"Mom, Dad, look! Minho and I got blue strings!!!"
Die beiden Siebenjährigen präsentierten stolz ihre kleinen Unterarme, Hand in Hand hoben sie die Fäuste in die Luft und das breite, aufgeweckte Grinsen entblößte Klein-Taehyungies Zahnspange. Der Dunkelhaarige neben ihn, der ihn um einen halben Kopf überragte, wippte aufgeregt und Tae spürte, wie sich dessen Finger fester um die Seine schlangen. Der Faden, der sich um ihre Finger, das Handgelenk und den kompletten unteren Teil ihres Armes rankte, war kaum zu spüren, nachdem das Kribbeln im Baumhaus aufgehört hatte.
"That's absolutely amazing, boys.. you two found your soulmate at the age of only 7!"
Taehyungs Vater bückte sich zu ihnen herunter und wuschelte den Kleinen durch den Kopf, bevor er die Arme der Beiden in kurioser, gar ehrfürchtiger, doch viel zu großer Begeisterung begutachtete. Eine Seltenheit, dass ihr schmächtiger, kränklicher Sohn bereits im Alter von sieben Jahren eine unzertrennliche Bindung für den Rest seines, vielleicht viel zu kurzen, Lebens gefunden hatte.. es grenzte fast an ein Wunder, doch konnten sie für ihn nicht glücklicher sein. Für diesen Moment.
Er hatte es verdient.
Fragend blickte der Kleinere seinen Grundschuldfreund an, langsam ließen sie die Arme sinken ohne ihre ineinanderverschränkten Hände voneinander zu lösen.
"What's a soulmate?"
Beide nahmen sie Platz auf den großen Kissen auf dem Boden, Tae rollte sich automatisch auf seinen Bauch und stützte den Kopf in den Händen ab, guckte seinen Vater aus großen Augen an, wippte mit den kleinen Beinen in der Luft, während dieser sich auf dem großen Sessel vor ihnen niederließ.
"It's a... Well, it's like a best friend, but more. It's the one person in the world who knows you better than anyone else." Kurz drehte er seinen Kopf zu Taehyungs Mutter, rief nach ihr und fragte, ob er ihr bitte seine Brieftasche bringen könnte. Die vier Monate schwangere Frau stieß mit jener zur Sitzrunde, reichte dem Vater den schwarzen Geldbeutel und setzte sich auf die Sessellehne, den Arm um seine Schultern gelegt, liebevoll. Während er darin nach etwas suchte, erzählte er weiter.
"It's someone who makes you a better person. ....actually, they don't make you a better person. You do that yourself because they inspire you."
Taes Augen wurden mit jedem Wort größer, fokussiert sah er auf den dunklen Schatten des Geldbeutels und zuckte kurz ungeduldig mit den Fußknöcheln, als er ein Foto herauszog. Sofort stützte der Farbenblinde die Arme auf den Boden, reckte sich nach vorne, um das Foto, das er ihnen zeigte, besser angucken zu können. Darauf waren zwei Jugendliche zu erkennen, Arm in Arm vor einem Fußballtor.
"A soulmate is someone who you can carry with you forever. It's the one person who knew you and accepted you... believed in you before anyone else did..or when no one else would." Er tippte gegen das ältere, bereits verblasste Bild und lächelte liebevoll, stolz.
"That's my soulmate, Jungsoo, but he's in a better place now."
Taehyung verkniff sich zu fragen, wo sein Soulmate war - und warum sein Vater keinen String mehr an seinem Handgelenk hatte, wenn es doch eigentich so hätte sein müssen. Nein, er hörte ihm aufmerksam zu, hing an seinen Lippen wie ein faszinierter Hundewelpe mit leicht offenstehendem Mund. Er packte das Foto wieder in seinen Geldbeutel, nahm die Hand seiner Frau und streichelte sie sanft, den Blick auf die beiden Buben gerichtet.
"No matter what happens, even when they're not around, you will always love them. Nothing can ever change that."
Seine großen, dunkelbraunen Augen glitten zu Minho, starrten ihn lange an, bevor er den Blick senkte, die zementgraue, feine Kontur des Fadens um seine winzige, knochige Kinderhand erfasste.

You will always love them. Nothing can ever change that.


Die mit dem Faden umwickelte Hand auf dem Holztisch vor ihm liegend schlürfte er an seiner Tasse heiße Schokolade, das Snowboard neben ihm an der Holzbank gelehnt. Er neigte den Kopf ein wenig, setzte die Tasse wieder ab und atmete die frische Bergluft ein, den süßen Geschmack von Edelschokolade auf der Zunge tragend. Trotz der sommerlich wirkenden Sonnenstrahlen litten die kalten Temperaturen nicht darunter, der Schnee glitzerte auf der Spitze des Eisberges, der Himmel war ein hellgraues, unbewölktes Paradies und versprach das perfekte Wetter für ihre Snowboardtour durch die japanischen Bergketten. Die Hälfte hatten Minho und er bereits hinter sich, gönnten sich eine Pause auf der Gasthütte und warteten auf eine warme Zwischenspeise.
"Ahh, ich liebe Ferien", seufzte er ausgelassen, lehnte sich an die Holzbretter hinter sich und überschlug entspannt die Beine an der Eckkante des Tisches. Wie gut, dass sie mit den Besitzern befreundet waren - da durften sie sich dieses vertraute Verhalten in einer ruhigen Atmosphäre erlauben. Entspannt schloss er die Augen und genoss die kitzelnde, leichte Wärme - die er sich vielleicht einbildete, da er gerade seinen Kakao fertig getrunken hatte - auf seinem Gesicht. "Lass einfach hierher ziehen, Heidi wusste schon, dass sie nix in der Stadt verpasst."

Minho hatte seinen Kopf in die Hände gestützt, hielt sein Gesicht seit gut zwei Minuten über den heißen Dampf, der aus seiner Teetasse stieg. Er fühlte sein Gesicht nicht mehr so wirklich und seine Wangen waren noch immer von der rasanten Fahrt gerötet und prickelten ein wenig. Seine Finger waren auch noch ein wenig klamm, doch die paar Schlucke Jasmintee hatten schon ihren Dienst getan und Minho spürte allmählich wieder Leben in seinen Fingerkuppen. „Fuck nein, spinnst du?“, murmelte er auf Taes Worte und hob den Kopf leicht an, kniff ein Auge zu und nahm seinen besten Freund auf der anderen Seite des Tischs ins Visier.
„Hier oben hast du nicht mal Internet und ich zieh nirgendwo hin, wo nicht ein Kino in 10 Minuten Entfernung ist. Wenn ich Infinity War nicht auf einer Kinoleinwand sehen kann, hat mein Leben keinen Sinn mehr.“ Entschieden umfasste er seine mit einem filigranen Blumenmuster verzierte Tasse und nahm noch einen Schluck von dem duftenden Tee. „Obwohl...für den Kakao würd sich das vielleicht lohnen. Vielleicht.“, musste er dann doch anmerken und schenkte Tae über den Holztisch ein breites Grinsen. Wenn er nur nicht gerade diese rigorose Diät durchziehen würde und seit 2 Monaten Schokolade erfolgreich entsagte. Sportstudium eben. Er hatte es sich ja ausgesucht und nun musste er damit leben.
Bevor Minho weiter darüber philosophieren konnte, ob er Kakao tatsächlich seiner allseits bekannten Vorliebe für Iron Man vorziehen würde, wurde ihnen von der Besitzerin der Gasthütte zwei dampfende Schalen Miso Ramen an den Tisch gebracht. Augenblicklich richtete Minho sich ein wenig mehr auf, bedankte sich in astreinem Japanisch bei der schon etwas in die Jahre gekommenen Frau und legte dann seine Handflächen aneinander, grinste Tae über den Tisch hinweg an. „Itdakimasu."

„Ok, wenn du gewinnst, kriegst du die Gold Edition Avengers Sammelkarte von Cap. Ich weiß genau, du sabberst der schon seit der dritten Klasse nach.“ Lässig ließ der Jüngere seine Skibrille auf seine Nase rutschen, strich sich die haselnussbraunen Strähnen aus der Stirn. Sie standen nebeneinander am Startpunkt einer weniger befahrenen Bahn und - wie jedesmal - mussten sie natürlich einen Wettkampf draus machen. "Wenn ich gewinne, mhhh...“ Minho beendete seinen Satz gar nicht, bretterte einfach in dem Moment los und drehte sich auf seinem Snowboard kurz um, um den Wetteinsatz rauszuschreien. „...LÄDST DU MICH AUF EIN DATE EIN!“, brüllte er gegen den pfeifenden Wind, bevor er sich lachend umwandte, seinen Körper in die nächste Kurve legte und der aufgetürmte Schnee durch den Schwung zu beiden Seiten wegflog. Kälte stach in seine Wangen, trotz des fetten Schals, den Minho sich um den Hals und sein Kinn gewickelt hatte, spürte er den schneidenden Wind auf seiner Haut und sein Herz begann ein wenig schneller zu klopfen als die erste brauchbare Schanze in sein Blickfeld rückte, er noch ein wenig an Geschwindigkeit zulegte und absprang. In der Luft drehte er sich um die eigene Achse, konnte so einen kurzen Blick nach hinten erhaschen, Tae war ihm dicht auf den Fersen und Minho begann zu lachen, als er sauber auf dem Boden landete, die Schneelandschaft an ihm vorbeistob.
Er hatte recht spät mit dem Snowboarden angefangen, aber seine Liebe dafür ziemlich schnell entdeckt. Dass er dieses Hobby zusammen mit Tae betreiben konnte, machte es noch tausendmal besser, denn sie beide stachelten sich immer weiter und weiter an, Grenzen gab es für sie nicht. Und Minho liebte es, die Grenzenlosigkeit, die Freiheit, die durch seine Venen rauschte, während er - mittlerweile - Kopf an Kopf mit Tae durch den Schnee raste.
Sie waren schnell, schneller als für die Pisten vorgesehen war und eigentlich war das etwas gutes, denn Regeln waren da um gebrochen zu werden, doch in ihrem Wetteifern bemerkten sie beide die aufgestellten Warnschilder nicht, waren viel zu beschäftigt damit sich halbherzige Beleidigungen zuzuschreien. Tae hatte ihn überholt und Minho schob das innerlich auf sein Fliegengewicht, grinste jedoch weiterhin. „WENIGSTENS HAB ICH NE NETTE AUSSICHT VON HIER HINTEN!“, rief er dem Älteren zu und slidete um eine schneebedeckte Tanne herum, wollte gerade ein wenig an Tempo zulegen, weil die nächste Schanze vor ihnen aufgetaucht war, als ein seltsames Knacken durch die Luft hallte, den lauten Windes in Minhos Ohren sogar übertönte. Instinktiv hob er den Kopf, blickte sich um, konnte jedoch nichts wirkliches erkennen, weil sich um sie herum nur Felsen und ein paar einsame Bäume befanden. Und natürlich Schnee. Nichts als Schnee. „Hey, Tae...“, fing er an, seine Stimme ein wenig zögernd und viel zu leise, als dass sein bester Freund ihn hätte hören können und erst als das Geräusch lauter und lauter wurde, der Boden unter seinem Board irgendwie leicht zu zittern begann, verstand er. Er verstand, was sie um die nächste Biegung erwartete und in was sie gerade hineinrasten und seine Augen weiteten sich, er wurde noch schneller. „TAE!“, schrie Minho los, streckte die Arme so gut er konnte aus, ohne den Halt auf dem ausbalancierten Board zu verlieren, legte sich so hart in die nächste Kurve, dass seine Finger die Schneedecke streiften und er mehr Schwung hatte, um zu dem Älteren aufzuholen. „TAE! HALT AN!“ Sein Gehirn lief auf Autopilot, denn scheiße, scheiße, scheiße, das konnte gerade nicht passieren und er...er musste zu ihm kommen. Er musste ihn erreichen, bevor ...
„TAE! TAE, PASS AUF!“

"Als ob die hier kein Kino haben.....", überlegte Tae dümmlich vor sich hin, bevor er ein Auge öffnete und zu Minho rüberschielte. "Warte.. die haben in den Bergen kein Internet?" Suchend streckte er den Kopf ein wenig in Richtung des Gasthauses, als wolle er dort seine Antwort nach dem Wifi-Mangel finden. Manchmal stellte er sich tatsächlich dümmer an, als er eigentlich war - sonst hätte er niemals die Aufnahmeprüfung für sein heiß ersehntes Studium für Softwareentwicklung bestanden. Eine Voraussetzung, die für das Stipendium erforderlich gewesen war. Long story short: Auch er könnte an keinem Ort ohne Internet leben, ganz egal, wie sehr er idyllische Natur und Freiheit genoss; sein Herz hing ebenso an technischem Fortschritt. Zwei Extrema, die er in sich vereinte und daraus eine relativ gesunde Lebensweise resultierte.
Wie praktisch, dass sie sich gegenseitig, jetzt wo sie auch Zimmergenossen waren, immer dazu anspornten, raus zu gehen und den abgedrehtesten Shit zu machen. Sowohl Tae, als auch sein Bester waren freiheitsliebend und es hielt sie nichts länger in ihren Betten als eine gute Serie, ein Filmmarathon oder Napdates. Sie waren ausgeglichen und lockten das Beste aus dem jeweils anderen heraus. Mit einem breiten Grinsen legte er seine Handflächen aneinander und nickte dem Hellhaarigen zu.
"Streber.", warf er ihm keck lächelnd an den Kopf, streckte die Zunge raus und betrachtete ihn noch für einen kurzen Augenblick.
They don't make you a better person. You do that yourself because they inspire you.

Den Handschuh sicherheitshalber um sein Gelenk fester anziehend, klappte er wenig später die Skibrille über seinen Helm. "Fuck man, ich brauch die unbedingt!", schoss es enthusiastisch über seine Lippen und er wippte energiegeladen auf seinem Board. "Is'n Deal. Mein Einsatz?", fragte er nach, ehe er auch schon eine Antwort darauf bekam und - das Grinsen, das sich unter dem schwarzen Stoff seiner Snowboardmaske, das sich über seine Gesichtshälfte spannte, war so verboten breit, dass es sogar anhand der Lachfalten an seinen Augen hätte erkennbar sein können. Wäre Minho nicht schon losgebrettert. "ICH HOFFE DU STEHST AUF ROSEN!", rief er ihm sofort nach, kaum, dass er sich ebenfalls rausgeschwungen hatte und in Rekordzeit an Tempo gewann.
Der Wind peitschte ihm ins abgedeckte Gesicht, flötete in seinen Ohren, als er den Weg seines Mitstreiters nachverfolgte und haarscharf um die Kurve jagte. Er hatte sich in der Zeit, in welcher er damals immer mit seiner Familie in die Berge gefahren war, einen wahnsinnig klugen Vorteil aus seiner Figur gezogen und nutzte die Wendigkeit, die Geschwindigkeit, die er dadurch Binnen Sekunden erreichte. Das Adrenalin schoss ihm wie eine Droge durch's Blut, rüttelte an seinem unbändigen Kampfgeist und pulsierte unter seiner dicken Snowboardjacke.
Die Schanze fest im Blick ging er tief in die Hocke umklammerte sein Board mit einer Hand und sprang gezielt in seiner gebückten Haltung ab, verringerte durch das kleinste Minimum seiner Körperoberfläche den Widerstand von Flugwind und -objekt - da sprach der Physiker aus ihm - sodass er rasend schnell durch die Luft schoss. Der Schnee flog in alle Richtungen bei den scharfen Kurven, die er hinter Minho hinlegte, lehnte sich weiter in den Fahrtwind und nahm ihn auf, Kopf an Kopf fetzte er die Piste entlang. "Verabschiede dich schonmal vom Cap, er benötigt deine Dienste nicht länger!", richtete er an seinen Besten, salutierte ihm zu, bevor er ihm dicht vor der Boardspitze des Anderen den Weg abschnitt und überholte.
Eine nette Aussicht, huh? Der rauschende Wind in seinen Ohren verschluckte beinahe sein schallendes Lachen, als er eine Schneewolke hinter sich ließ und sich immer weiter in die Fahrtgeschwindigkeit lehnte, jetzt, wo der Flugwind den perfekten Winkel hatte. Perfekt. Er brauste regelrecht von Dannen, spürte unter dem Adrenalin, das ihn durchflutete, nicht einmal das Beben unter seinen Füßen, er war wie geblendet von dem atemberaubenden Gefühl der berauschenden Schnelligkeit, er fühlte sich unschlagbar. Und allen voran, unstoppable.
Genau das sollte ihm zum Verhängnis werden.
Er hörte das Rufen seines Besten, allerdings nicht den alarmiernden Ton dahinter, grinste vor sich hin und sah es als einen Ansporn. Vergiss es, ich werd dir nicht die Führung lassen! Ein gravierender Fehler, den er tat, und gerade, als er die Alarmglocken in Minhos Stimme klingeln gehört hatte - war es zu spät.
Sein Bremsversuch kam viel, viel zu spät, die weiße Masse unter seinem Board geriet von einer Sekunde zur nächsten ins Rutschen, die Masse über ihm hingegen war die übermannende Ursache, die ihn erfasste - und den Abhang runterrissen. Ihn gewaltsam in die steile Tiefe stürzte. Noch nie hatte Tae so laut geschrien, so panisch um sich geschlagen, um irgendeinen Halt zu finden, vergeblich. Der Schneerutsch riss ihn in einem schier endlosen Fall den unbefahrbaren Hang runter, ein Stück seines Boardes krachte gegen einen Felsen, bevor ihm das Ding schmerzhaft von den Füßen gerissen wurde. Er überschlug sich mehrere Male, sah nicht, spürte nicht, was passierte, bis sein Körper seitlich gegen einen weiteren Felsen krachte und unter der Schneemasse begraben lag.
Er war... begraben.
Und das schlimmste von allem: Er konnte sich nicht bewegen.

Minho wusste nicht, was er fühlte als er dabei zusah, wie die weiße Masse, diese geballte Ladung an Schnee Taehyung vom Brett riss und beiseite fegte, in die Tiefe stürzen ließ. Sein Entsetzensschrei kam nie über seine Lippen und als der Schnee zum Stillstand kam...war er einfach weg. Er war einfach weg, weg, weg, weg und Minho begann am ganzen Leib zu zittern, wäre um ein Haar fast selbst in den Schneerutsch reingefahren, um zu ihm zu kommen, ihn da rauszureißen, ihn festzuhalten, irgendwas zu tun, er wusste selbst nicht was.
„T-Tae...“, stieß er aus und machte einen unsicheren Schritt nach vorne und plötzlich wurde seine Sicht verschleiert durch irgendwas, was in seinen Augen stach und Minho stürzte los, stolperte halb über sein eigenes Brett und rannte durch den tiefen, lockeren Schnee auf den Abgrund zu. Irgendjemand schrie Taes Namen und Minho erkannte erst, dass er es selbst war, als sein Hals anfing zu brennen während er sich durch den Schnee den Abhang herunterkämpfte, sich auf dem Weg seine Brille und den Helm vom Kopf riss und beiseite pfefferte.
Es war bitterkalt und der unbarmherzige Wind blies ihm die Haare aus dem Gesicht und weit und breit war keine Spur von ihm zu sehen und Minho wusste, er durfte nicht weinen, er musste die Nerven behalten, er musste...die Tränen liefen trotzdem, stachen auf seinen von der Kälte geröteten Wangen und Minho fiel auf die Knie, packte in den Schnee und fing einfach an, ihn mechanisch beiseite zu schieben, wieder und wieder gruben seine Finger sich in die Schneemasse, schaufelten ihn aus dem Weg und Minhos Herz schwoll zur Größe eines Luftballons an, schien seinen Hals auseinanderzudrücken, bis er keine Luft bekam.
Das hier...das war nicht real, das konnte gar nicht real sein und Minho fing an zu schreien, weil er ihn nicht finden konnte, weil er Taehyung Cheong, seinen besten Freund, seinen Soulmate, nicht finden konnte, doch er hörte nicht auf, weiterzusuchen, er würde nie aufhören weiter zu suchen.

„You’re pretty good at that.“ Fett grinsend beugte Minho in das verlassene Kanalrohr, in das Tae sich hineingequetscht hatte. „Hiding, I mean. You’re so small, that you can fit everywhere. That’s so amazing!“ Seine dunklen Augen strahlten, als der Siebenjährige sich bückte, sich nur mit Mühe und Not klein genug machen konnte, um sich neben ihn zu setzen. „Did they harass you again?“, fragte er und zog seine verschrammten Knie an, faltete seine Arme darauf und sah den Kleineren neben sich besorgt an. Er gab keine Antwort, doch Minho verstand schon. „Mhh, don’t listen to them. I think it’s great that you’re so small, I can easily carry you around like that. And together, we’re bigger than they are and you can spit on their stupid heads. That’s fun, don’t you think?“ Sein breites Strahlen entblößte seine große Zahnlücke und Minho gab Tae einen kleinen Schubs mit dem Ellenbogen.
„Don’t sit all alone here, you’re not alone, ok? Also...I know all of you’re hiding places. I’m always gonna find you, Taehyung."

„Tae...Tae...oh mein Gott, Tae...bitte...“ Es machte keinen Sinn, was er vor sich her stammelte, die Worte kamen einfach, vermischten sich mit den Schluchzern aus seiner Kehle und es schienen gefühlte Stunden zu vergehen, in denen Minho im Schnee rumgrub, sich von einer Stelle zur anderen kämpfte, bis er über einen schneebedeckten Felsvorsprung stolperte und auf allen vieren vornübergebeugt in den Schnee sank. Er machte trotzdem weiter, grub seine nackten Finger in die weiße Kälte, weil er seine durchnässten Handschuhe irgendwann von sich geschmissen hatte und als er unter sich das schrille Orange von Taehyungs Helm ausmachen konnte, setzte sein Atem kurz aus. „Tae!“ Irgendwas zwischen Lachen und Schluchzen kam aus seiner Kehle und Minho rutschte beiseite, packte tiefer in den Schnee, schaufelte die ganze Masse beiseite, bis er seinen Kopf und Oberkörper halb frei gelegt hatte. „O-oh mein Gott...“ Seine Stimme zitterte, denn jetzt, wo die Panik sich langsam begann aufzulösen, kam etwas anderes: Angst. Angst, dass er vielleicht zu spät war. Dass der Aufprall zu heftig gewesen war, dass Tae die Augen nicht mehr aufmachen würde, dass er ihn...verloren hatte.
Fest packte er den Älteren unter den Armen, brauchte ein paar Anläufe, bis seine tauben Hände ihn soweit rausgezogen hatten, dass er zurückstolperte und der Ältere halb auf der frischen weißen Schneedecke lag.
Sofort war Minho über ihm, öffnete vorsichtig den Helm und schob die Brille und den Mundschutz aus dem Weg, tastete nach seinem Gesicht. „T-tae..."

Ein betäubendes Gefühl machte sich in seinem Körper breit, der Schock und der Aufprall hatte ihn so dermaßen eingenommen, dass er nicht fähig dazu war, die Augen zu öffnen. Schwer lag er unter dem kalten Weiß begraben, umgeben von Dunkelheit, war weder dazu fähig, die Arme, noch die Beine zu bewegen oder irgendein Zeichen, irgendeinen Ton von sich zu geben. Ihm war klar, dass er nicht tot war - konnte nicht sein, dafür fühlte er die bittere Kälte um sich herum viel zu stark, genau so wie das Brennen in seiner Lunge, das mit der zunehmenden Blockierung seiner Atemwege nicht gerade besser wurde.
Scheiße, atmen.. wie soll ich atmen? Bin ich ohnmächtig? Er sah immer in Kontrasten, seine Farbenblindheit gewährte ihm keinen Einblick in die existenten Farben dieser Welt, er beobachtete, dachte und träumte in Nuancen aus Grau, Weiß und Schwarz - doch in diesem Augenblick schien Schwarz definitiv zu überwiegen. Und das passte ihm nicht.. das konnte so nicht sein, aber was sollte er dagegen tun? Wenn er doch nur die Augen aufmachen könnte, wenn er seine Finger irgendwie nach draußen strecken könnte oder nicht so viel Schnee ins Gesicht gepresst bekäme-
Er wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis sein Verstand ausgesetzt und der Sauerstoffmangel langsam die Oberhand ergriffen hatte, und vor allem wie lange es noch andauerte. Das nächste, was er mitbekam, waren leichte Tastempfindungen an seinem Gesicht, was er beinahe nicht gespürt hätte - allerdings verriet ihm eine ihm nicht bekannte Gefühlslage im Inneren, dass es Minho sein musste. Minho..
Flatternd schlug er die Augen auf, atmete leise, tief auf, als wäre er für einige Minuten unter Wasser gewesen - was sich lediglich vom Aggregatzustand des Schnees unterschied - und blickte, völlig neben der Spur, in das blassgraue Gesicht des Hellhaarigen über ihm. "Ich.. könnt nich 70 Jahre.. im Eis schlafen.. damn, Rogers..", krächzte er, seine Stimme brökelte dahin bei dem traumatischen Eindruck, den er bis vor wenigen Sekunden hatte erleiden müssen - alles, was aber gerade zählte, war Minhos Anwesenheit. Dass er ihn sehen und fühlen konnte. Er erkannte die Nässe in Minhos Gesicht, es brach ihm das Herz. Ein Schock, von dem sie sich Beide nicht so schnell erholten - schließlich hätte er genau so gut an dem Felsen zerschellen und mit gebrochenem Nacken unter dem Schneehaufen liegen können.
Apropos gebrochen - kaum, dass er sein Bewusstsein wieder erlangt hatte, durchströmte ihn ein unermesslicher Schmerzimpuls, der ihn bei dem mäßig erfolgreichen Versuch, sich aufzurichten, vor Qual aufschreien ließ. Schmerzverzerrten Ausdruckes umklammerte seine Hand Minhos Arm. "F-fuck.. ich.. ich komm nicht raus, mein-" Die kleinste Bewegung entlockte ihm einen weiteren, gepressten Schmerzlaut und er atmete zittrig durch, der zerschmetternde Impuls drückte auf seine Tränendrüsen. "Minho mein.. mein Bein.."
Jetzt war er es selbst, der Panik bekam und das Gefühl hatte, ihm wurde auf ein erneutes die Kehle bis zum letzten Zentimeter zugeschnürt. Sein Bein war mit absoluter Sicherheit gebrochen und er.. er bekam ihn nicht raus.

Minho kamen instinktiv wieder die Tränen als er merkte, dass Taes Lider zuckten, er in der nächsten Sekunde die Augen öffnete, nach Luft schnappte...und dann den bescheuertsten Spruch aller Zeiten losließ. „Du scheiß Bastard...“, flüsterte er heiser und legte eine Hand an sein eiskaltes Gesicht, fuhr sich mit dem freien Handrücken über die Augen, ein halbes Lachen fiel von seinen Lippen, er war einfach so erleichtert gerade, so verdammt erleichtert.
„Du...fuck, du hast mir ne scheiß Angst gemacht...“
Es war überhaupt kein Vergleich, Angst war nicht mal ansatzweise das, was Minho durchströmt hatte. Er hatte Angst vor seiner Aufnahmeprüfung gehabt, hatte Angst vor Operationen und vor der Supernatural-Folge mit den Gruselclowns. Aber das schien alles so unwichtig, so unwesentlich zu sein, war vollkommen in den Hintergrund gerückt und Minho wusste, er hätte nach Tae gesucht, bis er selbst zusammengebrochen wäre. Er hätte nicht aufgegeben, bis er ihn aus dem Schnee gezerrt hätte.
Als könnte er es immer noch nicht so richtig glauben, fuhr er über sein Gesicht, wollte ihn am liebsten mit einhundert Küssen überdecken, zog seine Nase dann aber nur hoch und zuckte dann zusammen als Tae sich aufrichten wollte und vor Schmerzen aufschrie. Dieser qualvolle Laut schnitt in sein Herz wie eine Rasierklinge und Minhos Blick glitt alarmierend zu dem Loch, was er geschaufelt hatte und indem Tae immer noch halb drinsteckte. „Ok ok, shhhh...shh, wir kriegen das hin, keine Panik jetzt.“, versuchte er den Älteren zu beruhigen, umfasste sein Gesicht und drehte es zu sich. „Alles ok, ja? Ich bin hier und du bist nicht allein und...wir kriegen das hin.“, versicherte er ihm wieder, sah ihm dabei direkt in die Augen, während er schnell und fieberhaft nachdachte.
Er wusste einiges über Sportverletzungen, auch über Knochenbrüche und ... egal, er musste ihn zuerst da rausbekommen.
„Ok, Tae, das wird wehtun, aber...beiß auf meine Jacke oder so, ich hol dich raus, ja? Du schaffst das, wir schaffen das.“ Er richtete sich auf, ging auf Taes anderer Seite in die Knie, rieb seine von der Kälte rotgefrorenen und starren Finger aneinander und atmete kurz dagegen, um ihnen wieder Leben einzuhauchen, bevor er in das Loch langte, so zaghaft wie möglich den Weg freiräumte, sodass er das Bein des Älteren befreien konnte.
„Okay...auf drei zieh ichs raus, ja?“
Minho warf Tae einen absichernden Blick zu, schloss dann kurz die Augen, bevor seine Finger sich um sein Knie legten, er konnte nicht sehen, was genau er tat, doch er hoffte einfach, es würde funktionieren. Es musste funktionieren. „Eins...“, fing er an und sein Atem schlug sich in einer weißen Wolke vor seinem Gesicht nieder. Es tut mir Leid, es tut mir Leid, es tut mir Leid.
„Zwei!“
Er ließ sich selbst nicht zur Drei kommen, zog einfach mit genügend Kraftaufwand an dem gebrochenen Gliedmaß und schaffte es tatsächlich mit Taes Hilfe, ihn komplett aus dem Schnee rauszukriegen.
„Oh Gott, es tut mir Leid...scheiße, Tae...tut mir Leid.“, stieß er aus und kraxelte um das Loch herum, um den Älteren in die Arme zu schließen und an sich zu drücken. „Wir habens geschafft, hast du gut gemacht...tapferer, kleiner Soldat, huh? Cap wär stolz auf dich.“, brabbelte er irgendeinen Bullshit los, laberte einfach irgendwas, weil das seine Art war, den Schock, der immer noch tief in seinen Knochen saß, zu unterdrücken. Er musste die Nerven behalten...und jetzt rausfinden, wies weiter ging.
Fahrig strich er über Taes Rücken, auch wenn er das durch die dicke Daunenjacke nicht merken würde, sein Blick glitt über seine Schulter zurück zu dem Abhang, den sie hinuntergebrettert waren. Sie waren noch ein gutes Stück vom Tal entfernt...und wie Minho an den orangefarbenen und roten Sonnenstrahlen am Horizont bemerkte, war es schon spät, sicher würde es bald dunkel werden...und sie saßen mutterseelenalleine an einem schneebedeckten Abhang irgendwo im Nirgendwo.
„Ok, folgender Plan...ich such jetzt was, damit wir dein Bein schienen können und...ich trag dich, ja? Wir steigen runter ins Tal und dann...richten die dein Bein wieder...und alles wird gut, ja? Piggyback ride mh?“, sagte er schließlich und zwang sich zu einem euphorisch wirkenden Grinsen. Sie konnten nicht hier sitzen blieben, nicht bei dieser Eiseskälte, die Minho trotz seiner dicken Winterkleidung spüren konnte.
Sie mussten sich bewegen.

"Da.. du lachst wieder", entgegnete Tae immer noch relativ benommen, allerdings konnte er genug aufwenden, um sich zu einem schiefen Lächeln hinreißen zu lassen. Er mochte es nicht, wenn Minho traurig wurde, wenn er weinen musste.. er wollte kein Grund sein, warum Minho weinte, selbst wenn sie - wie es bei besten Freunden, bei Soulmates, auch mal üblich war - aneinander geraten sollten. Dann war es eher rumschreien und -bitchen, aber niemals weinen - nicht wegen einem von ihnen. Dass es gerade nicht anders ging, war ihm schon klar.. war eben ein riesen Schock auf beiden Seiten gewesen. Instinktiv drehte er seinen Kopf ein wenig ein, schmiegte seine Wange in Minhos Handfläche und schloss kurz die Augen. Solange er ihn hatte.. solange er nicht alleine war.. "Sorry, Mutter Natur is' Schuld.."
Doch das allein reichte nicht aus, um ihnen Beiden eins reinzuwürgen; oder besser gesagt, ihm. Panik spiegelte sich in seinen Augen wieder, nein, vielmehr Verzweiflung. Ein gebrochenes Bein war das Letzte, was er brauchte.. bei dem Abrutsch konnte er zwar von Glück sprechen, dass es nur sein Bein gewesen war - trotz dessen keine sonderlich angenehme Lage, in der er steckte. Sein Atem ging schnell, doch bevor er hyperventilieren anfangen würde, nahm Minho sein Gesicht zwischen die Hände. Hilflos blickte er ihm in die kontrastierend dunkelgrau-schwarzen Augen, blinzelte das Brennen in seinen Augen weg, automatisch hatte sich seine nackte Hand, die aus ihren Handschuhen gerissen wurde, schwach um Minhos Handgelenk gelegt. Ihre beiden Fäden kitzelten einander, kribbelten leicht bei der vertrauten Berührung.
"..okay.. okay", murmelte er leise und versuchte seine Panik wieder in den Griff zu bekommen, was mit der flackernden Wärme, der Zuversicht in Minhos Augen leichter war. Dass er Angst vor den nächsten paar Sekunden hatte, war allerdings unausweichlich und auch nicht zu übersehen. "Okay", bekam er lediglich raus, nickte scheu, und entschied sich, den Kopf beiseite zu drehen - ja nicht drauf zu gucken, die Augen zu schließen. "Okay, bin soweit..", presste er gequält, als Startzeichen, heraus, kniff die Augen zusammen und- er hatte nichtmal Zeit, in Minhos Jacke zu beißen, bei Zwei schnappte er so qualvoll schreiend nach Luft, dass ihm kurz schwummerig geworden war. Der Schmerz war uneträglich, sofort brannte eine Pfüze an salzigen Tränen in seinen zusammengekniffenen Augen und er zog sich schluchzend die frierende Hand vor den Mund. Scheiße, es tat so verdammt weh.. wenn Minho es nicht besser wusste, fühlte es sich wie zweimal gebrochen an, als nur einmal - aber er hatte nicht wirklich das Bedürfnis, dem auf den Grund zu gehen.
Minhos Arme und seine tröstenden Worte bändigten das beinahe lautlose Fiepsen, das seine Kehle verließ, und er vergrub sein Gesicht kurzzeitig in seiner Jacke. Fuck.. in was waren sie hier reingeraten? Tae konnte nicht mehr als nur auf Minhos Plan zu nicken, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und atmete zittrig durch. "Allein- allein dafür will ich diese scheiß Karte..", schluchzte er leise, schaffte es jedoch trotzdem irgendwie halb zu grinsen und sich langsam wieder zu beruhigen.
Wenige Handgriffe und einer heldenhaften Rettungsaktion später saß er auf dem Rücken seines Besten, die Arme um seinen Hals geschlungen, das Gesicht dicht neben Minhos und den Blick nach vorne gerichtet. Eigentlich war Taehyung zuversichtlich gewesen, selbst obwohl nichts weiter außer Schnee, Bäume und Felsen weit und breit zu sehen waren - er hatte nicht gedacht, dass das Tal so weit weg war. Oder so schwer zu finden.
Denn auch nach gefühlt zwei Stunden, in welchen die Sonne immer tiefer am Horizont gestanden war, bis nur noch ein einziger, schmaler Lichtstreifen übrig war, waren sie immer noch unterwegs. Zu allem Überfluss sanken die Temperaturen mit jeder andauernden Minute, Taes Körper fing unbeholfenerweise an zu zittern, seine Jackenärmel hatte er sich über die erfrorenen Fingerknöchel gezogen, sein Kopf fühlte sich schwer an und von dem Taubheitsgefühl in seinen Beinen mal abgesehen spürte er seine Wangen auch nicht mehr. Oder sein Bewusstsein. Immer wieder trat er für ein paar Sekunden weg, bevor Minho dafür sorgte, dass er wach blieb. "M..mh..m b-bin wach..", brabbelte er, versuchte seine Arme um Minhos Hals etwas zu festigen, auch wenn ihn dort die Kraft bald verlassen würde. Das spürte er.

„Kriegst du...shit, du kriegst das ganze Sammelalbum, wenn wir daheim sind, ok? Ist mir egal.“

Es war eine gefühlte Ewigkeit her, seit Minho diesen Satz gesagt hatte, seit er Taes Bein mit aller Vorsicht, die seine zitternden Hände aufbringen konnten, aus den Überresten seines Skateboards und seinem Schal eine Schiene gebaut und ihn auf seinen Rücken gehievt hatte. Er war nicht schwer und Minho war stark doch der Abstieg gestaltete sich als schwieriger als gedacht und die endlose Weite um sie herum schien kein Ende nehmen zu wollen, die Berglandschaft schwand einfach nicht und die Sonne sank immer weiter und weiter, nahm auf ihrem Weg die Temperaturen gleich mit. Minho hatte Tae fest unter den Oberschenkeln gepackt, hielt ihn an Ort und Stelle, auch wenn er selbst absolut kein Gefühl mehr in seinen klammen Fingern hatte und die Kälte in jede Pore seiner Haut zu dringen schien.
„H-hey.“
Er schüttelte Tae auf seinem Rücken leicht, hatte wieder einmal bemerkt, dass er für ein paar Sekunden weg getreten war, drehte dann das Gesicht leicht zu ihm und zog die Augenbrauen zusammen. „Don’t fall asleep on me, t-thats rude.“, ermahnte er den Älteren, schob ihn auf seinem Rücken ein wenig zurecht, bevor er weiterging, den Blick fest nach vorne gerichtet. Er wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch sein Körper schmerzte, seine Arme protestierten und die Kälte ließ seine Fingerknöchel und Lippen aufspringen, rieb seine Wangen wund.
„Your mum didn’t raise you like that." Die Erwähnung von Taehyungs Mutter trieb den Gedanken an seine eigene Familie in Minhos Kopf und in seiner Brust zog es schmerzhaft. Ob sie merken würden, dass irgendwas nicht stimmte? Dass Minho sich nicht wie geplant abends bei ihnen gemeldet hatte? Ob irgendjemand....nach ihnen suchte? Minho schüttelte leicht den Kopf, drängte diese Fragen beiseite, solange sie nicht aufgaben...solange er nicht aufgab und solange Tae wach blieb, war die Hoffnung noch nicht verloren.
„Y-Y’know, I think I had enough cold for the next years. W-we should go to B-Busan next time...go to the beach, visit my fam." Seine Stimme bebte und Minho unterdrückte nur schwer den kalten Schauer, der von seinem Nacken über seine Wirbelsäule abwärts lief. Dass Tae auf seinem Rücken schlotterte wie ein Weltmeister, hatte er natürlich schon gemerkt, doch er wusste nichts dagegen zu tun.
„H-hey, gimme your hand." Vorsichtig befreite Minho seine Hand und führte Taes kalte Finger vor seinen Mund, atmete dagegen, um sie - wenn auch nur für einen kurzen Moment - zu wärmen. Selbst sein Atem schien kälter zu sein als normal und Minho schauderte ein wenig, öffnete den Reißverschluss seiner Jacke ein Stück und steckte Taes Hände hinein.
„G-good thing, I’m such a hot guy, huh?“, redete er weiter und ein raues Lachen klang aus seiner kratzenden Kehle, das Tae hoffentlich anstecken würde.
Um jeden Preis musste er ihn wachhalten, musste dafür sorgen, dass er nicht ohnmächtig wurde, er sicher auf seinem Rücken saß, auch wenn Minho seine Beine nicht mehr wirklich spürte, seine Füße immer häufiger im Schnee abrutschten und er sich ein paar Mal schon gerade noch so hatte fangen können.
Tae war das reinste Fliegengewicht gegen ihn und trotzdem schien er immer schwerer und schwerer auf ihm zu werden.

Taehyung wünschte, er würde nicht ständig dieser eisigen Kälte nachgegen und wegtreten, oder wenigstens selbst laufen. Denn durch den für ihn eher entspannteren Part, nichts tun zu müssen, wurde er müde. Das Risiko, dass er also schneller das Bewusstsein verlor, schlichtweg aufgrund des Nichts-Tuns, war deswegen umso höher - und er kam sich absolut unnützlich vor. Unbrauchbar. Eher wie ein Klotz am Bein, besonders in Momenten, in denen er mitbekam, wie Minhos Körper unter ihm ab und zu ein paar Aussetzer hatte. Es tat ihm so unendlich Leid - doch, was genau tat ihm Leid? Dass er die Gefahr eines Schneerutsches nicht hatte kommen sehen? Dass er nicht auf Minhos alarmierenden Rufe reagiert hatte? Dass das alles hätte verhindert werden können, wenn er einfach langsamer gefahren wäre?
Wie praktisch, dass er ausgerechnet jetzt Schuldbewusstsein dafür erlangte.
"Mama ain't r-raise a weak bitch, r-right?", schob er jedoch seine trüben Gedanken zur Seite und versuchte auf alles, was sein Bester an ihn richtete, eine Antwort zu geben. Ganz gleich, wie kraftlos er sich fühlte, oder wie krampfhaft er seine Augen offen halten musste. Starr, müde in das ewige, statische Weiß neben sich blickend, bevor er den Kopf drehte und seine erfrorene Wange gegen Minhos Schulter lehnte, sodass er den Blick auf sein Seitenprofil lenken konnte. Er verlor sich ein wenig darin, reagierte nicht sofort bei seinem Voschlag nach Busan zu fahren, sondern murmelte nur ein teilnahmsloses, vielleicht auch ironischerweise etwas verträumt klingendes "mhm".
Seine Lider wurden so unglaublich schwer, dass er mit sich zu kämpfen hatte, fast nicht wahrnahm, wie sein Bester seine erstarrten Finger an seine Lippen führte. Der leichte, wohlige Schauer, der im Vergleich zu der bibbernden Kälte jedoch nichts ausrichten konnte, ließ ihn die Augen wieder öffnen. Mittlerweile konnte er Minhos wärmere Körpertemperatur von innen ertasten, ganz leicht, den Wollpulli, der sich über seine Brust zog.
"The h-hottest..", stimmte Taehyung leise, atemlos lachend hinzu, bevor er daran halb erstickte und hustete. Lustigerweise musste er davon allerdings noch mehr lachen, wodurch ein Kreislauf des Verderbens geboren wurde.
"F-feels like b-back then when y-you carried me around, man I l-love piggyback rides", wie aus dem Nichts tauchten Erinnerungen von damals auf, und mit seiner belegten, müden und gebrochene Stimme versuchte er sich diese Bilder vors innere Auge zu holen. Noch leichter getan als gesagt; wie auf's Stichwort, so fühlte es sich beinahe an, kribbelte der für ihn zementgraue, aber eigentlich blaue, Faden um seine Finger. "I f-felt so much b-bigger on your b-back. I c-can't believe it's twelve years n-now.."
Zwölf Jahre, die sie sich jetzt kannten. Zwölf, und mit jedem Jahr, das hinzukam, schien das Band zwischen ihnen stärker, irgendwie länger und mächtiger zu werden. Ihre Sinne hatten sich so dermaßen auf den jeweils anderen sensibilisert, dass Tae es manchmal gruselte, wie sehr sie aufeinander abgestimmt waren. "W-Who the f-fuck needs I-Iron Man when I've g-got you, Minho.."
Und mit diesem Gedanken driftete er in seine Traumwelt ab, langsam, leise und friedlich, schloss die Augen, schlief ein.. und wirkte nicht danach, als ob er aufwachen wollen würde. Als ob er weiter kämpfte, oder bereits gegen die Kälte verloren hatte.

Den ganzen Abstieg über hatte der himmelblaue Faden um Minhos Handgelenk und Arm leicht gekribbelt, vielleicht weil sie...angesichts ihrer Lage sich noch viel näher waren als vorher, weil sie über Dinge redeten, die überhaupt erst dazu geführt hatten, dass sie die Fäden bekommen hatten. „Mhm, remember my t-tooth gap? And y-your braces, g-god, we looked ridiculous." Wieder lachte er leise, auch wenn es in seinem Hals weh tat, wenn jedes einzelne Wort in seiner Kehle halb erstickt wurde. Zwölf Jahre. Es war kaum zu fassen, wie die Zeit verflogen war, wie sie sich beide - fand Minho zumindest - ziemlich gut gemacht hatten. Taehyung vor allem. „Look at you now, being campus’ ladykiller. If the girls knew that you still wear Captain America boxers..." Der stichelnde Tonfall gelang ihm leider nur halb so gut wie er gerne gehabt hätte, doch Minho grinste trotzdem noch vor sich hin, auch wenn er bereits fühlte, dass seine Mundwinkel von der Kälte eingerissen waren, seine Zähne immer heftiger klapperten.
Bei seinen bebenden Worten wurde Minho trotz der Eiseskälte ein wenig wärmer ums Herz und er lächelte in sich hinein. Sie brauchten einander und das reichte ihnen vollkommen.
„Iron Man could just fly away now. He’d be more useful than me...", bemerkte er leise, doch seine Stimme war selbst nur noch ein heiseres Kratzen, dass er sich nicht sicher war, ob Taehyung es gehört hatte. Er wollte auch gar nicht dass er es hörte, dass er die leichten Zweifel in Minhos Stimme mitbekam.
Die Sonne hatte sich nun bereits vollkommen verabschiedet und es wurde erschreckend schnell von Minute zu Minute dunkler.
Minhos Faden kribbelte ein wenig stärker, bevor ein kurzes Stechen durch seinen Arm huschte und automatisch ruckelte Minho seinen besten Freund ein wenig zurecht.
„Hey, Tae...", fing er an, doch als er kein zustimmendes Brummen oder irgendwas als Reaktion zurückbekam, kroch Panik in seine Adern und er drehte den Kopf zu ihm, blieb in dem fast knietiefen Schnee stehen. „Hey, c’mon buddy, don’t fall asleep.", versuchte er es noch ein zweites Mal, doch als der Ältere immer noch nicht reagierte, atmete Minho zitternd aus, ging in die Hocke, obwohl seine Knie protestierend aufschrien und ließ Taehyung so sanft es ging in den Schnee sinken.
„T-Tae...hey!“ Seine Stimme wurde ein wenig lauter, während seine klammen Hände seine Schultern packten, er ihn ein wenig schüttelte. „Tae...Tae, please...stay with me, Tae..." Immer und immer wieder wiederholte er seinen Namen, bis seine Hände an seinen Wangen zur ruhe kamen und Minho den Kopf leicht neigte, bemerkte, wie flach er atmete.
Erst jetzt, wo er das Gewicht des Anderen nicht mehr auf sich spürte, merkte er, wie sehr er selbst vor Kälte und Erschöpfung bebte, doch das hielt ihn nicht davon ab, Tae leicht gegen die Wange zu klapsen.
„T-Tae...c-c’mon..."
Er wollte nicht weinen, wollte er wirklich nicht und die Tropfen schienen binnen Sekunden auf seinem eiskalten Gesicht zu gefrieren. Zitternd tastete Minho nach Taes Händen, zog sie zu sich, rieb über die aufgerissenen Fingerknöchel, versuchte sie, ein wenig zu wärmen, während langsam aber sicher die Erkenntnis in ihm durchsickerte, dass Tae vielleicht einfach nicht mehr aufwachen würde. Sein Arm kribbelte wie verrückt, doch Minho spürte es durch die Taubheit in seinen Gliedern nicht mal mehr, wiegte in dem Schnee leicht vor und zurück, Taes Hände an sich gepresst, versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, das in seiner Kehle hochstieg.
Seine Stimme versagte komplett und Minho konnte nur noch irgendwelche schrecklichen, gequälten Geräusche von sich geben, weil um sie herum nichts als Schnee und Eis war, weil seine Beine sich anfühlten, als würden sie jeden Moment absterben, weil er kein Gefühl mehr in seinem Körper hatte und weil Tae...vor ihm im Schnee lag, als würde er einfach nur schlafen und Minho beugte sich vor, lehnte seine Stirn gegen die des Älteren, vereinzelte Tränen tropften von seinen Wimpern auf seine aufgerissenen Wangen, seine blaugefärbten Lippen.
„Tae...“, gab er erstickt von sich und kniff die Augen fest zusammen, kam sich wieder vor wie der Siebenjährige, der weinend vor seinem von anderen Kindern zerstörten Schneemann saß. So dumm...und schon damals zu schwach, um sich zu behaupten, wenn es drauf ankam.
„Tae,p-please...d-dont leave me."

"Your hand is way smaller than mine-"
Der Schmächtigere zog seine Hand reflexartig zurück, als hätte er sich an einer offenen, heißen Herdplatte verbrannt. Durch seine Augen zuckte ein verletzter Ausdruck, traurig ließ er die schmalen, knochigen Schultern sinken, wirkte in seiner gesamten Haltung plötzlich wie ein getretener Straßenwelpe, den man im Regen ausgesetzt hatte.
Von der einen Sekunde zur nächsten hatte er sich vom Boden des Baumhauses abgestützt, aufgerichtet und schnurstracks umgedreht, um auf die Luke zuzustieren, das Brennen in seinen Augen und die überrumpelte Reaktion des Anderen igonrierend. Schnell fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen, rieb die Tränen auf dem Weg zur Luke weg und bückte sich nach der Kordel - doch hielt ihn die Hand des Anderen auf, umgriff sein schmales Handgelenk und zog ihn mit sanfter Gewalt zurück.
"W-wait, where are you going-"
"You're so mean..", unterbrach er den Größeren, fing nun doch an zu schluchzen, wehrte sich jedoch nicht gegen den Griff um sein Handgelenk - dafür war er zu schwach, noch dazu hatte er keine Lust oder Energie dafür. In seiner eigenen, trüben Welt gefangen bemerkte er nicht, wie sich betretener Schock auf dem Gesicht des Anderen ausbreitete.
"Wh-What do you mean, I said-" "You said my hand is smaller than yours and you laughed about it like everyone else!"
Stille trat ein, Klein-Taehyungie presste die feuchten Lippen aufeinander, schmeckte die salzigen Tränen, seine Schultern bebten und er senkte den Blick stur auf Minhos Schuhe.
Plötzlich legten sich zwei Arme um seinen Körper, überrascht riss der Ältere die Augen auf, eine Träne nach der anderen kullerte weiterhin über seine Wangen.
"Nonono I'm sorry, I'm so sorry I didn't mean it that way, I promise Taetae I love your hands look", abrupt löste er die Umarmung, nur um die winzigen Hände in seine zu nehmen. "I laughed because I find it so cool, look they fit perfectly in mine! Look!"
Schniefend sah er auf ihre Hände, bevor er den Kopf leicht hob. "They do.."
"You see! It's like they were made for me!"
Das liebevolle, strahlende Grinsen des Anderen trieb dem Kleineren ein Lächeln ins Gesicht, bevor er etwas schüchterner wurde.
"Minho.."
"Yeah?"
"I like you.. please don't hurt me.."
"Never! Never, Tae, I like you too! No matter what happens, I'll stay by your side, okay?"
"Okay. Me too!"


Der Kampf war nicht entschieden. Noch lange nicht - nicht jetzt, nicht, wenn er ein Versprechen gegeben hatte. Es kostete ihn so viel, so verdammt viel, gegen die einkehrende Dunkelheit anzukämpfen, die sich bis vor Kurzem noch so friedlich angefühlt hatte, so, als wäre er in einem ewigen Traum aus Erinnerungen, als würde er lediglich schlafen und auf Minho warten; dabei schaltete sein Körper ab, sobald er sich tiefer darin verlor. Er könnte nicht auf Minho warten, denn das bedeutete, er würde ihn nicht sehen.
Er würde nicht an seiner Seite sein.
Mach die Augen auf.. verdammt.. mach die Augen auf.. mach die Augen auf! Er riss an sich, zerrte an den Erinnerungen, hielt sich fest, brachte seine unerschütterliche, friedvolle Stille zum Beben, rüttelte und versuchte sich ein und den selben Mantra pochend gegen die Schädeldecke zu hämmern. So weit, dass das Chaos, mit welchem er versucht hatte, sich selbst aufzuwecken, für Kopfschmerzen sorgte und er jegliche Energie aufbrachte, jedes letzte Bisschen, das er sich von den Knochen kratzen konnte, auftrieb - und die Augen einen winzigen Spalt breit öffnete.
Ja... ja! Und jetzt noch ein bisschen.. da, schau, da ist Minho! Schau ihn an! Halt dich dran fest, du kannst ihn nicht im Stich lassen!
"M....Minho...." Ein kaum vernehmbares, heiseres Flüstern verließ seine zersprungenen Lippen. Seine Augen wollten sich nicht weiter öffnen, fuck, es musste aber.. es musste einfach. "M...M...." Benommen versuchte er nach seiner Hand zu tasten, nach seinen Fingern, wollte sie ineinander verschränken und auch wenn er es nicht spüren konnte, er musste im Hinterkopf haben, dass er da war. Dass er für ihn kämpfte, dass er seine scheiß Augen offen lassen musste.
"M...Minho s...s...stop c-crying I'm-", scheiße, es regte ihn so auf, dass sein Immunsystem abkackte, genau dann, wenn er es nicht brauchte. Wenn es absolut niemandem half, fuck, fuck.
"I'm... a f-fuck..ing...burden, Minho j-just..leave me h...here for a w....while and l-look out f...f...", for help, hatte er sagen wollen, doch der Rest blieb ihm in der Kehle stecken.

Minhos ganze Haltung war in sich zusammengesackt, ein unkontrollierbares Zittern überlief seine Schultern, brachte seinen ganzen Körper zum Beben. Die Panik, die adrenalingeladene Energie, die durch seine Adern gerauscht war, hatte ihn verlassen, hatte etwas Platz gemacht, das sich betäubend in seinem Kopf ausbreitete, jeden glücklichen Gedanken im Keim erstickte: Verzweiflung.
Er war verzweifelt und er wusste nicht was er tun sollte und sein Herz schlug seltsam langsam, jeder Schlag bedeutsam und schwer, sodass er in seinen Knochen widerhallte, so endgültig als könnte es sein letzter sein.
Minho hatte keine Angst, zu sterben, er hatte schon immer Scheiße gebaut, war tiefer getaucht, höher geklettert, schneller gelaufen als alle andere, hatte immer waghalsigere und gefährlichere Dinge als die anderen gemacht, hatte die Nervenkitzel gesucht, doch er konnte nicht zulassen, dass es hier für sie endete, dass er Taehyungs Hand in seiner hielt und dabei zusehen musste, wie er vor seinen Augen erfror.
Lautlos schluchzend presste er seine Hände gegen seinen Brustkorb, während das leichte Brennen in seinem Arm immer stärker wurde und Minho öffnete die Augen wieder, blickte durch den Tränenschleier hinab auf ihre Hände, den blauen Faden, der sich von ihren Ringfingern über ihre Gelenke spannte und bis zu ihren Ellenbogen reichte.
Er konnte es so nicht zu Ende gehen lassen und als Tae sich unter ihm leicht regte, er seinen Namen flüsterte, riss er den Kopf hob, die Augen weit geöffnet, war sofort wieder bei ihm und legte seine Hände an seine Wangen, fuhr mit seinen Daumen über seine Wangenknochen, seine Konturen. Er konnte sie hier nicht sterben lassen, er konnte das nicht tun.
Doch Tae schien ihn davon überzeugen zu wollen, dass er das sehr wohl konnte, dass er ihn zurücklassen sollte und Minho presste seine gesprungenen Lippen aufeinander, schüttelte wild den Kopf, hob dann leicht den Blick als er merkte, dass es um sie herum wieder angefangen hatte, dichte, dicke Flocken zu schneien. „F-fuck no.", zischte er und zog die Augenbrauen fest zusammen, kniff die Augen gegen den wieder stärker gewordenen Wind zusammen.
„S-shit, I won’t leave you...never!" Er wäre gerne lauter geworden, hätte standfester geklungen, doch seine Stimme war selbst nur noch ein erbärmliches Krächzen und sein Hals kribbelte, ließ seine Stimme fast wieder versagen.
„I’m a H-Hufflepuff and we-we don’t leave our friends, remember? Even if they’re j-just lame-ass R-Ravens." Wieder unternahm er den schwachen Versuch zu lächeln, bevor er sich wieder hinkniete, einen Arm des Älteren um seine Schulter warf und ihn versuchte dazu anzutreiben, sich um seinen Hals festzuhalten.
„Y-you’re my best friend...“ Er verlagerte sein Gewicht, versuchte in seinem halb aufgerichteten Stand Halt in dem rutschigen Schnee zu finden.
„...my soulmate..." Jeder Atemzug brannte wie die sprichwörtliche Hölle und Minho wusste, dass er weinte, dass er es nicht schaffte, die Tränen zurückzuhalten, weil er an damals dachte, als sie beide vollkommen fasziniert Taehyungs Vater gelauscht hatten, sich von ihm hatten erklären lassen, was das Wort Soulmate bedeutete.
„And a soulmate is s-someone who you can c-carry with you forever!"
Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, doch schließlich hatte er Taehyung wieder auf seinem Rücken, richtete sich auf und setzte weiter, tapfer, einen Fuß vor den anderen, den Blick gegen den Wind, der ihm ins Gesicht blies gesenkt. Es war so kalt, so bitterkalt, dass Minho sich sicher war, dass er vergessen hatte, wie Wärme sich anfühlte, wie der heiße Tee, den er vor gefühlten Ewigkeiten getrunken hatte, geschmeckt hatte, er war sich sicher, dass er alles vergessen hatte, dass es nur noch die Kälte gab, während er sich mit seinem immer schwächer werdenden besten Freund durch den Schnee kämpfte.
Es wurde immer schwerer, die Augen offen zu halten und als Minho merkte, dass sich unweit vor ihnen ein weiterer Abgrund auftat, dass sie auf diesem Weg nicht weiter konnten und wieder zurückmussten, schien es als würde das letzte bisschen Kampfgeist aus seinen dunkelbraunen Augen erlischen.
Regungslos stand er im Schnee, hielt sich selbst nur noch aufrecht, weil sein Körper zu gefroren schien, um sich groß zu bewegen und weinte stumme Tränen der Verzweiflung, weil sie hier draußen sterben würden, weil man sie irgendwann vielleicht finden würde, die Hände ineinanderverschränkt, Frost in den Haaren, erfroren. Weil Minho Yoon nicht stark genug gewesen war, weil er es nicht geschafft hatte, weil er Tae hier draußen sterben ließ und...
Das Rauschen in Minhos Ohren war so stark, dass er das sich nähernde Geräusch eines Getriebes nicht hörte und als er sich umwandte, die Schultern gegen den scharfen Wind hochzog, flutete auf einmal gleißendes, weißes Licht den schneebedeckten Felsenvorsprung, auf dem sie standen und Minho wandte sich um, hob instinktiv eine Hand gegen die Scheinwerfer, die auf sie gerichtet waren. Erst jetzt drang das laute Geräusch des Propellers an seine Ohren und Minho stieß einen zitternden Atemzug aus, bevor er aus vollem Halse losbrüllte, einen Arm in die Höhe riss, damit man sie bemerkte. Mehr schaffte er nicht, bevor er in die Knie sank.
„T-Tae...T-tae...t-there here...“, stammelte er rau und zog den schwachen Körper des Älteren in seine Arme, umklammerte ihn so fest, als würde sein erbärmliches Leben davon abhängen...denn das tat es auch.

Nichts schmerzte so sehr wie der Anblick seines Besten, dieser verbissene, frierende, leidende Kampfgeist, den er versuchte aufrecht zu erhalten, dieser Hoffnungsschimmer, der im vertrauten Dunkelgrau seiner Augen flackerte, sich an jeder Regung seines nahe zu erfrorerenen Gesichts festkrallte - er wollte ihn nicht loslassen. Nicht alleine lassen. Oder ihn sterben lassen.
"M..Minho...", unternahm er den Versuch, auf ihn einzureden, doch brach seine Stimme ab und die seines Besten hingegen sprach weiter, jede Gelegenheit niedertrampelnd, dass Tae ihm hätte widersprechen können. Ohne es wirklich zu bemerken, da er sich von Minhos Stimme leiten ließ, sich darauf konzentrierte, um nicht wieder in das tiefe, dunkle Nichts seines Vestandes zu tappen, befand er sich irgendwann erneut auf seinem Rücken - und das kalte, eisig schneidende Nass auf seinen eigenen Wangen, das er kaum spürte, verriet ihm, dass er weinte.
Es war unfair, einfach nur unfair und er bereute so vieles, bereute, dass er sich nicht hatte bremsen lassen können, dass sie sich unachtsam in die Berge begeben hatten, dass er bei der Wahl zwischen Busan und japanische Bergketten begeistert nach den Angeboten für Japan rumgeklickt hatte, dass er Minho nicht mindestens eine Millionen Mal am Tag gesagt hatte, wie wichtig er ihm war. Wie viel er ihm bedeutete, wie unvorstellbar ein Leben ohne ihn war.
"Y-You m-mean... the w-world to me, M...Minho. N-no m...matter what happens, I'm... I'm so glad y-your b....by my side."
Er sollte es nicht so sagen. Nicht mit seiner weinerlichen, gebrochenen Stimme, nicht mit der Hoffnungslosigkeit, der tragischen, unendlichen Liebe für seinen Soulmate, als würde er sich verabschieden - aks wäre es das Letzte, was er jemals wieder zu ihm sagen könnte. Doch als sich der Abgrund vor ihnen auftat und Minho nicht mehr dazu fähig war, weiterzugehen, schlug es ein wie eine Bombe.
Es war ihm egal, wenn er hier starb - solange er Minho bei sich hatte.
Sein Kopf kippte zur Seite, er trat wieder weg, doch diesmal nicht komplett; denn das Geräusch hinter ihnen, so entfernt es ihm vorkam, ließ ihn im Unterbewusstsein aufhorchen. Seine Augen waren nicht geschlossen, nicht vollständig, den schmale Spalt hielt er aufrecht, die gefroreren Tränen auf seiner Wange erstarrten, das Nass in seinen Augen wurde zu Frost an seinen Wimpern.
Das Gesicht des Jüngeren schwebte dicht über seinem, den festen Griff um seinen Körper spürte er nicht mehr. Jeder Atemzug steckte in seiner zugefrorenen Kehle fest, wurde zu einer Qual, doch bekam er irgendwie.. irgendwie mit vom Naherücken der Hilfe, vielleicht war es wegen dem eindringlichen, kraftlosen Ausdruck in Minhos Gesicht, oder der Art und Weise, wie er ihn festhielt, wie er auf ihn einredete, während seine Augen starr an dessen Lippen hingen.
Er hätte alles sagen können in diesem Moment, nichts käme so nahe wie die Erkenntnis, dass er ohne Minho nicht leben konnte. Niemals. Und er wünschte, er hätte es ihm gesagt, bevor seine Lider zugefallen waren.
Das Letzte, was er sah, kurz, wo er die Augen irgendwann wieder aufbekommen hatte, wie ein Flimmern, von dem er nicht wusste, ob es real war, war, wie sie nebeneinander geschoben wurden, gleißende weißes Licht über ihren Köpfen - und seine Hand, die in Minhos lag, bevor sie ihm langsam mit dem gewonnen Abstand, der sie immer weiter auseinander trieb, entglitt.
Nein... lass mich nicht los... Minho, ich kann nicht ohne dich.. ich kann nicht-
Schwarz.

„W-we made it...we m-made it..." Immer und immer wieder stolperten diese Worte über seine Lippen und Minho schluchzte gepresst auf, fuhr sich über die aufgerissenen Wangen, über die die Tränen nur so stürzten, weil sie gerettet wurden. Weil man nach ihnen gesucht hatte, weil...weil jetzt alles wieder gut werden würde.
Fest presste er Taes Körper an sich, während der Helicopter sich über ihren Köpfen drehte, Minho gegen das Licht blinzelnd nur verschleiert die Silhouetten von Leuten ausmachen konnte, die zu ihnen mit einer große Trage abgeseilt wurden. Er zitterte immer noch am ganzen Leib, redete ohne wirklichen Sinn auf Taehyung ein, damit er sich an seiner Stimme, an ihm festhalten konnte, verschränkte ihre Finger ineinander, streichelte sein erstarrtes Gesicht, weil er ihn nie wieder in seinem Leben loslassen wollte, weil er nie wieder so fühlen wollte, als könnte er ihn verlieren.
Minho wusste gar nicht wirklich, wie sie in den Helicopter gekommen waren, er vernahm das ganze Fußgetrappel um sie herum nur noch verschwommen, Stimmengewirr, irgendjemand hob ihn hoch, legte ihn auf den leicht schwankenden Boden. Schwarze Punkte tanzten um sein Blickfeld, endlich, endlich schienen seine Sinne nachzugeben, sein ganzer Geist aufzugeben, jetzt, wo er wusste, dass sie in Sicherheit waren, dass es ihnen besser gehen würde, dass sie es geschafft hatten.
Er spürte keinerlei Leben mehr in seinen Fingern, hielt sie jedoch immer noch fest verschränkt mit denen des Älteren, sah durch halb geschlossene Augen zu ihm hinüber, betrachtete sein frostüberzogenes Gesicht, während man ihnen beiden die Kleider aufriss, sie in Wärmedecken und was nicht sonst alles packte und Minho wollte die Augen schließen, wollte einfach nur schlafen, die Dunkelheit, die am Rande seines Sichtfelds waberte, empfangen und er blinzelte schwer, sein Blick fokussierte sich auf ihre Hände, auf die blauen Fäden, die auf seiner Haut kribbelten. Ein stärkeres Ziehen fuhr durch seinen Arm direkt in seine Brust und Minho atmete flach aus, weil es für einen kurzen Moment brannte, schmerzte wie ein Nadelstich und als er wieder hinsah, begannen sich ihre beiden Fäden...zu verändern. Minho spürte es mehr als das er es richtig sah, kämpfte gegen die Ohnmacht an, weil er sich nicht sicher war, ob er sich den roten Schimmer auf seiner Haut nicht einbildete, doch das heiße Kitzeln auf seiner Haut, das sich um seinen Ringfinger zog, seinen Arm hochwanderte ließ keine Zweifel zu und langsam, langsam färbte sich der Faden in einem tiefen, satten Rot.
Und er wusste nicht wieso, aber die Stimme von Taehyungs Vater echote in seinem Kopf, während Minho dabei zusah, wie das Schicksal ihm eine neue Bedeutung auf den Arm brannte, während fremde Hände ihn ein wenig beiseite schoben, man ihm die Sicht auf Taehyung versperrte.
You will always love them. Nothing can ever change that.
„T-Tae-" Es war das Letzte, was über seine Lippen kroch, bevor sein Kopf beiseite rollte und er ohnmächtig wurde.

Minho hätte rückblickend seine gesamte Stickeralbumsammlung darauf verwettet, dass er bei ihrem gemeinsamen Schneeabenteuer mindestens drei Zehen und alle seine Finger verlieren würde. Dass er bis auf eine ziemlich starke Hypothermie davon gekommen war und mittlerweile ohne Beaufsichtigung an Taes Bett sitzen durfte, verdankte er wohl einer höheren Macht. Tae hatte es weitaus Schlimmer getroffen, am ersten Tag hatte man ihn an eine Herz Lungen Maschine angeschlossen und Minho war fast durchgedreht, als er dieses riesige Folterinstrument mit den fünftausend Schläuchen, die man alle irgendwie an Tae angebracht hatte, gesehen hatte. Mittlerweile war er wieder stabil, war aber noch nicht aus seiner Narkose aufgewacht, in die man ihn versetzt hatte, um sein Bein zu richten. Lautlos verlagerte Minho sein Gewicht auf dem weißen Krankenhausstuhl, den er dicht an Taes Bett gezogen hatte, richtete seinen Blick wieder auf sein schlafendes Gesicht. Sie sahen beide immer noch ziemlich mitgenommen aus, die Kälteeinwirkung auf ihre Gesichter war so groß gewesen, das Minho immer noch ein fettes Pflaster im Gesicht hatte - was ziemlich dumm aussah, um es mal anzumerken.
Seine Hand lag in der des Älteren, immer und immer wieder strichen seine Fingerspitzen über die filigrane Linie, die sich über ihre Haut spannte. Rot. So scharlachrot, dass es kaum zu übersehen war. Eternal lovers.
Minho wünschte sich fast Taehyungs Vater her, damit er ihm das hier genauer erklären konnte. Auch wenn er nicht mehr sieben Jahre alt war. Minho war nicht dumm. Er wusste, was das bedeutete und wenn er ehrlich zu sich war, fühlte er es auch.
Die ultimative Panik, die sein Bewusstsein in dem Moment geflutet hatte, als er aufgewacht war und beinah die Schwester angesprungen hatte, weil sie ihm nicht hatte sagen können, wie es um Tae stand. Dieses erdrückende Gefühl in seiner Brust, das so schwer auf ihm lastete, ihm das Atmen schwerer machte, je länger er auf den roten Faden starrte. Langsam hob Minho den Kopf, richtete seinen Blick wieder auf Taes schlafendes, friedvolles Gesicht, für das er alles getan hatte, für das er gestorben wäre, fast gestorben war.
We made it.

Die bedrückende, leere Schwärze, von der man dachte, sie nicht bemerken zu können, wenn man bewusstlos war, machte Tae unruhig. Ja, er war unruhig, selbst obwohl er weggetreten war, er wusste irgendwie, dass die Ärzte seine Unruhe gespürt und an den Monitoren erkannt haben mussten, denn ganz gleich ob Bewusstlosigkeit oder nicht - er war noch hier. Er war noch lebendig, doch die Nachbeben der Höllenfahrt, die Minho und er hatten erleiden müssen, sowie die Tatsache, dass er nicht mehr bei ihm war, machten ihn verdammt unruhig - viel zu viel, als dass eine einfache Dosis an Nakosemitteln gereicht hätte.
Und ab diesem Zeitpunkt war es, als würde Tae in einem endlosen Schlaf liegen, ruhig, friedlich. Trotzdem, sein Unterbewusstsein realisierte, dass ihm was fehlte, egal wie lange es dauerte; mit jeder andauernden Minute, die er in seinem "Nakoseschlaf" verbrachte, wurde ihm klar, dass ihm seine zweite Hälfte fehlte. Er musste die Augen öffnen, er musste nach seiner besseren Hälfte sehen, er musste-
Nach einer gefühlten Ewigkeit hoben sich die Lider des Farbenblinden, das für ihn viel zu grell wirkende Licht im Behandlungraum bewirkte, dass er die Augen reflexartig wieder schloss, bevor er einen zweiten Versuch startete. Noch wirklich viel erkennen tat er nicht, oder spüren, oder hören - allerdings kehrten diese Sinneseindrücke innerhalb weniger Sekunden wieder zurück, selbst wenn er die Augen nur einen Spalt breit öffnen konnte. Er vernahm das Piepen des Herzrhythmusgerätes neben seinem Bett, spürte die Anwesenheit der Schläuche an seinen Gliedmaßen, die Klammern an seinen Fingern, die Schwere seines Körpers, sein dröhnender Kopf - und Minho.
Mit einem Mal schoss ihm eine Sache durch den Kopf, eine, die für ihre Rückkehr aus Japan wohl mit einem zweiten Mal besiegelt werden, und Minho an den Tag erinnern sollte, als Tae genau diese zwei Worte quer durch den Flughafen geplärrt hatte, anstatt sie wie hier unter einem schwachen Lächeln zu krächzen.
"Achtung links.."

~*~

Flashback