. er hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Er hätte bei ihm bleiben sollen, aber.. in dem Moment hatte sein Körper mit den ganzen, negativen Eindrücken nicht mehr umgehen können, nicht mehr verarbeiten können.
Umso bedeutsamer war es ihm jetzt, dass er sich bei Suga entschuldigte. Ganz gleich, wegen was - ganz gleich, dass er nicht wusste, wieso. Das Letzte, was Luca Park ertrug, waren zerbrochene Freundschaften.
Er braucht mich. Und ich will ihn nicht für einen dummen Streit loslassen.
"Hey..", flüsterte er leise, als seine Hand von seinem Arm auf die Tischplatte rutschte, ein Ersatz für das 'Guten Morgen' - bevor Suga mit einer Entschuldigung rausrückte, und dabei so unglaublich unsicher, schuldbewusst, niedgerschlagen.. bedrückt aussah. Es zerbrach dem Blonden das Herz, ihn so zu sehen.. er wollte ihn lächeln sehen, lachen hören, mit ihm Witze reißen, Musik machen, ihm beim Klavierspielen zuhören, seine Texte durchlesen, neben ihm schweigen, wenn er nicht reden wollte, ihn umarmen, wenn er sich einsam fühlte, für ihn.. da sein.
Ein schermzlich sanftes Lächeln legte sich langsam auf seine Lippen. "Ist okay", entgegnete er einfühlsam, "mir tut's auch Leid.. ich hab zu viel getrunken, ich.. wollte dich nicht verärgern, Suga.." Aber diese Worte reichten einfach nicht aus, um zu zeigen, wie wichtig der Jüngere ihm war. Und dass er es sogar in Kauf nehmen würde, für ihn jedes Mal auf's Neue zu kotzen, wenn das bedeuten würde, ihn wieder bei sich finden zu können.
Kaum, dass er sich von seinem Platz erhoben hatte, umrundete er das kleine Stück zu dem Weißhaarigen, zog ihn auf die Beine und schloss ihn in eine feste Umarmung. "Egal, was ich getan hab.. du musst es auch nicht erklären.. es tut mir Leid." Er konnte nicht beschreiben, wieso er so viel Angst um Suga hatte. Warum er bei ihm am schnellsten Panik bekam, wenn er länger und ohne Wort weg war.. warum er heute Nacht mit der Angst gekämpft hatte, ihn zu verlieren.
Es war komplett bescheuert, wie viel sein betrunkener Verstand in den Streit hineininterpretiert hatte. Aber, es hatte sich zu echt angefühlt.. schmerzhaft echt.
Du gehörst hierher, Suga.. zu uns. Zu mir.

Es machte ihn fertig, Luca dabei zuzuhören, wie er sich entschuldigte...auch wenn er absolut nichts falsch gemacht hatte. Das schlechte Gewissen schnürte Suga den Brustkorb zu, doch er nickte nur wortlos, während das dünne Gummi gegen sein Handgelenk schnappte. Luca umrundete den Tisch, kam auf ihn zu und augenblicklich ließ Suga seine Hände sinken, niemand wusste, dass Suga sich einen eigenen Weg geschaffen hatte, um mit ihn überfordernden Situationen klar zu kommen, Situationen in denen sein Kopf schwirrte, seine Gedanken so dunkel waren wie die schwärzeste Nacht. Suga hatte haufenweise Teenager an sowas zerbrechen sehen, hatte sie drüber reden hören, wie lebendig sie sich fühlten, wenn sie sich mit Rasierklingen die Haut aufrissen.
Das Band um seine Hand trug er nun schon einige Jahre mit sich rum und er hatte sich darauf trainiert, bei dem Gefühl des zurückzuckenden Gummis, nicht kleinbei zu geben, sich zu fokussieren, bis der Sturm in seinem Kopf sich gelegt hatte.
Luca zog ihn auf die Beine, schloss ihn fest in die Arme und Suga presste seine durch die nächtliche Witterung gesprungenen Lippen aufeinander, ließ sich von dem Blonden festhalten und seinen Kopf gegen seine Schulter sinken.
"Es tut mir...so leid...", presste er wieder hervor und versuchte, das Schütteln, das seinen ganzen Körper ergriff, zu unterdrücken, doch es funktionierte nur mäßig. Jetzt, wo er sich in dieser schützenden Umarmung befand, war der Damm wieder kurz davor zu brechen und Suga kostete es alles, die Tränen zurückzuhalten.
Er kannte sich nicht so. Er war normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut, im Gegenteil...Suga weinte eigentlich nie und dass er es jetzt kaum zurückhalten konnte, zeigte ihm nur mal wieder, wie sehr Luca ihn verändert hatte, wie sehr diese ganze Beziehung ihn verändert hatte, wie verletzlich er war, wenn es um ihn ging.
Automatisch schlossen sich Sugas Arme ein wenig fester um den Älteren. Luca war ein wunder Punkt, wie eine Schwachstelle...und die Tatsache, dass Luca sich anscheinend schreckliche Sorgen um ihn gemacht hatte, war einerseits grauenvoll, andererseits fast tröstend. Trotz allem, was Suga ihm an den Kopf geworfen hatte, trotz aller Verachtung, die er ihm in dem Moment entgegengebracht hatte, er verzieh ihm, er wollte ihn trotzdem bei sich haben.
Suga schloss die Augen, nieste dann plötzlich los und machte instinktiv ein paar Schritte von Luca zurück. Wenn er sich da draußen jetzt was eingefangen hatte, wollte er ihn nicht anstecken.
"Fuck man...", murmelte er leise und war im Handumdrehen nach außen hin schon wieder ganz der Alte.
Er rieb sich mit dem Jackenärmel kurz über die Nase und sah Luca dann wieder an. Vermutlich sollte er selbst da echt die Klappe halten, aber das "Du siehst echt scheiße aus...", konnte er sich dann doch nicht verkneifen, grinste dabei sogar schon wieder ein wenig.

Diese Umarmung tat ihm.. gut. Sehr gut sogar. Er wusste gar nicht, wie sehr er an Suga festhielt, bis ihm gestern klar geworden war, dass er ihn nicht ohne Weiteres gehen lassen konnte. Der Jüngere war ihm ans Herz gewachsen.. egal, wie einzelgängerisch er veranlagt war. Jeder Einzelgänger der Welt brauchte eine Person in ihrem Leben, an der sie sich klammerten, falls sie doch zu ertrinken drohten. Und diese Person wollte Luca für ihn sein. Hinter Sugas Texten steckte so viel mehr, als reine Wortspiele und Poetik. Er hatte es nie angesprochen, nie seine Befürchtung über die Lippen gebracht - aber für ihn stand fest, dass Suga innerlich verdammt gebrochen war.
Vielleicht der Grund, warum er zum ersten Mal richtig Panik geschoben hatte, als er verschwunden war. Weil ihm, dem Weißhaarigen, der Gedanke zu verschwinden womöglich nicht abwegig vorkam. Doch darüber konnte, und wollte Luca im nüchternen Zustand nicht nachdenken. Einzig und allein eine Sache zählte: Ich will dich retten.
Lange hielt er den Jungen im Arm, schloss die Augen und vergrub seine Nase leicht in das weiße Haar - bis Suga mit einem Niesen zurückwich und fluchte. Ein schiefes, übermüdetes Grinsen kroch in Lucas Gesicht und er blinzelte langsam. "Hat sich der große Junge eine Erkältung geholt?", stachelte er ihn scherzend an, was er im Nachhinein durch seinen Konter zurückbekam. Ein raues Lachen entwich seiner Kehle und er rieb sich die Augen. "Übler Kater.. ich glaub ich leg mich gleich wieder hin, alter..", erwiderte er spielerisch quengelnd - und ließ bewusst die Details aus. Das Letzte, was er Suga unter die Nase reiben wollte, war die Tatsache, dass er zum ersten Mal eine ganze Stunde durchgereiert hatte, weil ihm der Streit so nahe gegangen war.
Er schlang seinen Arm um Sugas Schultern, boxte ihm freundschaftlich sanft gegen die Schulter und schlenderte mit ihm Richtung Schlafzimmer. "Willkommen Daheim, dein Bett wartet sehnsüchtig auf dich."

Suga nahm sich die Ereignisse von dem Abend, von der Nacht sehr zu Herzen und die Vorfälle schienen relativ schnell aus den Gedächtnissen der anderen Pulse Member zu verschwinden. Es gab schließlich auch genug, worauf sie sich zu konzentrieren hatten, vocal training, choreo training, zwischendurch noch Schule und Songsschreiben, es war einfach sich mit ihrem vollgestopften Zeitplan zu verzetteln und wirklich zur Ruhe kamen sie eigentlich nur an den wenigen freien Wochenenden, die ihnen gewährt wurden und die sie je nach Belieben nutzen durften.
Doch im Gegensatz zu dem Rest von Pulse, die den Tag unbedingt irgendwie zusammen verbringen wollten, hatte Suga andere Pläne.

"Ein andermal vielleicht..." Gequält lächelnd sah Suga von J Hope zu den anderen und wickelte sich seinen Schal um den Hals. "Komm schon, Suga, wir alle haben die Eltern der anderen kennengelernt. Aber du erzählst nie was von zuhause."
Suga stockte kurz und blickte den Rothaarigen mit einem undefinierbaren Blick an. "Ein andermal ok?", wiederholte er und klang dieses Mal ein wenig ernster, sodass er den quirligen Älteren damit zum Schweigen brachte.
"Wir sehn uns." Suga hob kurz die Hand, schwang sich seinen Rucksack auf die Schultern und verschwand im Treppenhaus.
Erleichtert atmete er aus, als er ins Freie trat und sein Gesicht in dem schwarzen Schal einmummelte. Es hatte aufgehört zu schneien, die Sonne schien sogar ein wenig, spendete jedoch keine Wärme, sondern glitzerte nur auf der dichten Schneedecke.
Es war wirklich nicht einfach gewesen, die Jungs davon zu überzeugen, dass es seiner Mum echt nicht in den Kram passen würde, wenn sie zu siebt bei ihr aufkreuzen würden.
Diese Lüge hatte einen bitteren Nachgeschmack auf Sugas Zunge hinterlassen, doch das schlechte Gewissen blieb aus. Er hatte seine Gründe, wieso er niemanden mit sich brachte.

Sein Weg war nicht weit, ein paar Stationen mit der Bahn und ein kurzer Fußmarsch, bis Suga vor dem großen Mehrfamilienhaus stand, in dem sich hunderte kleine Wohnungen dicht an dicht aneinander schmiegten. Langsam ließ Suga seinen Blick an der Fassade entlang gleiten, bis er an dem mit Blumen und Pflanzen überfüllten Balkon hängen blieb.
Kurz sah er die Straße hinunter, bevor er das Gebäude betrat und zum Aufzug ging. Sein Herz begann ein wenig langsamer zu schlagen, als er den Knopf mit der Nummer 18 drückte und der Aufzug sich in Bewegung setzte, die einzelnen Stockwerke dabei orange aufleuchteten.
Als sich die Türen mit einem sanften Pling öffneten, verharrte Suga noch ein wenig unschlüssig in der Tür, trat dann jedoch in den Flur und öffnete seinen Rucksack, holte einen in Folie eingeschlagenen Blumentopf, in dem ein Lilienstock wuchs heraus, bevor er sich einer der Türen näherte.
Das Klingelschild war abgeblättert und ein Stoß unangefasster Zeitungen stapelte sich neben der Eingangstür, doch Suga beachtete diesen Umstand kaum, sperrte auf und öffnete langsam die Tür, steckte den Kopf in den dunklen Flur.
Er war noch nicht ganz drinnen, da stieß er mit der Kante der Tür an etwas Gläsernes, das in der Dunkelheit davonrollte und Suga tastete seufzend nach dem Lichtschalter, stellte den Blumentopf auf der kleinen Kommode, über der zahlreiche Mäntel hingen ab.
"Mom?" Er war schon eine Weile nicht mehr hiergewesen, doch seit seinem letzten Besuch hatte sich nicht viel verändert. Auf dem Weg ins Wohnzimmer warf er einen Blick in die Küche, blieb dabei an den haufenweise leeren Flaschen hängen, die sich auf dem Boden, dem Tisch, fast überall stapelten.
Langsam näherte er sich der Ansammlung von Leergut und presste bei dem Anblick einer halb leeren Zigarettenschachtel in der Spüle die Lippen zusammen. "Ich dachte, du wolltest aufhören.", meinte er dann und drehte sich zu der Frau um, die hinter ihm in den Türrahmen getreten war.
Ausdruckslos sah Suga seine Mutter an, musterte ihr dünnes, blasses Gesicht, die schmalen, traurigen Augen, das schwache Lächeln, das ihre Lippen umspielte und...die qualmende Zigarette in ihrer Hand.
"Das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.", entgegnete sie und Suga biss die Zähne ein wenig zusammen, nickte aber. Er hatte aufgehört, mit seiner Mutter darüber zu diskutieren, hatte ihre alle Entscheidungen überlassen, doch - auch wenn er sich dafür hasste - konnte er nicht anders als ihr innerlich Vorwürfe zu machen.
"...du machst es nur noch schlimmer.", entgegnete er, zuckte dabei die Schultern, als würde es ihn nichts angehen und fing nebenbei an, die leeren Flaschen wegzuräumen, spürte den Blick seiner Mutter jedoch immer noch auf sich lasten.
"Wie ist es bei deiner Boygroup? Gefällt es dir?", durchbrach sie schließlich die Stille, bewegte sich von ihrem Platz an der Tür in Richtung des Tisches, wo sie die aufgerauchte Zigarette in eine Schüssel ausdrückte. Ohne sie anzusehen, nahm Suga ihr den Aschenbecher weg und kippte ihn in den Mülleimer, machte sich dann weiter daran, die Küche aufzuräumen, er musste seine Hände mit irgendwas beschäftigen.
"Sie sind alle...sehr nett und talentiert.", meinte er dann und stapelte eine der gefüllten Weinflaschenkisten auf eine andere, bevor er sich mit verschränkten Armen an die Anrichte lehnte.
"Verstehe...ich hoffe, ich sehe euch mal im Fernsehen." Suga zog bei dem seichten Lächeln seiner Mutter die Augenbrauen ein wenig zusammen, ließ seinen Blick dann beiseite wandern.
"Wirst du.", antwortete er nur, bevor er wieder in Schweigen verfiel. Sie hatten schon vor einem Jahr aufgehört, sich richtig wie Mutter und Sohn zu verhalten, sich so nah zu sein, wie sie es früher mal gewesen waren...diese Entfremdungsphase war schwer gewesen, doch durch das Internat sogar ein wenig erleichtert worden.
Suga hatte sich am Anfang vehement gewehrt, seine Mutter alleine zu lassen, hatte sich nach der Diagnose geweigert, auch nur eine Sekunde von ihrer Seite zu weichen, aus Angst sie würde jeden Moment aufhören zu atmen, vor ihm zusammenbrechen. Was sich in 15 Monaten so alles ändern konnte. Mittlerweile war die Frau vor ihm fast nur noch eine Fremde, jemand, der ihm nichts wirkliches entgegenbrachte und vice versa.
Sie beide kamen auf ihre eigene Art und Weise mit der erzwungenen Einsamkeit klar, denn weder Suga noch seine Mutter hatten damals jemanden gehabt, mit dem sie ihre Einsamkeit hätten teilen können. Das wollten sie auch beide nicht.
"...schau mich nicht so an, Suga." Der Weißhaarige hob den Kopf, wandte abrupt den Blick ab und senkte ihn auf das kleine Stück Balkon, das er durch das Küchenfenster sehen konnte. Es war eine bittere Ironie, wie sehr seine Mutter angefangen hatte, alles zu lieben, was wuchs und gedeihte, was still vor sich hinlebte, es war ironisch, wieviele Pflanzen sich in der Wohnung türmten, wieviel Sauerstoff sie produzierten, Sauerstoff der den Lungen seiner Mutter aber egal war.
Es war 15 Monate her, seit sie ihn total betrunken angeschrien hatte, seit er von dem Lungenkrebs, der irreversibel in ihrem Körper gestreut hatte, wusste. Man hatte ihr noch ein halbes Jahr gegeben, als sie sich gegen die Chemotherapie entschieden, darauf bestanden hatte, den Rest ihres Lebens ohne Schmerzen zu verbringen und wenn es sich nur noch um 6 Monate handeln würde.
Dann hatte sie Suga fortgeschickt, gesagt, er sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie sterben und ihn alleine zurücklassen würde, dass er lernen musste, auf sich alleine gestellt zu sein und Suga war gegangen. Voller Wut und Trauer und Schmerz und mit dem Gefühl, er würde von dem letzten Menschen, der ihm etwas bedeutete, verraten werden.
Ihm war klar, dass sie es ihm einfacher machen wollte. Ihnen beiden. Dass das Abschied nehmen dann vielleicht nicht so schmerzvoll wäre. Doch, dass eine Mutter nicht mehr so stark war, wie sie gerne wäre, sah Suga nicht nur an der beträchtlichen Anzahl an leeren Weinflaschen, die überall in der Wohnung verteilt waren, auch an der Art, wie schwach sie war, wie sie sich bewegte, als wäre sie nur noch ein Geist, als würde ein Windzug genügen, um sie fortzuwehen. Und auch daran, wie sie ihn anblickte, voller Reue und Suga schlug die Augen nieder, richtete sich auf und ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer.
Der Nachttisch war übersät mit verschiedenen Fläschchen und Tablettendöschen und Suga schob das alles beiseite, platzierte den blühenden Blumentopf darauf und packte ihn aus der Folie. Über die Monate hatte er eine Art Tunnelblick entwickelt, blendete all das aus, was ihm den Eindruck verschaffte, dass seine Mutter hier komplett alleine mit dem Tod rang.
"Du bringst Blumen mit...als wäre ich im Krankenhaus." Sie war ihm gefolgt, nahm langsam vor ihm auf dem Bett Platz und strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Ich dachte, du magst sie vielleicht, Lila ist deine Lieblingsfarbe...", antwortete Suga monoton und richtete sich wieder auf, grub die Hände in die Bauchtasche seines Hoodies.
"War sie das? Mh..." Langsam strich sie über die großen Blüten, sah Suga dann wieder mit diesem seichten, seltsamen Lächeln an. Suga wusste, sie konnte nichts dafür, sie war bis oben hin zugedröhnt mit Schmerzmitteln, damit sie es überhaupt schaffte, sich zu bewegen und richtig zu atmen.
"...und Rot. Du magst Rot." Bewusst sprach er im Präsens, ließ sich von ihrem Gebrauch der Vergangenheitsform nicht aus dem Konzept bringen. "Ich kauf dir nächstes Mal eine in Rot.", setzte er dann noch hintendran und lehnte sich gegen die Wand, hielt bewusst diesen körperlichen und emotionalen Abstand zu seiner Mutter. "Nächstes Mal..." Sie seufzte leicht und lachte dann rasselnd auf, bevor sie zu husten begann und Suga sich augenblicklich von der Wand entfernte, sich vor ihr hinkniete. "Mom...", fing er an und füllte ihr fast panisch ein Glas Wasser von der Karaffe auf dem Nachttisch, doch sie schob ihn von sich und das so bestimmend und abwehrend, dass Suga das Glas aus der Hand glitt und zu Boden fiel.
"Geh...", gab sie kraftlos von sich und wandte sich von dem bestürzten Gesicht ihres Sohnes ab. "Bitte, Suga...geh einfach. Ich ertrag das so nicht."

Sugas Gesicht sah aus wie in Stein gemeißelt als er die Tür zur WG wieder hinter sich schloss. Er stellte nicht mal klar, ob er alleine war oder ob sich noch jemand von Pulse hier befand, er kickte sich die Schuhe von den Füßen und ließ seinen Rucksack einfach an der Tür liegen, begab sich dann ohne einmal nach links und rechts zu schauen in das kleine "Studio", wo er sich an das Klavier setzte, sich mit dem Unterarm dagegen stützte und seinen Kopf drauf fallen ließ. Den Blick starr auf die Tasten unter sich gerichtet, fing er mit einer Hand an, irgendeine Melodie zu klimpern, die ihm gerade in den Sinn kam, irgendwas, was dem Schlaflied ähnlich war, dass seine Mutter ihm damals vorgesungen hatte. Damals, als es nur sie beide zusammen gegeben hatte. Damals, als Suga mit seiner Mutter gegen den Rest der Welt gekämpft hatte.
Mittlerweile hatte er den Eindruck, sie kämpfte nicht mehr, mittlerweile kam es ihm so vor, als würde sie diesen leidenden Prozess nur beschleunigen wollen...ohne sich selbst aktiv umzubringen, denn das traute sie sich nicht.
Stattdessen trank und rauchte sie bis zum Umfallen, isolierte sich von allem und jedem, der ihr noch hätte gut tun können, zwang ihren Körper quasi dazu, kleinbei zu geben.
Suga presste die Lippen zusammen, schloss dann die Augen, seine Finger glitten mit einem dumpfen Ton von den weißen Tasten und er ballte sie in seinem Schoß zu einer Faust zusammen.
Er wollte einfach, dass es zu ende ging. Denn er hielt es auch nicht aus, ihr noch längere dabei zu zusehen, wie sie sich quälte. Er wusste auch überhaupt nicht, wieso er sie noch besuchte, wenn sie ihn doch nicht da haben wollte, wenn es sie nur noch mehr schmerzte, ihn vor sich zu sehen.