Minho wusste, nichts würde ihn in diesem Moment von V losreißen können und er würde in den tiefsten Kreisen der Hölle dafür brennen, dass es ihn so unglaublich anmachte, wie er die Bibel rezitierte, diese heiligen Wörter in seinen sündhaften Mund nahm.
Er verführte ihn, wie der sprichwörtliche Apfel im Garten Eden und würde er auch nur einen einzigen Bissen nehmen, würde er für immer aus dem Paradies verbannt werden.
Der Druck um seinen Hals verstärkte sich und Minho ruckte ein Stück nach vorne, konnte den Blick jedoch nicht von seinem Gegenüber nehmen, auch nicht als er seinen Atem heiß gegen seine Haut schlagen konnte.
Sein Herz schlug langsam, so langsam wie das einer Katze, die sich im hohen Gras versteckte, lauernd auf den richtigen Moment wartete. Im Hintergrund war Vs Handy weiter in der Playlist geskippt und Minho erkannte in den ersten Takten Judas von Lady Gaga und das Grinsen, das sich auf sein Gesicht schlich, das Funkeln in seinen dunklen Augen, war das eines abtrünnigen Engels, der Gefallen an dem Feuer der Hölle gefunden hatte.
„Hell knows I love taking risks.“, raunte er leise, seine Lippen streiften die des Älteren und noch immer lag dieser gewisse Abstand zwischen ihnen, der die Luft um sie herum knistern ließ.
Und in diesen wenigen Millimetern zwischen ihnen senkte Minho eine Hand zu dem Rosario um seinen Hals, brachte das umgedrehte filigrane Kreuz langsam an seine Lippen und küsste es, küsste diesen Tribut an den Teufel als endgültiges Zeichen, dass er bereit war, zu brennen, wich dabei diesem dunklen, intensiven Blick, der sich immer tiefer in ihn bohrte, nicht aus.
Er wusste gar nicht, wer von ihnen beiden sich vorgebeugt hatte, von wem es ausging, doch Minhos Lippen entwich ein raues Geräusch als sich diese weichen, warmen Lippen endlich, endlich auf seine senkten und seine freie Hand kroch über Taes Schulter nach unten, während er seinen Körper in einer fließenden Bewegung nach oben reckte, sich zwischen den Beinen des Schwarzhaarigen zu dem hämmernden Lied, das durch das Zimmer tönte, bewegte.
Er saß noch immer halb auf der Theke, was Minho quasi dazu zwang, den Kopf leicht in den Nacken zu legen, doch es machte ihm nichts aus. Verheißungsvoll und quälend langsam zog er seine tätowierten Hände über Vs Oberschenkel, übte hier und da leichten Druck aus, während er sich von dem Älteren so tief und bestimmend, so quälerisch provozierend küssen ließ, wie er es wollte. Wie Minho es wollte.
Er wollte es, er wollte alles an ihm und wenn er ihn ihn eintausend Stücke brach und den Scherbenhaufen liegen ließ.

I’ve learned love is like a brick, you can
build a house or sink a dead body
I’ll bring him down, bring him down, down
A king with no crown, king with no crown
I’m just a holy Fool, oh baby he’s so cruel
But I’m still in love with Judas, baby

Ein raues, gefährlich leises Lachen kroch aus der Kehle des Älteren, seine Augen rutschten von denen seines Gegenüber zu dessen Lippen. Das Lächeln in seinem Gesicht hätte nicht schmaler sein können; nicht unheilvoller, manischer zu dem Jüngeren durchdringen können. Und trotzem zuckte dieser nicht zusammen, wich nicht zurück, hing an seinen Worten, an seinen Lippen, als würde sein verdammtes Leben davon abhängen - was es auch tat. Allerdings lag es nun in Vs Händen, diese Seele vor den Tiefen des Hades zu schützen.. oder ihn in der Dunkelheit tappen, in der Ungewissheit verrotten zu lassen.
"..a deal with the Devil is better than no deal at all, hm?", raunte er, wickelte seine eigene Hand um die Lichterkette und neigte den Kopf leicht, streifte Minhos Lippen. Er hatte ihm das Ultimatum genannt, die Konsquenzen, den Untergang - aber nichts von alldem schien den abtrünnigen Engel von ihm weichen zu lassen. Und das; das regte etwas in ihm an, etwas, dass zum Zerreißen sehr wollte, dass er diese Distanz zwischen ihnen überbrückte. Er musste wissen, wie dieser Engel schmeckte, wenn er sündigte und sich später wünschen würde, er hätte sich dem Teufel niemals zugewandt. Keine Buße der Welt würde ihm beistehen - wenn Minho V jetzt küssen würde, ging er die Anfänge einer komplizierten, zerstörerischen Bindung ein, die ihn bis auf Mark erschüttern könnte. Die ihn verändern würde.
When you dance with the Devil, he doesn't change. The Devil changes y o u.
Und es passierte. Minho riss sich die heiligen Flügel aus dem Rücken, der Abstand zwischen ihren Gesichtern verringerte sich auf ein Minimum und durch die Musik getrieben trafen sie gewaltig aufeinander, Vs Verstand schaltete komplett ab, die Stimmen in seinem Kopf verstummten, wurden von ihm hinter einer Glasscheibe getrennt. Seine freie Hand, die Minhos Hals nicht an der Kette zu sich gezogen hielt, glitt fahrig an seinen Nacken hoch durch sein Haar, vergriffen sich an den Strähnen, der Kuss hatte nicht einmal ansatzweise zurückhaltend angefangen; hier wurde Feuer mit Feuer bekämpft. Augenblicklich rutschte V an die Kante der Theke, empfing den Jüngeren zwischen seinen Beinen - unbewusst, sein Verstand blieb weiterhin abegeschalten -, ihr Kuss vertiefte sich und wurde wild, unordentlich, seine Zunge drängte die des Anderen zurück in seine Mundhöhle, sofort markierte er seine höhere Machtposition. Um das weitaus stärker dazustellen, dass Minho ihm verdammt nochmal gehorchen musste, dass er sich dem Teufel in die Arme geschmissen hatte und jedes seiner sieben Sünden befolgen musste, zog er schmerzhaft fest an seinen Haaren, zwang ihnd dazu, in das Gesicht seines Verführers aufzugucken, den Kuss abzubrechen, nach mehr zu lechzen und es für diese Sekunden nicht zu bekommen.
V genoss diesen Anblick, genoss es, dass Minho versuchte, sich gegen den Griff zu sträuben, seine Oberschenkel umgriff, nicht aufhören wollte, die Aufmerksamkeit, die Lust des Teufels für sich zu gewinnen. Aus halbgeöffneten Augen blickte er auf ihn herab, ein böses, raues Lachen vibrierte in seiner Brust, langsam beugte er sich wieder zu ihm herunter, hob seine Hand mit der Kette an sein Kinn und öffnete seinen Mund etwas mehr. Schamlos leckte er ihm, quälend langsam und intensiv, über die Lippen, bevor sich seine Beine ruckartig um seine Hüfte schlangen und er seine Lippen wieder auf Minhos sinken ließ. Erbarmungslos, unnachgiebig, feurig.
Er war der Überzeugung, dass er sich nehmen konnte, was er wollte - und alles davon ausschöpfen würde. Einmal.. einmal musste es klappen; zum ersten Mal nach langer Zeit dachte er wirklich, dass er dazu fähig war. Dass er es überwunden hatte; die Monster in seinem Kopf schrien noch nicht auf, zerrten noch nicht an seinem Urteilsvermögen.

Ein leises Glucksen vibrierte in seiner Kehle und er schüttelte den Kopf, fuhr sich über die roten Augen. Er hatte seine Jungs bereits darüber belehrt, warum es sich nicht vermeiden ließ, beim Kiffen gerötete Augen zu bekommen, hatte ihnen eine dreiteilige Kurzfassung der Ursachen offenbart. Ob durch Blutdruckabfall und das dadurch resultierende Erweiten der Blutgefäße, oder die weniger fachsprachlich klingende Argumentation, dass die Augen durch den dichten Rauch und der darin enthaltenden Stoffe gereizt wurden - Jin wusste über seine Pflanzen und ihre Wirkung mehr, als die Leute auf offener Straße jemals erfahren konnten. Darin bestand kein Zweifel, schließliech handelte es sich bei keinem von ihnen um einen ehemaligen Arzt, der vermutlich der Beste seines Jahrgangs geworden wäre.
"Ich glaub's auch. Wie gut, dass ihr mich habt", witzelte er und neigte den Kopf leicht, starrte weiterhin in den sternenerleuchteten Himmel und grinste leicht. Dass es das Einzige war, was er hier leisten konnte, ließ er Außen vor; nur, weil er sich dazu verpflichtet hatte, seiner Gang.. für seine Familie da zu sein, war er noch kein Held. Noch lange nicht. Für ihn war es selbstverständlich, er hing an seiner neuen Familie und beschützte sie, wenn auch eher im Hintergrund, mit allen Mitteln.
Und trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass er ihnen hier etwas bieten konnte. Jin hatte sich in seinen 24 Jahren, die er bis jetzt lebte, immer noch nicht gefunden, wusste nicht, wo wirklich seine absoluten Stärken lagen; außer natürlich im gut-aussehen. Aber selbst gutes Aussehen hatte ihm in dieser Welt nicht immer geholfen.. vielmehr hatte es ihm, am Ende des Tages, nichts gebracht. Rein gar nichts.
Das war der Nachteil; mit schlechtem Gemüt zu kiffen, und auch noch die Fünfte, griff die Nervenzellen an, kramte ganz tief nach den schlechten, dunklen Erinnerungen, zwang das Unterbewusstsein dazu, sich damit auseinander zu setzen. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wieder und wieder und immer wieder, bis es einem auf der Zunge brannte, bis man vor Stillschweigen platzte.
"Irgendwann bin ich da auch. Da oben. Direkt neben meinem Besten, siehste?", er hob den Arm in Richtung Himmel, streckte den Zeigefinger aus und deutete auf den hellen, kleinen Stern, der wie aufs Stichwort - oder, es kam ihm durch seinen zugedröhnten Kopf einfach nur so vor (eindeutig) - auffunkelte. "Boah, er hat mir grad voll zugezwinkert..", murmelte er belämmert, ein leises Lachen kroch erneut aus seiner Kehle - doch war diesmal der Schmerz zu in seiner Stimme zu hören. Der leichte, unscheinbare Schmerz, der ihn tagtäglich heimsuchte, an seiner Seite lief wie ein zweiter Schatten, ihn unglaublich verschlossen gemacht hatte, was das Offenbaren von Liebesgefühlen anging.
Er hätte es besser wissen sollen, er hätte sich im Klaren sein müssen, dass es ihn kaputt machte, seine Gefühle, seine Ängste, in sich hineinzufressen. Dass er schon längst in Scherbenhaufen lag, schon viel zu lange, und nicht die Kraft aufwandte, aufzustehen. Denn jedes Mal, wenn er sich rührte, schnitten ihm die scharfen Kanten ins Fleisch, bis er blutete - er konnte nicht dagegen ankämpfen, ohne sich selbst weh zu tun.
Aber das schien in seinem bekifften Zustand um drei Uhr morgens etwas abzumildern. "Ich wäre fast Arzt geworden. Kurz vor den Staatsexamen schwört man einen Eid, dass man sich sowohl beruflich, als auch ehrenamtlich und moralisch dazu verpflichtet, Menschenleben zu retten." Gepresst kichernd schüttelte er den Kopf, verharmlosend, vertuschend - verzweifelt. "Aber er is' trotzdem da oben. Einfach so. Ausgerechnet der, der mir am wichtigsten gewesen war - den konnte ich nicht mal eben retten. Jeden anderen, aber nicht ihn." Und da war es: Der Schmerz in seiner Brust, der ihn innerlich so zerriss, dass er kurz das Gesicht verzog und den Blick von den Sternen abwandte. Es tat weh, ihn dort oben zu sehen, anstatt ihn an seiner Seite zu wissen.
Anstatt ihm jemals gestanden zu haben, was er für ihn empfunden hatte.
"....wie hast du Luca eigentlich kennengelernt?", fragte er plötzlich wie aus dem Nichts, zusammenhangslos - jedenfalls so halb. Ganz ohne Zusammenhang war es nicht, wenn man seine Gedankengänge mitgekriegt hätte - aber gerade jetzt brauchte er eine Geschichte über zwei Liebende, eine, die nicht so hoffnungslos schien, wie seine gesamte Existenz.

Sugas Blick folgte Jins Finger in den Himmel und als er einen der vielen Sterne dort oben als seinen besten Freund betitelte, presste er die Lippen leicht zusammen, sagte jedoch erstmal nichts, sondern ließ Jin reden, ihn sein Herz ausschütten.
Dass Weed, so wie fast jede Droge einem die Zunge lockerte, war nichts Neues mehr für ihn, doch selbst bei all den Malen, die er Jin jetzt schon stoned erlebt hatte, hatte er nie erwähnt, dass er seinen besten Freund verloren hatte.
Wortlos zog Suga an seiner Kippe, zog den giftigen Rauch tief in seine - von dem ganzen Nikotin - sicher schon pechschwarze Lunge. Eigentlich sollte er es besser wissen, seine Mutter hatte der Lungenkrebs damals hingerafft und wenn er so weiter wie ein Schlot rauchte, würde ihn wahrscheinlich dasselbe Schicksal ereilen.
Jin war einen Moment still, bevor er auflachte und jedem normalen Menschen wäre dabei nichts aufgefallen, doch Suga bemerkte den Schmerz, den er versuchte, hinter diesem Lachen zu verstecken, bemerkte die Bitterkeit, die zehrende Verzweiflung in der Stimme des Älteren.
Ausdruckslos beobachtete er den weißen, leuchtenden Punkt am dunklen Nachthimmel, bevor er seinen Blick zu dem Blonden gleiten ließ, seiner Erzählung lauschte.
„Mh...nur die Guten sterben jung.“, bemerkte er schließlich, schnipste den aufgerauchten Zigarette dabei vom Dach und folgte seinem Fall, bis er den glimmende Stängel aus den Augen verlor. Vielleicht war das der Grund, wieso er immer noch lebte. When you’re in a garden, which flowers do you pick? - the most beautiful ones.
Suga zog die Knie enger an seinen Körper, stützte seine Arme darauf. Es war schwer, sich nicht selbst die Schuld zu geben, wenn man von dem Menschen, der einem am wichtigsten war, verlassen wurde. Es war so, so unglaublich schwer, sich nicht darin zu verlieren und Suga wusste das selbst nur zu gut.
Jin hatte jemanden verloren, jemanden den er nicht hatte retten können obwohl er Aussichten auf eine erfolgreiche Karriere gehabt hätte...
„Hast du's deswegen aufgegeben?“
Im Gegensatz zu Jin, dessen Worte ein leichtes Kichern begleitete, klang seine Stimme genauso wie immer, hatte irgendwie etwas beruhigendes an sich. Selbst jetzt zeigte Suga nicht viel Emotionen, auch wenn Jins nächste Frage in seinen dunklen Augen etwas flackern ließ, was eine Mischung auf so vielen Gefühlen auf einmal war.
Suga gab ein leises Geräusch von sich, während er den Blick auf den Abgrund senkte, der sich vor ihnen auftat, bevor er den Kopf neigte und dem Älteren ein schwaches Grinsen schenkte.
„Ich schätze, hätt ich Luca nicht getroffen, wär ich jetz auch irgendwo da oben.“

Flashback Dezember 2016

Es war absolut unmöglich, zu unterscheiden was Zigarettenqualm und was sein eigener Atem war, der sich aufgrund der bitteren Kälte in weißen Wolken vor seinem blassen Gesicht niederschlug. In eine schwarze - nicht wirklich wärmende Jacke - eingeschlagen bewegte Suga sich durch die Masse an Menschen, die versuchten, noch auf den letzten Drücker Weihnachtsgeschenke zu ergattern. Selbst hier - in den eher abgelegeneren Straßen Seouls war die Hölle los - und der Strom an Menschen schien ihn einfach mit sich mitzuschieben. Niemand beachtete ihn wirklich, jeder war mit sich selbst beschäftigt, hastete durch die Straßen, warf dem drahtigen Zwanzigjährigen mit den tätowierten Fingerknöcheln und den verwaschenen grauen Haaren keinen einzigen Blick zu, als würden sie alle seine Präsenz nicht mal wahrnehmen.
Suga ging einfach weiter, er hatte kein wirkliches Ziel, wie immer wanderte er einfach durch die Gegend. Am Morgen hatte er sich noch mit RM getroffen und sie hatten den ausgemachten Plan in die Tat umgesetzt. Ihn und seinen Squad auf die Gästeliste der großen Silvestergala in der Stadthalle zu setzen, damit sie dort unter den Anwesenden ihr Drogengeschäft ausweiten konnten, war ein Fingerschnipsen für Suga gewesen. Er hatte nichts gegen die Jungs, doch dass ihr „Anführer“ ihm in Aussicht gestellt hatte, ihn in ihren Reihen aufnehmen zu wollen, war...komisch. Sie schienen ziemlich viel von ihm und seinen Fähigkeiten zu halten und Suga konnte es ihnen nicht mal wirklich verübeln, da er sich die letzten drei Jahre zwar unauffällig verhalten hatte, aber gewiss nicht untätig gewesen war...er hatte sich seinen Ruf geschaffen - und das nicht nur, weil ihm der Zusammenbruch der Serpents, der Gang seines eigenen Vaters nachgesagt wurde.
Er wusste gar nicht mehr, für wen er alles Gefallen erledigt hatte, sich damit in Geld, das ihm nichts bedeutete, Frauen, die ihm noch weniger bedeuteten, Drogen, denen er größtenteils abgeschworen hatte, hatte aufwiegen lassen.
Die Hände in den Jackentaschen vergraben bog Suga in die nächste Gasse ab, nahm dann noch einen tiefen Zug von seiner Kippe und stieß den Rauch zwischen den Zähnen aus, richtete seinen Blick vorne und...blieb an einer näherkommenden Gestalt hängen.
Der Typ, der auf ihn zukam, konnte nicht älter als er sein, eher noch ein, zwei Jahre jünger, wenn man sich sein unschuldig aussehendes Gesicht, die feinen Konturen betrachtete, die zarten, fast feminin wirkenden Gesichtszüge, die von den zuckerwatterosa Strähnen umrahmt wurden.
Er war ungefähr so groß wie er, sogar noch etwas kleiner, dafür jedoch definitiv besser gebaut, obwohl man das durch die dicke Daunenjacke, die er trug nicht wirklich erkennen konnte. Er hatte sie nicht ganz geschlossen und als er näherkam, blitzte zwischen seinem Kragen schwarzes Leder hervor...er trug ein Halsband.
Suga wusste nicht, was genau an ihm den Blick seiner schmalen Augen auf den Fremden gelenkt hatte, ob es diese seltsam anziehende, leuchtende Präsenz des Rosahaarigen war oder ob es einfach daran lag, dass auch Suga seinen Blick auf sich gespürt hatte. Er sah ihn direkt an, nicht durch ihn hindurch, nicht an ihm vorbei...und er hielt immer noch auf ihn zu.
Suga hatte schon allerlei Blicke zugeworfen bekommen, doch meistens handelte es sich bei diesen - wenn die Leute nicht versuchten, seinem eigenen einschüchternden Blick auszuweichen - um welche, die Ehrfurcht vor seinem Namen in sich trugen. Das hier war so anders und...fremd und es schien die Kälte des Winters zurückzuzwingen.
Er wusste nicht wieso er plötzlich das Gefühl hatte, die Zeit würde still stehen, alles um sie herum würde in einem Rausch aus Geräuschen, bunten Lichtern und Farben verschwimmen und er wusste auch nicht, wieso sich um seine glimmende Kippe plötzlich ein schiefes Lächeln formte, als der Rosahaarige ihn so strahlend und fröhlich angrinste, als würde in seinem Gesicht gerade die Sonne aufgehen.
Suga zog an seiner Kippe, in dem Moment, in dem sie aneinander vorbeigingen und der silberne Dunst, den er zwischen seinen Lippen ausstieß, schien dem Fremden nachzuwehen, ihn kurz einzuhüllen, bevor er sich auflöste. Suga drehte sich nicht um, blieb auch nicht stehen, zog nur kurz irritiert die Augenbrauen über diese seltsame Begegnung, dieses seltsame Gefühl in seiner Magengrube zusammen.

Zwei Tage vor Heiligabend Geburtstag zu haben wäre für die meisten ein reinstes Chaos gewesen; aber Luca mochte es, im Monat der Bescherungen geboren worden zu sein. Es war überhaupt ein Wunder, dass seine leiblichen Eltern gnädigerweise den Geburtstag des damals Neugeborenen auf den Zettel drauf geschrieben hatten. Damals im Waisenhaus hatte es selten Kinder gegeben, die ganz genau wussten, wann sie geboren worden. Luca stach aus ihnen heraus, hatte mindestens einmal jeden Monat stolz verkündet, dass er einen Geburtstag besaß, der auch wirklich stimmte. Der 22. Dezember war ein Tag, und den ließ er sich von niemandem nehmen. Weder seine Freude daran, noch dieses Lichtlein, dieser kleine, winzige Teil in ihm, seine Hoffnung, dass seine leiblichen Eltern, vielleicht, tief in ihrem Inneren, an ihn dachten. Am heutigen Tag.
Gut gelaunt vergrub er seine Hände in den Taschen seiner Daunenjacke, grinste vor sich hin und hörte bestimmt schon zum einhundertdrillionsten Mal All I want for christmas is you. Er brauchte noch ein Geschenk für Minho.. lustigerweise besorgte er es an seinem eigenen Geburtstag, weil er sonst nicht mehr dazu kommen würde. Er hatte allerdings konkret vor Augen, was er ihm diese Weihnachten schenken wollte; zudem begleitete ihn die gute Laune seines Geburtstages, nichts könnte ihm den Tag versauen. Nichtmal die Tatsache, dass er morgen, kurz vor Heiligaben, noch eine Lieferung tätigen musste.
Der frischgebackene 19 Jährige hob den Kopf, bog in die nächste Gasse ein, die einen verkürzten Weg zur Einkaufsmeile darstellte, und sah eine Person auf ihn zukommen. Besser gesagt, jemand in.. seinem Alter, schätzte er, und aus irgendeinem Grund hing der Blick des Pinkhaarigen an seinen grauen Haaren, an seiner Zigarette, an seinem Gesicht. Er kannte ihn nicht, noch hatte er ihn schonmal gesehen; wie auch, bis vor knapp einem Monat waren Minho und er noch in Europa unterwegs gewesen. Aber.. er zog Lucas Aufmerksamkeit auf sich, vielleicht gerade weil er einen starken Kontrast zu ihm bildete, aber.. Er war so gut gestimmt, voller Lebensfreude und aufrichtiger, funkelnder Wärme umgeben, dass er dem Drang nicht widerstehen konnte, dem Fremden, alsbald er aufschaute, ein Lächeln zuzuwerfen. Ganz automatisch, ganz natürlich. Ein sanftes, breites Lächeln, das lediglich dieser einen Person hatte gelten sollen. Vielleicht war es der Zauber der Nächstenliebe, dass Luca ihm ein Lächeln auf dem Weg mitgeben wollte - und sogar, er dachte fast er hätte es sich eingebildet, ein Lächeln zurückbekommen hatte. Ein schiefes, dass die verbitterten Züge durchbrochen hatte.
Kurz, im Bruchteil einer Sekunde, in welcher sie aneinander vorbeigingen, fragte er sich, ob dem Fremden schonmal gesagt wurde, wie schön das Lächeln gewesen war. Dass es ihm, selbst wenn er es wahrscheinlich, wie Luca vermutete - so schätzte er ihn innerhalb weniger Sekunden ein - nicht geglaubt hätte, stand. Aber diese Art von Gedanken verflog sofort, langsam senkte Luca während dem Gehen den Blick vor sich, gerade schmetterte Mariah Carrey ihre Highnote - und sein Kopf schnellte leicht nach hinten, er warf dem Grauhaarigen, der sich immer weiter von ihm entfernte, einen Schulterblick zu und grinste schief in sich hinein. Was der wohl von ihm gedacht haben musste, so strahlend, wie er ihn angeblickt hatte? Blöd, dass es solche Chancen nur einmal gab.
Doch für gewöhnlich hieß es ja: Man sieht sich immer zweimal im Leben.

"....oh shit!", tollpatschig kraxelte Luca aus dem Bett, zog sich die zerrissenen Jeans über die Boxer und angelte schnell seine Klamotten vom Boden auf. Minho und er hatten gestern Nacht ordentlich die Sau rausgelassen - nicht nur beim Feiern, verstand sich - und damit hatte Luca jetzt büßen müssen; er hatte mit dem Jüngeren bis fünf Uhr Abends durchgepennt, allerdings war er schon um Vier mit dem Kunden verabredet gewesen. "Shit shit shit, ich muss los", richtete er hektisch an den Dunkelhaarigen, zog sich die dunkelblaue Sweatshirtjacke über das weiße T-Shirt, schlüpfte in seine Daunenjacke und in die abgenutzten, senfgelben Timberlands, und schnappte gerade noch so den Zettel mit den Angaben und den Stoff selbst.
Keine zwei Minuten später war er auf dem Weg zu dem.. Hotel? Er schätzte, dass die Krakelschrift auf dem Zettel 'Hotel' aussagte, und fand sich nach einem verwirrenden Fußmarsch durch den Schnee im Hotel des besagten Kundens wieder, der sicherlich auf ihn warten musste. Ohne große Umschweife, da auch die Zimmernummer drauf vermerkt war, ging er zum Aufzug, stieg ein und warf einen Blick auf das Stockwerk- .....sollte das eine 6 oder 8 sein? Er konnte es nicht entziffern.. gott, wer schrieb denn auch so undeutlich? Wahllos drückte er einfach auf gut Glück die 6. Müsste schon stimmen.

Zapp. Suga bewegte sich nicht, blinzelte nicht mal, jeder Betrachter von Außen hätte annehmen können, er wäre in einem Film und man hätte die Pausetaste gedrückt.
Nur das minimale Zucken seines Daumens auf der Fernbedienung und das Wechseln des Programmes auf dem Fernseher vor ihm zeugte davon, dass dem nicht so war.
Zapp.
Er wusste nicht, wie lang er nicht mehr geschlafen hatte, doch es war sicher Tage her. Doch auch gerade jetzt, befand er sich nicht wirklich im wachen Zustand, driftete irgendwo zwischen Traum und Realität und seine Augen waren durchzogen von einem glasigen Schleier.
Zapp.
Scherben glitzerten wie Schneeflocken auf dem beigefarbenen Teppichboden, waren unter seinen Boots zu feinstem Staub zerbröselt als er über sie gestiegen war. Als das Zimmermädchen heute morgen reingekommen war, hatte er eine Bierflasche nach ihr geschmissen, die an der Wand über ihr in eintausend Teile zersprungen war. Seitdem hatte sich niemand mehr gewagt, an seine Tür zu klopfen und Suga war sich fast sicher, dass er das Mädchen so zu Tode erschreckt hatte, dass sie sich einfach nicht getraut hatte, es jemandem zu verraten. Dumpf erinnerte er sich daran, sie angebrüllt zu haben, doch das konnten auch nur die Stimmen in seinem Kopf gewesen sein. Wenn er betrunken war, wurden die Monster in seinem Innern laut.
Zapp.
Er schaltete wieder um, neigte bei der schrillen, bunten Autowerbung, die ihm entgegenstrahlte, dann weiter zu einem Unterwäschemodel sprang, leicht den Kopf. Wie man versuchte, sie mit allen Mitteln auf Bullshit wie Autos und Klamotten geil zu machen, sie versuchte dazu zu verführen Scheiße zu kaufen, die niemand brauchte. Langsam gruben sich Sugas Zähne in seine Unterlippe, während er sich in dem grellen Flimmern des Bildschirms verlor, sich beschallern ließ von Werbung und Product Placement, von dem utopischen Traum, es wäre so einfach, sich ein schönes Leben zu machen, wo sie doch in Wirklichkeit alle ohne Bestimmung, ohne Sinn nur umher irrten.
Es wurde kein großer Krieg geführt, es gab keine große Depression, keine Hungersnot, es gab keine Helden mehr, alles was zählte war Konsum. Geld, Drogen, Autos, Kleider, Frauen, Sex. Es gab soviel, von dem man abhängig werden konnte. Man wurde aufgezogen in dem Glauben, jeder könnte ein Filmgott, Rockstar oder Milliardär werden.
Zapp.
Dabei waren sie doch im Endeffekt alle dasselbe. Suga hatte es gesehen. Er hatte gesehen, dass sie alle gleich waren, alle gleich rot bluteten, alle gleich vor Schmerzen schrien, egal ob arm oder reich. Im Endeffekt waren sie nichts weiter außer Klumpen von Fleisch, aufrecht gehalten von einem Sack voller Knochen.
Und auch das würde vergehen, zerfallen, bis nichts mehr von ihnen übrig war.

Fast verachtend spannte Suga den Kiefer an, schmiss die Fernbedienung dann mit voller Wucht in den Bildschirm, dessen dünne Oberfläche sofort zersprang. Stille kehrte ein und Suga atmete zitternd aus, starrte auf die leicht rauchenden Überreste des Fernsehers vor sich, bevor er sich auf die Beine zog, dabei die fast leere Flasche vom Boden angelte und exte.
Er wusste nicht, wie er in das kleine, versiffte Bad gekommen war, doch als er sich im Spiegel ansah, seinen Blick über die mit schwarzen und lilanen Flecken übersäten Armbeugen gleiten ließ, schließlich an dem großen Schlangentattoo auf seiner Schulter hängen blieb, wurde ihm für einen kurzen Moment schwarz vor Augen und ihm wurde speiübel.
Fest krallten sich seine langen Finger in das billige Keramik des Waschbeckens, automatisch stieg ihm der Geruch von Blut und Schweiß in die Nase, es war fast so als könnte er die Männer seines Vaters noch lachen hören, diese Griffe um seine Gelenke noch spüren, noch fühlen, wie sie auf ihn eingeschlagen hatten, bis er sich vor Schmerzen krümmend auf dem schmutzigen Boden gelegen hatte.
Langsam glitten Sugas Finger zu seinem Hals, als seine Atemwege sich zusammenzuziehen schienen, er konnte den schweren Stiefelabsatz spüren, der drohte, seine Luftröhre zu zerquetschen, die verschwommenen Gestalten der Männer wie drohende Schatten hinter sich lauern sehen.
Sein Sichtfeld begann ein wenig zu flimmern und Suga vergrub sein Gesicht in seinen bebenden Händen, während sich das betäubende Gefühl in seinem Körper immer weiter ausbreitete, die Lautstärke in seinem Kopf jedoch so anzuschwellen schien, dass es sich anfühlte, als würde sein Schädel jeden Moment bersten.
Er bekam keine Luft, er bekam keine Luft.

Der Grauhaarige wusste nicht, ob Stunden, Minuten oder Sekunden vergangen waren, doch er fand sich auf den kalten Fliesen wieder, seine schweißbedeckte Stirn gegen die Kacheln gedrückt. Langsam schob er sich in eine sitzende Position, sah zurück ins Zimmer, bevor er sich auf die Beine zog und sich auf der Bettkante niederließ.
Er war müde.
Ohne wirklich hinzusehen tasteten seine Finger nach dem Nachtisch, nach der Flasche Tabletten, die darauf stand. Nur verschwommen konnte er die Buchstaben darauf wahrnehmen, doch Suga wusste was es war und während er den kompletten Inhalt des kleinen Fläschchens auf dem Bett auskippte, öffnete er die letzte Bierflasche, die auf dem Boden neben zahlreichen leeren gestanden hatte und setzte an. Immenoctal. Schlafmittel...bei seinem mickrigen Gewicht würden 6 Gramm wahrscheinlich schon reichen. Die Bierflasche in der Hand griff Suga nach einer Handvoll der weißen Pillen, ließ sie als wären sie Zuckerbonbons in seinen Mund fallen und schluckte.
Er war so scheiße müde.
Zwischendurch nahm er immer wieder einen Schluck, schloss irgendwann die Augen und ließ sich rücklings in die weißen Kissen sinken, starrte aus halb geschlossenen Augen an die Decke, ohne das Gesehene wirklich in ein Bild zusammenzusetzen.
Sein Kopf fühlte sich seltsam leer an, alle seine Sinne schienen nur noch gedämpft das wahrzunehmen, was um ihn herum war. Langsam drehte er sich auf die Seite, versuchte seine Fingerspitzen zu bewegen, doch stattdessen glitt ihm die halbvolle Flasche aus der Hand, krachte zu Boden und zersprang in einen weiteren Haufen Scherben.
Suga nahm den Aufprall nicht mal wirklich wahr, seine Hand schloss sich um den nächstbesten Gegenstand zusammen und Suga ließ das Feuerzeug leise klicken, beobachtete die tanzende Flamme aus fast geschlossenen Augen, während sich eine Art Kribbeln anfing, von seinen Beinen in seinem Körper hochzuarbeiten.
Seine Lider wurden schwerer und schwerer und das Feuer in seiner Hand erstarb als Sugas Kopf beiseite rollte, er die Schwärze, die ihn umfing, willkommen hieß.
Sterben war friedlich, leicht.
Leben war schwerer.

Suga merkte nicht mehr, was alles um ihn herum passierte, wie der Fremde von gestern plötzlich in das Zimmer gestürzt kam, ihn als hätte er kein Gewicht packte und ins Bad schleppte, ihn an sich presste, versuchte ihn zum Würgen zu bringen. Wie eine Marionette, der man die Fäden in einem sauberen Zug abgetrennt hatte, rollte sein Kopf auf die Seite, seine Lider zuckten nicht mal, als das kalte Wasser auf sie prasselte, sich in sein weißes Tanktop sog, ihn und den Fremden bis auf die Haut durchnässte, sein Atem hatte komplett ausgesetzt, sein Herz aufgehört, um das Leben zu kämpfen.
Er wusste nicht, dass jemand bei ihm saß, ihn festhielt, ihn versuchte, ins Leben zurückzuholen.
Denn dort, wo er war, war er ganz alleine.
Er schien zu schweben, ohne Bestimmung oder Ziel, durch Zeit und Raum zu gleiten. Und plötzlich stand er in einem Haus, umschlossen von Flammen, die drohend an seinen Beinen leckten, ihm jedoch nichts anhaben konnten, er konnte gedämpfte Schreie hören, Schläge, das Geräusch eines aufspielenden Klaviers.
Sugas Blick glitt beiseite, durch die offen stehende Tür in das nächste Zimmer, das aussah wie das Innere eines Krankenhauses. Er konnte die Frau sehen, die dort in dem Bett lag, konnte die Schläuche sehen, die man an ihre dünnen Arme geschlossen hatte, das konstante Piepen des Herzfrequenzmessers. Er wollte sich bewegen, doch er kam nicht von der Stelle, musste dabei zusehen, wie sich eine hochgewachsene Gestalt in den Türrahmen schob, ihm die Sicht versperrte.
Auch wenn der Mann im Schatten stand, konnte er das große Tattoo der Kobra, das sich über seinen kahl rasierten Hinterkopf schlängelte, sehen und Suga starrte seinem Vater entgegen, als er sich schließlich zu ihm umwandte, in der Hand eine aufgezogene Spritze mit einer Flüssigkeit, die Suga nur zu gut vertraut war.
Sofort schienen die Flammen um ihn herum heller aufzuflackern, umschlossen ihre beiden Silhouetten während sein Vater auf ihn zukam, ihm an Arm packte, obwohl Suga sich sträubte, die Nadel ansetzte und den Kolben herunterdrückte.
Sofort umschloss ihn Schwärze und er schien rücklings nach hinten zu fallen, in der Dunkelheit abzustürzen, während eine Frauenstimme verzweifelt seinen Namen schrie, doch da war noch eine zweite Stimme, eine Stimme, die ihn fast anbettelte zu atmen, durchzuhalten, zu ihm zurückzukommen.
Durchhalten? Suga streckte die Hände aus, versuchte in der Schwärze nach etwas zu greifen. Zurück zu ihm?
Atmen?
Atmen.
Er musste atmen und Sugas Körper durchzog ein Ruck, als er sich in den Armen des Rosahaarigen aufbäumte und erbrach.
Sofort sackte er wieder in sich zusammen, seine Augen öffneten und schlossen sich gleich wieder und er versuchte nach Luft zu schnappen, Sauerstoff in sein unter Schock stehendes Hirn und in seine Lunge zu pumpen, aber irgendetwas in ihm weigerte sich, irgendetwas in ihm wollte nicht leben.
Irgendjemand schrie, brüllte vor Schmerzen als würde man ihn foltern und Suga bemerkte nicht einmal, dass es seine eigene Stimme war, bemerkte die Arme, die sich um seinen Körper legten, die ihn festhielten nicht mal, er schrie und brüllte, bis sich das kalte Wasser auf seinem Gesicht mit heißen Tränen vermischte, bis er unfähig, sich richtig zu bewegen, einfach wieder halb bewusstlos wurde.
Irgendjemand...irgendjemand zwang ihn am Leben zu bleiben, irgendjemand wollte ihn nicht gehen lassen und Suga würgte, bis nichts mehr in seinem Magen war, was er hätte auskotzen können, bis Sauerstoff seine Atemwege flutete.
Erst jetzt sah er die wabernden Umrisse der zweiten Person so wirklich, konnte die rosafarbenen Haare ausmachen, die dunklen Augen...der Junge von gestern.
Es war das letzte, was er wahrnahm, bevor er wieder ohnmächtig wurde.

Er hätte nicht gedacht, dass er jemals wieder seine Augen öffnen und dieses versiffte Zimmer vor sich sehen würde. Suga senkte seine Lider, drehte den Kopf leicht beiseite und atmete aus, versuchte sich aufzurichten. Seine Lunge brannte wie Feuer und er hatte den Geschmack von Erbrochenem im Mund, seine Haare waren feucht und...er war nicht allein.
Hätte nicht jeder Muskel in seinem Körper protestierend geschrien, hätte Suga nach der Walther unter seinem Kopfkissen getastet und die Knarre aus Reflex auf den Fremden gerichtet, doch als er den Rosahaarigen ansah kehrte seine Erinnerung Stück für Stück zurück und Suga ließ den Kopf leicht sinken, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht.
„Fuck, man...“, murmelte er und seine Stimme klang noch rauer als sonst, sein Hals fühlte sich an, als hätte man ihm einen glühenden Schürhaken hineingeschoben und dumpf erinnerte er sich daran, in der Badewanne gebrüllt zu haben als wäre er von allen guten Geistern verlassen.
Ausdruckslos starrte Suga einen Moment lang auf die zusammengeknüllte Decke vor sich, bevor er seinen Blick wieder auf den Jüngeren richtete und den Mund leicht verzog, da war keine Spur von Dankbarkeit in seinem Blick, nichts in seinem Gesicht zeugte mehr davon, dass er vor diesem Fremden eine Seite offenbart hatte, die noch niemand zu Gesicht bekommen hatte.
Eine Seite, die aufgegeben, die abgeschlossen hatte und Sugas Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Hat man dir nicht beigebracht, sich nicht in die Angelegenheiten von andern einzumischen?“

Lucas Atem ging stockend, rasend, sein Herz polterte, setzte aus, hämmerte und brachte das Blut in seinem Körper zum Rauschen, vor Panik, vor negativem Adrenalin, ein Adrenalinschub, den er niemandem gewünscht hätte, besonders keinen Nahestehenden - er wusste nicht, was er tat, er wollte den Jungen in seinen Armen nicht loslassen, er wollte ihn nicht in die Dunkelheit abrutschen lassen, nicht eine Sekunde lang dachte er daran, dass er ihn nicht kannte. Dass er keinen Bezug zu ihm hatte, dass er der Letzte hätte sein sollen, der ihn vor dem Tod bewahrte.
Trotzdem saß er, Luca Park, mit dem Fremden zwischen seinen Beinen, unter dem kalten Wasserstrahl, zwang ihn dazu, die Überdosis auszukotzen, die kleine Kerze der Hoffnung, die Flamme, schien immer kleiner zu werden, der Funken wollte ihn verlassen. Der Blasse regte sich nicht, doch Luca sah es nicht ein, aufzuhören, er würde nicht aufgeben, nicht ohne absolut alles in seiner Macht stehende getan zu haben. Ihm war es gleich, ob sie jemand sehen oder hören konnte.
Es war ihm alles, alles, alles scheiß egal - außer Er.
Plötzlich, nach einer gefühlten, qualvollen Ewigkeit, in der er mit seiner Hoffnung und sich selbst hatte kämpfen müssen, schien Leben in dem Grauhaarigen zu erwachen, Luca spürte an seinem anderen Arm, der um seinen Bauch geschlungen war, wie er sich verkrampfte, zusammenzog, instinktiv zog er seine Finger weg; aber ihn ließ er nicht los Selbst als er sich übergab, selbst als der markerschütternde Schrei seine Gehörgänge zerschnitt, als er versuchte, sich zu befreien, weiterschrie, Lucas Stimme dahinbrökelte, er schlang seinen zweiten Arm um ihn, musste dagegen ankämpfen, gegen seine Wehrversuche, hätte selbst einen Kinnhaken in Kauf genommen, eine Faust ins Gesicht, scheiß egal - er ließ ihn ums Verrecken nicht los, sein Herz pochte wie verrückt.
Er ließ ihn schreien, er ließ ihn weinen, er ließ ihn diesen Schock, diesen unfreiwilligen Schock durchleben, der ihn mehr beeinflusste als er jemals erwartet hätte. Dieser Junge.. hatte gelitten, so sehr, so massiv, es zerriss sein Herz in Fetzen, und wenn Luca ihn gekant hätte, wäre er in Tränen ausgebrochen. Gerade riss er sich wahnsinnig zusammen, und als er merkte, dass die Kraft langsam schwand, dass er immer leiser und immer schwacher wurde, wanderte seine Hand an seine Stirn. Mechanisch streichelte er ihm über die nasse Haut, strich seine nassen Haare zurück, wisperte ein Mantra, dass allmählich, bis der Grauhaarige dem Chaos in seinem Inneren die Freiheit geschenkt, das Einzige Echo im Geplätscher des Wassers blieb. Das einzige, dass in der nackten, zerbrochenen Stille eine bedeutende Rolle spielte.
"It's okay... It's okay... It's okay..."
It's okay, do you hear me? It's okay that you felt like you shattered into thousand pieces and never thought about ever being able to glue them back together again. It's okay.

But you're not okay.

Sttillschweigend saß Luca auf dem Holzstuhl neben dem Bett, er hatte sich weder umgezogen, noch um irgendetwas anderes gekümmert, dass ihn selbst anbelangte - was den Grauhaarigen anging, hatte er weitaus mehr getan. Er hatte ihn aus der Badewanne gehoben, ihn aus den nassen Klamotten befreit, ihn abgetrocknet, ihm neue Klamotten, die er irgendwo auf dem Boden hatte rumliegen sehen, angezogen und ihn in seine eigene Daunenjacke vergraben. Als Schutz, als Stütze, als eine Art Decke für den kalten Körper.. der Lumpen auf seinem Bett hätte es nie getan, trotzdem lag er ebenso um den schmächtigen Körper des Fremden.
Und Luca? Er hatte sich keinen Zentimeter von ihm wegbewegt, nichtmal um sich selbst zu trocknen, nichtmal um nach seinen Kunden zu gucken, die gingen ihm komplett am Arsch vorbei. Sein Handy hatte er nicht angerührt, seit er hier rein war, benachrichtigte niemanden, wo er sich aufhielt - die Sorge um den Grauhaarigen übermannte ihn, nahm ihn so unglaublich ein, dass er sogar seinen eigenen scheiß Namen vergessen hatte.
Als er eine Regung in seinem Gesicht beobachtete, lehnte er sich leicht nach vorne, wollte nicht hektisch oder aufdringlich wirken, weswegen er sich eher zurückhielt. Obwohl er am liebsten wieder direkt an sein Gesicht gelangt hätte, einfach um seine Körpertemperatur abzuchecken.
Er wartete geduldig, bis der Grauhaarige ihn selbst bemerkte - und augenblicklich fühlte er sich.. komisch. Er hatte selbst in der Stille, in den Stunden, in denen er darauf gewartet hatte, dass er wieder aufwachte, nicht eine Sekunde daran gedacht, wie das alles hier rüber kam. In was er sich da reingeritten hatte. Erst jetzt, erst, als er direkt damit konfrontiert wurde, fiel es ihm auf. Er war ein Fremder und.. hatte einen, den er nicht konnte, vom Suizid abgehalten. Ohne Vorwand, ohne Hintergrundwissen.. einfach so.
Die Frage 'wie gehts dir' stellte er erst gar nicht, seine Augen funkelten besorgt auf und er rutschte etwas an die Stuhlkante, versuchte etwas aus seinem Gesicht herauszulesen; und erkannte diese.. wie es ihm schien, Feindseligkeit in dessen Augen. Die Worte trafen ihn hart, irgendwie, doch hatte er auch nicht wirklich erwartet, etwas positives zu hören. Wieso auch.. er hatte irgendwo Recht. Und irgendwo auch wieder nicht.
"En..Entschuldige, ich.. ich dachte-", stammelte er, brach jedoch sofort ab und schloss den Mund, schluckte leicht. Seine Kehle war staubtrocken, er räusperte sich leise, senkte den Blick, sammelte sich, und hob ihn entschieden. "Als ich hier rein bin, wurde es auch zu meiner Angelegenheit." Er klang nicht fest oder streng, oder irgendwas in der Hinsicht, vielmehr klang er.. vorsichtig, irgendwie.. etwas niedergeschlagen. Einfach, weil.. weil diese fucking Entscheidung verdammt schwer gewesen war, und er sich niemals hätte vorstellen können, ihn dort seinem eigenen Schicksal überlassen zu haben.

Suga schnaubte, schälte sich dabei aus der Jacke - die der Fremde ihm anscheinend übergezogen hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass er sich wohl auch darum gekümmert hatte, dass er aus den nassen und klammen Klamotten rauskam und der Grauhaarige fixierte den Jüngeren mit einem undeutbaren Blick.
Es irritierte ihn, alles an ihm...machte keinen Sinn. Wieso würde jemand Fremdes einfach in seinem Zimmer aufkreuzen, bemerken, dass er gerade dabei war zu verrecken und dann Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn da wieder rauszuholen?
Suga grub seine Zähne in seine Unterlippe, warf dem Jüngeren seine Jacke wieder zu und schwang die Beine aus dem Bett, seine Boots streiften den von Glasscherben übersäten Boden.
„Du hättest mich einfach in Ruhe verrecken lassen sollen, kid.“, murmelte Suga, richtete sich einfach auf, obwohl er sich fühlte, als hätte man ihn mit einem Truck überfahren.
Ein wenig umständlich, da er irgendwie kein richtiges Gefühl in den Fingern hatte, kramte er nach der Zigarettenpackung, die irgendwo abseits vom Bett lag, angelte nach seinem Feuerzeug und schob sich eine der Kippen zwischen die Lippen. Die kleine Flamme erhellte seine kränklich blassen Züge für einen kurzen Moment und Suga hob in dem Moment den Blick, richtete ihn wieder auf den seltsamen Eindringling, auf seinen...Lebensretter.
Ein Titel, von dem Suga nie im Leben gedacht hätte, dass er diesen jemandem geben müsste. Er war noch nie von irgendjemandem gerettet worden, hatte sich immer selbst aus der Scheiße holen müssen, nie, noch nie, hatte sich jemand so an ihn geklammert, sich so verpflichtet gefühlt, ihm zu helfen, Sugas Angelegenheiten zu seiner Sache gemacht.
Den giftigen Dunst durch die Nase ausstoßend fuhr Suga sich durch die grauen Haare, drehte den Glimmstängel fast nachdenklich zwischen seinen tätowierten Fingern, betrachtete sein Gegenüber immer noch wortlos.
„Wenn du’n Danke hören willst, kannst du lange warten. Der letzte, der seine Finger in meinen Hals geschoben hat, hat danach zwei weniger gehabt.“, kommentierte er schließlich und seine Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen, während er seinen verurteilenden Blick an dem Jüngeren abwärts gleiten ließ.
Wieso war er nicht einfach gegangen, nachdem er ihn ins Bett verfrachtet hatte? Wieso saß er hier, hatte gewartet, bis er wieder aufwachte?
Sugas Blick glitt zu der leeren Tablettenflasche, die auf dem Boden lag und er kickte sie mit dem Fuß beiseite, nahm dann noch einen tiefen Zug von der Zigarette, war fast froh drum, dass das Nikotin den widerwärtigen Geschmack in seinem Mund überdeckte.
Er kannte nicht einmal seinen Namen...und Suga würde den Teufel tun und sich ihm jetzt noch vorstellen, so machen, als hätten sie jetzt irgendeine Art von Draht zueinander.

Beinahe wäre er zusammengezuckt, die Art und Weise, wie sich der Fremde verhielt, war.. ungewöhnlich, einzigartig, irgendwie. Und Luca war schon verdammt viel rumgekommen, um das behaupten zu können - er hatte allerlei schräger Typen kennengelernt, aber keiner von den Menschen, denen er über den Weg gelaufen war, ähnelte ihm. Jeder wäre schlau genug gewesen, sich nach solchen Worten zu verziehen, dem vernichtenden Blick nicht Widerstand zu leisten, sich davon einschüchtern zu lassen und abzuhauen.
Luca gehörte nicht zu ihnen. Selbst wenn der Fremde ihn anschreien, angiften, an die Gurgel springen würde - Luca würde sich niemals wünschen, er hätte es gelassen. Nein, er hätte sich, sollte sich dieser Tag wiederholen, sollte er in der Zeitschleife feststecken, nicht umentschieden. Hätte jedes Mal, immer wieder, diesen Jungen davon bewahrt, sich das Leben zu nehmen. Ganz gleich, was kam - ganz gleich, wie sehr er ihn dafür hasste.
Er konnte ihn nichtmal verständnislos angucken, wie es vermutlich jeder Andere an seiner Stelle getan hätte; der Fremde rauchte einfach so, als wäre nichts gewesen, eine Zigarette, doch die dunklen Schatten unter seinen Augen und der kränklich blasse Teint erzählten eine andere Geschichte. Versuchte er zu kaschieren, was Luca miterlebt hatte? Versuchte er ihn von sich zu stoßen, eine Distanz zu ihm zu schaffen, nur weil er 'fremd' war? Weil er sich in sein Leben eingemischt hatte? War es das?
Wollte er niemanden in seinem Leben haben, der ihn rettete?
'Blöd gelaufen, jetzt bin ich hier.', lag ihm auf der Zunge, allerdings schluckte er diesen Kommentar auf seine eigenen Gedanken vehement runter. Dafür war er noch viel zu.. besorgt und.. eingenommen. Insbesondere von der Art des Grauhaarigen, die ihn.. zugegeben, irgendwie unheimlich, faszinierte. Tief in seinem Inneren; wenn er nicht noch immer irgendwie besorgt gewesen wäre. Schließlich.. hatte sich diese Sache in sein Hirn eingebrannt, war nicht spurlos an ihm vorbeigezogen, ganz sicher nicht. Es war wie ein.. unscheinbares, noch nicht als solches definiertes Trauma.
'Wenn du ein Danke hören willst, kannst du lange warten.' Abrupt blickte der Pinkhaarige auf, starrte ihn unergründlich an, ein betretenes Schweigen legte sich über ihn. Irgendwas in seinem Kopf machte Klick, irgendwas in seinem Inneren hielt an ihm fest. Er konnte sich einreden was er wollte, Luca war in sein Leben getreten und würde nicht so schnell wieder daraus verschwinden.
"Will ich nicht.", entgegnete er knapp, fuhr sich erschöpft über das Gesicht und versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu kriegen, die aufgrund des Schockes, der gemischten Erleichterung, Erschöpfung und.. Ratlosigkeit dünner geworden war. Aber.. da war eine Stimme in ihm, eine Stimme die lauter wurde, die dem Fremden gerne eingehämmert hätte, dass er aufhören sollte, so zu tun, als wäre das eben nichts gewesen. Als wäre er emotionskalt, denn das war er nicht. Eindeutig nicht. Er war zerbrochen, er war kaputt und verloren. Und Luca würde eher den Teufel an die Wand malen, als dass er sich von ihm emotional vertreiben lassen würde.
"Du bist mir auch nichts schuldig.. ich hab das nicht getan, um gut dazustehen oder irgendjemandem etwas zu beweisen oder.. weil ich dir unbedingt in dein Leben pfuschen wollte", er stand auf, kam ihm näher und zog seine Jacke hinter ihm hervor. Bedrückt senkte er den Blick auf die Daunenjacke zwischen seinen Händen, bevor er tief durchatmete und auf den Grauhaarigen herab guckte. "Du kannst mich dafür hassen. Vielleicht tust du das auch grade.." Lautlos seufzend schlüpfte er in seine Jacke, zog den zerknüllten Zettel aus seiner Jackentasche und ging in die Hocke, um auf dem vermoderten Nachttisch die Notizen durchzustreichen und stattdessen selbst was drauf zu krakeln. Luca hatte eine schöne Schrift, eine leserliche vor allem. Auf dem Zettel hatte er ihm seinen Namen, und seine Handynummer hinterlegt.
Er richtete sich wieder auf und legte ihm den Zettel auf die Decke, trat nach einem kurzen Blick von ihm ab, langsam und irgendwie.. hin und her gerissen. Aber er wusste, dass er hier für heute nichts mehr zu suchen hatte. Er konnte das Leben des Fremden nicht kontrollieren, nicht bestimmen.. lediglich in diesem einen Moment, diesen einen Weg, hatte er ihm freigelegt.
An der Tür drehte er sich nochmal zu ihm, halb, legte die Finger an den Türrahmen, presste die Lippen aufeinander, senkte den Blick.. wartete. Wartete auf den richtigen Zeitpunkt.
"Ich hatte echt Angst. Tu's bitte nicht nochmal."

Suga hatte dem Fremden wortlos zugehört, auf seine Worte nur die Augenbrauen gehoben, versucht irgendwie aus ihm schlau zu werden. Drei lange Jahre hing er nun schon auf den Straßen Seouls rum und davor...hatte er sich eigentlich auch ziemlich viel in der Stadt bewegt, hatte gedacht, er hätte schon jede Sorte Mensch in seinem Leben getroffen.
Aber er...er war anders und das auf eine so seltsame Art und Weise, die Suga nicht mal erklären lassen konnte, was er gerade fühlte. Er hasste ihn nicht, soviel stand fest. Hass hatte Suga nur einmal in seinem Leben empfunden und diesen hatte er in den wohl größten Rachefeldzug seines Lebens umgewandelt.
Die Menschen waren dem Zwanzigjährigen egal. Für gewöhnlich.
Schweigend sah er zu, wie der Pinkhaarige etwas auf einen Zettel kritzelte, ihn dann neben ihn auf das Bett legte, würdigte das Blatt Papier jedoch mit keinem Blick, sondern beobachtete ihn immer noch, das Misstrauen deutlich in dem Blick seiner dunklen Augen.
Er versuchte sich vorzustellen, wie er hier reingestolpert war, was für einen Anblick er abgegeben haben musste und kam zu dem Schluss, dass der Fremde aus dem Affekt heraus gehandelt hatte, einfach, weil...er es so für jeden getan hätte. 'Ich hatte echt Angst.‘ Er hatte Angst um ihn gehabt, Angst um jemanden, den er nicht kannte, von dem er keine Ahnung hatte, was für Gründe ihn zu seiner Tat geleitet hatten.
Auch als die Schritte des Jüngeren schon lange verklungen waren, saß Suga noch am Rand des Bettes, schnipste nichtmal die überstehende Asche von seiner Kippe sondern starrte immer noch auf den Fleck an der Tür, bevor sein Blick zu dem Zettel neben ihm wanderte.
Vielleicht war er, vielleicht war Luca einfach eine gute Person.

„Er hat sich mit einem Kunden in dem Hotel getroffen, in dem ich damals gelebt hab...ich war damals zwanzig, kurz nachdem ich den ersten Auftrag für RM erledigt hab. Ich war...“ Suga kratzte sich im Nacken, ließ seinen Blick über den Sternenhimmel gleiten, versuchte irgendwie zu beschreiben, was genau das für eine Phase seines Lebens gewesen war.
„Ich war nicht immer so ne gute Gesellschaft, weißt du? Ich war ...instabil, so würdest du das vielleicht nennen.“ Ein ironisches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen, als er zu Jin rübersah und seine langen Finger dabei ineinander verschränkte.
„Er hat mich gefunden, mir seine Finger so tief in den Hals geschoben, bis ich alles wieder ausgekotzt hab. Jede einzelne scheiß Tablette. Dann hat er gewartet...und obwohl ich zuerst versucht hab, ihn loszuwerden...war das nicht so einfach.“, erzählte er dann weiter, zuckte leicht die Schultern nach oben.
Suga erinnerte sich noch viel zu gut daran, wie er - nur ein paar Tage später nach dem Vorfall - die Nummer sturzbetrunken von dem Zettel gewählt hatte, wie es ein einziges Mal getutet hatte, bevor Luca abgehoben hatte. Und wie es gefühlte zwei Sekunden gedauert hatte, bis er danach bei ihm im Zimmer gestanden hatte.
Seinen Gedanken einen Moment nachhängend kaute Suga auf seinem Daumennagel, warf Jin dann einen Seitenblick zu.
„Ist’s zu fassen, Jin?“, fragte er und lachte, kurz und rau, ließ sich dann nach hinten auf den Rücken sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, ließ seinen Blick wieder in den dunklen Himmel schweifen.
„Dass ich erst fast verrecken musste, um Luca zu treffen?“

„Ahh..hah...“ Minhos Keuchen wandelte sich in ein raues Lachen, als er spürte wie V ihm in die Haare griff, an den dunklen Strähnen zog, bis seine Kopfhaut schmerzte und Minhos Lippen sich automatisch in einem tiefen Atemzug teilten.
Vs Kuss brannte wie ein vergehendes Feuer in seiner Brust und Minho versuchte, sich vorzubeugen, sich gegen diesen unnachgiebigen Griff zu wehren, doch der Ältere hielt ihn gnadenlos an Ort und Stelle, zwang ihn dazu, diesen minimalen Abstand zu wahren.
Langsam glitten Minhos Augen zurück zu dem Schwarzhaarigen, die Lust, dieses unbändige Verlangen nach ihm hatte seine Pupillen geweitet, das tiefe braun seiner Iris an den äußersten Rand gedrängt, sodass seine Augen wie zwei schwarze Onyxe funkelten.
Seine Finger kribbelten, sein Atem ging schnell und über seine Schultern huschte ein kurzes Beben, als V ihn an der Kette zerrte, er gezwungenermaßen den Kopf hochziehen musste, sich seinem Willen unterwarf.
Ein feines, schmutziges Lächeln zupfte an Minhos Mundwinkeln, über die Jahre hatte er rausgefunden, dass es ihm nichts ausmachte, sich seinem Partner zu beugen, hinzugeben, nach der Pfeife eines anderen zu tanzen. Er ließ sich gerne befehligen, auch wenn er selbst keinerlei Probleme hatte, Kontrolle auszuüben.
Oder darum zu kämpfen.
Seine Augen schlossen sich, als V sich wieder zu ihm beugte, ihm verheißungsvoll über die Lippen leckte, bevor er ihn wieder in einen tiefen, bestimmerischen Kuss zog, Minhos Gedanken schwirren ließ, ihn fühlen ließ, als wäre das, was sie gerade taten, jenseits von Gut und Böse. Und doch...doch war es nicht genug, denn Minho war gierig und V hatte das Feuer in ihm genährt, durch seine Worte, seine Taten, durch jede einzelne Bewegung seiner Lippen gegen seine.
Seine Hände glitten aufwärts, über seine Brust zu seinem Hals, und Minho lehnte den Kopf leicht zurück, schaffte es für einen Sekundenbruchteil, sich diesen süchtig machenden Lippen zu entziehen und presste seine Fingerspitzen gegen das frisch gestochene Tattoo. Seine Lider hoben sich langsam und Minhos Lächeln war sanft, fast unschuldig, doch das Funkeln seiner Augen feixend, fast bösartig und das leise Lachen, das in seiner Kehle vibrierte, stieß heiß gegen Vs Lippen, während er die Worte formte, die man ihm eingetrichtert hatte, die jedes Menschen letztes Gebet sein würden, bevor sie in die Hölle kamen.
„Lord, have mercy on me. Heal me, for I have sinned."

Jins Blick lag auf den Sternen im Himmel, doch als Suga anfing zu erzählen, senkte er diesen langsam. Wie in Zeitlupe, als müsse er nach jedem Satz, den er an ihn richtete, sich erstmal im Klaren darüber werden, was er da erzählte. Dass Suga eine Phase gehabt hatte, in welcher er von Wänden eingeschlossen, von Dunkelheit übermannt und von betäubter Hoffnungslosigkeit begleitet worden war, der Kampf 'ich gegen die Welt' ein einziges Chaos gewesen war, er den langen, steinigen und dunklen Weg durch den Tunnel vor sich gehabt hatte, ein Tunnel der ihn in seine Tiefen gezogen, ihn in seiner Gesamtheit und Verzweiflung verschluckt hatte.
Jin hatte nicht die Szene, die Suga ihm grob erklärte, vor Augen; nein, er sah was ganz anderes. Vor seinem Inneren sprang der Jüngere auf Gleisen, vergrub seine Hände in den Taschen seiner Sweatshirtjacke, schlenderte, balancierte, an den Schienen entlang in Richtung Dunkelheit, sowohl fremdgesteuert, abwesend, als auch freiwillig. Die Dunkelheit umgab ihn, er steuerte immer weiter auf sie zu, konnte sich nicht umdrehen oder zurücklaufen, sich umentscheiden. In seinem Gesicht konnte er erkennen, dass es seine endgültige Entscheidung gewesen war.
Dass er am Ende des Tunnels nicht das Licht der Hoffnung suchte, sondern das Licht eines anfahrenden Güterzuges, der ihn mitreißen und von seinen Schmerzen erlösen sollte.
Und auch in seinem Kopfkino hörte er den anfahrenden Zug in der Ferne anrollen, Jin fühlte sich, als würde ihm jemand die Kehle zuschnüren, weil er gerade nicht begriff, dass er sich das einbildete. Er saß einfach stillschweigend, wie weggetreten, auf dem Dach und starrte Löcher in die Luft vor sich, in die Dunkelheit, regte sich nicht wirklich und wirkte, als würde er Suga einfach nur verdammt konzentriert zuhören. Tat er auch; nur mit dem Unterschied, dass er einen verdammten Kinofilm vor sich sah, der viel zu realistisch schien. Eine Wahnvorstellung. Eine Halluzination.
Und Jin hoffte, hoffte die ganze Zeit, dass der anfahrende Zug abbremste, obwohl er eigentlich wusste, dass Suga direkt neben ihm saß. Dass er lebte; doch war diese Vorstellung in seinem Kopf so lebendig, dass er bangte. Plötzlich - die Worte des Jüngeren hallten in seinem Ohr wider, Lucas Name fiel - kurz bevor ihn der Zug überrollt hätte, schien dieser an ihm vorbeizurasen. Knapp, viel zu knapp - und er hob den Kopf, verengte die Augen. Das Licht des Güterzuges war nicht halb so grell, so strahlend gewesen, wie das, das sich hinter ihm befand.
Luca. Er reichte dem Jüngeren die Hand, Jin konnte es ganz genau erkennen, diese Sanftheit, die der Grauhaarige an sich hatte, diese Zärtlichkeit; und er zog den Zerbrochenen in seine Arme. Luca war sein Licht am Ende des Tunnels gewesen.
Jins Lunge protestierte augenblicklich, er hatte für kurze Zeit den Atem angehalten gehabt - und vertuschte es mit einem Husten, atmete durch. Woah.. Er hätte nicht erwartet, dass ihre Geschichte so angefangen hätte. Dass Luca nicht nur sein Freund war, sondern sein.. Lebensretter.
Etwas, was Jin nicht geschafft hatte.
Langsam drehte er den Kopf zu dem Minthaarigen, er war zwar stoned as fuck, aber.. das beklemmende Gefühl, dieser Schock in seinem Inneren, flackerte in seinen traurig braunen, fast schwarzen Augen, bevor er sich neben ihn legte und den Blick wieder gen Sternenhimmel richtete. Erst herrschte Stille, Jins Kopf konnte diese Vielzahl an Informationen nicht so schnell verarbeiten. Allerdings lag ihm eine Antwort auf der Zunge, eine Antwort auf die Frage, die Suga ihm gestellt hatte.
"The brightest light at the end of the tunnel is not always a freight train." Seine Augen lagen fest auf dem Stern, den er für seinen Besten hielt. "You thought it was you against the world.. But it's been you against yourself."
Der Ausdruck im schwarz seiner Iris wurde.. leer. Nicht, weil er nicht an das glaubte, was er sagte; sondern weil er ihn vermisste. Weil er wünschte, er hätte dieses Licht für seinen Besten sein können. "And, somehow, fate wanted you to believe in second chances, because he knew.. an ambry light out there will guide you through the darkness."

Suga hatte Jin nicht beobachtet, während er erzählt hatte, erwartete auch keine wirkliche Reaktion von ihm. Was sagte man schon zu jemandem, der einem gestand, dass er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen?
Jin blieb auch für eine Weile still, starrte einfach nur in den dunklen Nachthimmel, bevor er sich regte und neben ihm auf den Rücken legte.
Der Jüngere schwieg auf seine Worte, denn auch wenn seine Worte klug und weise klangen und er dankbar dafür war, dass er ihn nicht mit dem 08/15 „Das ist ja schrecklich“ oder so ein Scheiß beschallte, wusste er nicht, was er dazu sagen sollte.
Der Blonde schien mit seinen eigenen Gedanken sowieso ganz weit weg zu sein und Suga hatte den Eindruck, dass das, was er ihm sagte, dass seine Worte sich nicht nur auf seine Geschichte bezogen.
„Y'know, sometimes...", durchbrach er irgendwann die eingekehrte Stille, folgte den dahinziehenden Wolken dabei mit seinem Blick. „...sometimes, I ask myself, how I deserve him. And I don’t get it. I really don’t."
Er würde Luca nie genug zurückgeben können, davon war er überzeugt, denn was hatte er schon zu bieten? Was hatte Luca in ihm gesehen, damals als er sich dazu entschieden hatte, ihm basically nicht mehr von der Seite zu weichen?
Abwesend begann er mit seinem Feuerzeug zu spielen, ließ die kleine Flamme, die sich tapfer gegen den Wind wehrte, immer wieder aufzuklicken.
„He’s just...he’s good, Jin...he keeps me sane. He’s a good thing and...I’m not. I’m a fucked up drug addicted alcoholic and I can’t even hide it and... and I don’t deserve good things. That’s why all of the good gets taken away from me, it’s a fucking karma chain letter. But I don’t wanna lose him even though he could have it so much better.”
War es egoistisch, dass er Luca nicht verlieren wollte, obwohl er sich manchmal fühlte, als würde er ihn...runterziehen, ihn davon abhalten, nach mehr, nach besserem zu streben?
„He’s not an ambry light...he’s the fuckin’ galaxy."