Sie waren beide keine Personen die gerne über ihre Gefühle sprachen. Cressida fiel es zwar oft leicht über die von anderen zu sprechen, so bald sie diese Person besser kannte, aber sie selbst würde sich in einer ähnlichen Situation wohl genauso verhalten. Deshalb hatte sie auch seit ihrem Zusammenbruch nie mehr über ihre Schuldgefühle gesprochen, obwohl sie seit dem Besuch im Kapitol nur noch stärker geworden waren. Das war einfach nicht ihre Art und deshalb fiel es ihr auch leicht Gale damit in Ruhe zu lassen. Auch sonst sprach sie es eigentlich nie an.
"Lass sie dir etwas wachsen, dann können wir das auch mal machen.", meinte Cressida mit ihrem typischen Schmunzeln, verstummte dann aber selber auch wieder und überlegte kurz. "Meinst du es wird irgendwann besser oder einfach nur anders?", fragte sie einfach und meinte damit dieses Gefühl zu unrecht am Leben zu sein, während andere tot waren. Es fühlte sich seltsam an zu wissen, dass man Lachen und Weinen und Schreien und leise sein konnte und dass die anderen diese Freiheit nicht mehr hatten. Nicht in dieser Welt. Sowieso fühlte es sich seltsam an. Cressida hatte im Kapitol ganz unbewusst die Menge nach Messalla und Castor abgesucht. Als wären sie gar nicht tot sondern nur von ihr getrennt. Als sie realisiert hatte, was sie tat und das es nichts brachte, war es für einige Minuten noch schlimmer gewesen als schon zuvor. Nur bei Gale war es irgendwie.. leichter.
Sie wusste, dass sie ihn mit ihrem Kuss überrascht hatte und sie spürte, wie er sich kurz einfach verspannte, aber er hatte gesagt, dass es ihm nichts ausmachen würde, weshalb Cressida abwartete. Tatsächlich dauerte es nicht sonderlich lange, bis sich seine Hände auf ihren Rücken legten und er sie näher an sich heran zog. Cressida folgte dieser Berührung sofort, wobei ihre Hände über seine Brust und seine Schultern nach hinten in seinen Nacken strichen und ihr Kuss noch ein wenig intensiver wurde. Sie brauchte Nähe und sie brauchte seine Nähe.

Wie so oft fanden Gales Finger ihren Weg in seine Haare und er wuschelte sie einmal durch, ehe ihm ein leises Seufzen über die Lippen stolperte. Er beschloss, die ganzen negativen Gedanken einfach beiseite zu schieben, sie wie Wolken vorbeiziehen zu lassen, auch wenn das leichter klang, als es letzten Endes war.
"Quatsch, die sind schon wieder viel zu lang", meinte er dann schulterzuckend und zupfte noch einmal an ein paar der kurzen Strähnen herum. Es wurde wirklich langsam Zeit, dass seine Haare wieder etwas geschnitten wurden. Früher hatte das immer seine Mutter bei ihm gemacht, manchmal auch er selbst. Aber er kümmerte sich schon zu lange nicht mehr wirklich um sich selbst, egal in welcher Angelegenheit, um sich wirklich für die Länge seiner Haare oder sein Aussehen generell zu interessieren. Seine Züge nahmen wieder etwas Ernstes an, beinahe wirkte er müde, vollkommen ausgelaut. Er zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf, atmete einmal durch. "Ich glaube, man wird sich dran gewöhnen. Und ich glaube, dass das das Schlimmste ist, was einem passieren kann." Zwar waren es nur zwei kurze, schlichte Sätze, aber dahinter steckte eine Menge mehr Wahrheit, als man zuerst annehmen mochte. Denn er wollte nicht, dass dieser Zustand, dieses Denken normal wurde. Er wollte nicht, dass er damit lebte. Er wollte, dass er bis in alle Ewigkeit mit einem schlechten Gewissen rumrannte. Das war seine gerechte Strafe.
Cressidas Lippen, ihre Berührungen machten es leichter, für einen Moment einfach alles zu vergessen, nicht darüber nachzudenken. Dieses Vergessen tat so gut, aber gleichzeitig fühlte er sich deshalb auch so unsagbar schwach. Schwach und egoistisch. Dennoch stürzte er sich kopfüber in den Kuss hinein, konzentrierte sich mit jeder Faser seines Körpers nur auf Cressida, denn das war es, was er gerade brauchte. Er konnte einfach nicht mehr. Gale war am Ende. Und er hatte das Gefühl, dass diese kurzen Sekunden ihn zum ersten Mal seit Monaten richtig durchatmen ließen, dass er zum ersten Mal nicht das Gefühl hatte, so nicht weitermachen zu können. Eine seiner Hände vergrub sich in den Haaren, die sie sich noch nicht vom Kopf rasiert hatte. Wie von selbst machten seine Füße ein paar Schritte nach vorn, bis Cressida die Wand im Rücken hatte.

Bei Gales Worten legte Cressida den Kopf schief, bevor sie ihn schüttelte und die Schultern zuckte. "ich hatte gehofft, dass es nur anderes wird.", stellte sie fest. Irgendwie fühlte es sich falsch an daran zu denken, dass sie irgendwann weniger Schmerz empfinden könnte, weil sie sich daran gewöhnt hatte. Das hatte keiner von ihnen irgendwie verdient und Cressida gab sich eben immer noch die Schuld an allem. Trotzdem wollte sie irgendwie leben.. Es fühlte sich alles seltsam an. Nicht richtig und viel zu schmerzhaft.
Wenigstens schafften es Gales Küsse und seine Berührungen sie ausnahmsweise einmal wirklich richtig abzulenken. Gerade eben fühlte sie sich irgendwie fast wieder normal und vor allem deswegen wollte sie nicht aufhören und sie war unendlich froh, dass Gale es anscheinend auch nicht wollte, denn dieser schob jetzt eine Hand in ihre Haare und drückte sie gegen die Wand, weshalb sie gar nicht anders konnte als kurz zu keuchen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Auch ihre Hände schoben sich jetzt in seine Haare, nachdem sie, trainiert wie sie war, ohne größere Mühen ihre Beine angehoben und um seine Hüften geschlungen hatte, schon alleine, weil es so viel angenehmer war. Er war eben doch deutlich größer als sie. Etwas, dass sie niemals stören würde, aber man musste sich schon ganz schön strecken. Außerdem war sie ihm so noch näher und darauf kam es gerade ganz besonders an.

"Ich hatte gehofft, dass es einfach so bleibt", meinte Gale schulterzuckend. Irgendwie wusste er nicht richtig, wie er sich erklären sollte. Er verstand es ja selbst nicht einmal wirklich. Katniss war in diesen Dingen noch verkorkster gewesen, als er selbst. Vielleicht war sie deshalb so eine angenehme Gesellschaft gewesen. Sie hatte solche Gespräche so gut wie nie gesucht. Gleichzeitig war vielleicht auch das gerade der Fehler gewesen. Jetzt denkst du schon in der Vergangenheit von ihr. Gale schüttelte über sich selbst den Kopf.
Mit Cressidas Lippen auf seinen dachte er jedoch nicht eine Sekunde lang an Katniss oder sonst irgendwen. Da waren nur sie beide. Lippen, schneller Atem, erhitzte Haut. Mit einer Hand hielt Gale Cressidas Rücken umklammert, die andere fuhr an der nackten Haut ihres Beines entlang, das sie um seine Hüfte geschlungen hatte. Sein Puls ging immer schneller und er bekam kaum noch Luft, aber das war ihm egal. Generell war ihm alles egal und genau das war das Gute an der Sache. Das, und die Nähe, die ihn alles vergessen ließ, die ihm ausnahmsweise nicht das Gefühl gab, die gesamte Welt würde ihn hassen.

Kurz musterte sie Gale einfach nur, dann zuckte sie genauso die Schultern und beließ es einfach dabei. Nicht, dass nichts mehr hätte sagen können, aber sie konnte nichts mehr sagen ohne ihre Gefühle preiszugeben und das wollte sie nicht. Noch nicht. Natürlich hatte sich ihre Beziehung zu Gale verändert, denn er war jetzt nicht nur der Mann vor ihrer Kamera sondern irgendwie auch ein Freund, aber die Erlebnisse waren noch zu frisch in ihren Erinnerungen und sie wusste, dass Gale auch noch nicht wirklich damit umgehen konnte, was alles passiert war. Vermutlich war es für ihn sogar noch schlimmer.. Seine beste Freundin hatte überlebt. Und sich selbst dafür entschieden sich von ihm abzuwenden. Innerlich seufzte Cressida kurz, aber dann war anderes ja schon wichtiger für sie.
Unter ihren Fingern an seinem Hals konnte Cressida spüren wie schnell Gales Herz schlug, aber ihr eigenes war auch nicht langsamer. Wenn es nicht sogar schneller schlug als seins, denn jetzt wanderten seine Finger über ihren nackten Oberschenkel, was dazu führte, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Ganz kurz löste sie sich gerade soweit, dass sie beide Atem schöpfen konnten, bevor ihre Lippen seine schon wieder verschlossen. Erst fuhr sie mit ihren Fingern nur am oberen Rand seines Shirts über seine Haut, aber da er sie festhielt und immer noch gegen die Wand drückte, schaffte sie es eine Hand zu lösen und mit ihr über seine Brust und seinen Bauch bis zum unteren Saum zu streichen, wo sie schließlich auch die Finger drunter schob und über seine Haut wieder nach oben wandern ließ. Klar.. sie hatten ihn schon halbnackt gesehen und sie hatte ihn so auch umarmt, aber damals war sie viel zu aufgelöst gewesen um wirklich darüber nachzudenken. Jetzt aber mehr zu fühlen als zu sehen, wie trainiert er war sorgte für eine Gänsehaut an ihrem ganzen Körper.