Schulterzuckend blickte Gale sein Gegenüber an. "Ich kann's eben einfach", meinte er beinahe schon entschuldigend, musste jedoch beinahe ein wenig grinsen. Etwas, das bei Gale schon seit Längerem nicht mehr allzu oft vorkam. Manchmal kam es ihm vor, als habe er sich unbewusst in die Rolle eingefügt, die Plutarch und Coin für ihn vorgesehen hatte - der ernste, starke Soldat, der zu allem schwieg und sonst nicht wirklich weiter wichtig war.
Früher hatte er sich rein gar nichts vorschreiben lassen. Sicher, er hatte an der Schule in Distrikt 12 irgendwo auch einen gewissen Ruf gehabt, aber das war ihm egal gewesen und es hatte immer wieder Momente gegeben, in denen er er selbst hatte sein können. Im Wald beim Jagen zum Beispiel. Zuerst allein, später mit Katniss.
Gale zuckte nur mit den Schultern, ihrem Blick noch immer ein wenig ausweichend. "An meinem Aussehen kann ich eh nichts ändern und wenn ich dummes Zeug rede, schiebe ich es einfach auf dich", meinte er dann nüchtern. Um sein Aussehen hatte er sich noch nie wirklich Gedanken gemacht. Zum einen, weil er sich so stark wie möglich von den Leuten im Kapitol hatte unterscheiden wollen, zum anderen, weil er dagegen sowieso nichts tun konnte und deshalb auch nichts über ihn aussagte. "Eben", sagte er dann nur noch schlicht. "Gute Nacht." In der Dunkelheit zupfte Gale noch ein wenig an seiner Bettdecke herum und legte sich bequem hin, wohl darauf bedacht, ihr nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken oder sowas. Überraschenderweise machte Cressida ihm dabei einen Strich durch die Rechnung. Ihre Berührung löste in ihm eine unfreiwilluge Gänsehaut aus.

Als er anfing zu Grinsen war für Cressida irgendwie egal, was er davor gesagt hatte. Es war nur gut, dass er endlich mal wieder grinste. Sie hatten ihn sowieso kaum jemals Grinsen gesehen, weshalb es fast schon irgendwie verrückt war. Dabei stand es ihm wirklich gut und Cressida fand, dass er wirklich öfter mal Grinsen sollte. Er war sonst immer so ernst und meistens auch sehr still. Solche Momente waren ein Seltenheit und für Cressida, besonders im Moment, irgendwie kostbar.
Als sie merkte, wie Gale ihrem Blick weiter auswich legte sie ein wenig den Kopf schief und seufzte innerlich, bevor sie auf ihre typische Art grinste und leise auflachte. "Bloß nicht! Ab sofort redest du nämlich ganz frei! Ohne Skript!", erklärte sie ihm grinsend und zuckte kurz die Schultern. Sie selbst sah sich sehr ungerne auf einem Bildschirm. Deswegen gab sie auch so gut wie nie Interviews. Das lag auch hauptsächlich daran, dass sie sich zwar schon um ihr Aussehen kümmerte, aber nicht so, wie die meisten anderen Kapitol, weil sie lieber länger schlief als sich zu schminken.
Cressida atmete einmal tief durch, als sie so nah an ihm lag und konnte nicht verhindern, dass sie sich automatisch besser fühlte. Und irgendwie müder. Endlich. Es war, als wäre er ein menschliches Schutzschild, weshalb sie tatsächlich schnell einschlief. Auch im Schlaf nur wurde sie nur ein kleines bisschen unruhig, weil die Bilder der Toten durch ihren Kopf geisterten. Diesmal wenigstens ohne Anschuldigungen, aber es führte dazu, dass sie sich etwas hin und her bewegte, bis sie, ohne es selbst zu bemerkte, eng an Gale gekuschelt da lag, die Nase an seiner Haut vergraben.

Irgendwann konnte Gale dem Drang nicht mehr wirklich standhalten und ließ schließlich nach, woraufhin sich ein wirkliches Grinsen auf seinen Zügen breitmachte. Eigentlich wusste er selbst nicht ganz genau, wie sie das geschafft hatte. Es gab nur eine Hand voll Menschen, die ihn ernsthaft zum Grinsen oder Lachen bringen konnten und selbst die hatten diese Fähigkeit vor einiger Zeit verloren.
Gale zuckte mit den Schultern. "Na, mag ja sein. Aber wenn du das zulässt, ist es trotzdem deine Schuld. Ich bin nur der Hauptdarsteller, aber du bist die Regisseurin." Natürlich meinte er das Ganze nicht wirklich ernst, aber Cressida würde es schon abkönnen, wenn er mal ein wenig den alten Gale raushängen ließ und sie ärgerte.
Als er nun also in der Dunkelheit lag, den Blick an die Decke gerichtet, musste er sich selbst irgendwie eingestehen, dass ihre Anwesenheit ihn beruhigte. Auch, wenn ihre Berührung zuerst ungewohnt war, hatte sie eine ziemlich gute Wirkung auf ihn. Gale war in Distrikt 12 hin und wieder mit Mädchen zusammen gewesen, hatte mit ihnen ein Bett geteilt, aber das hier war anders. Cressida war anders. Und vor allem war sie kein Mädchen. Der Krieg hatte ihr das genommen. Und trotz allem schaffte sie es, dass er das erste Mal seit Ewigkeiten durchschlief, den einen Arm unbewusst um sie gelegt.

~1 Monat später~

Nachdem Cressida nach der ersten Nacht erst ziemlich verwirrt, dann aber doch entspannt und zum ersten Mal fast ausgeschlafen in Gales Arm aufgewacht war, war es irgendwie anders geworden zwischen ihnen. Nicht einmal merkwürdiger, sondern sehr viel entspannter und tatsächlich witziger. Cressida lernte Gales frühere, wilde, freche Seite kennen, die deswegen nicht weniger liebevoll war und Gale lernte ihre freche Schnauze kennen, denn es zeigte sich, dass Cressida sich davon kein bisschen einschüchtern ließ, sondern eher im Gegenteil.
Und dann war da noch die Sache mit den Nächten und die mit dem Kapitol, denn Cressy schlief immer mal wieder bei Gale oder Gale bei ihr. Bevor sie das letzte und einzige Mal ins Kapitol gegangen waren, war dabei nichts passiert, außer, dass sie sich manchmal enger an ihn gekuschelt hatte und dass sie sich irgendwie öfter mal berührt hatten. Im Kapitol hatte es Cressida dann aber doch irgendwie.. gereich und als Coin tot warn, hatte sie ihn einfach geküsst. Nicht, dass sie sich jetzt direkt als Paar sehne würden oder es öffentlich raushängen lassen würden, aber wenn sie alleine waren, war da etwas zwischen ihnen, das vorher so nicht dagewesen war.
So auch heute, denn dank dieser neuen Stimmung war es Cressida mittlerweile ziemlich egal, wie sie den Tag über rumlief, wenn sie sowieso nur am schneiden waren, weshalb sie heute mal wieder nur in Top und Shorts in Gale Zimmer auf dem Bett lag. Sie hatte sich auf den Bauch gedreht, so dass sie den Bildschirm vor Augen hatte und die Füße Richtung Decke streckte. "Gaallee?? Hast du Kaffee?? Ich glaub zwar, dass ich fast fertig bin, aber ich will noch einen!"

Zwischen Gales Augenbrauen bildete sich eine schräge Falte, während er die Worte auf dem Bildschirm vor sich noch einmal überflog. Er schrieb einen Bericht über die Fortschritte beim Aufbau der Distrikte, den die Regierung hin und wieder anforderte. Normalerweise ein ziemlich beschissener Job, den er normalerweise nur halbherzig und so schnell wie möglich ausgeführt hätte, aber jetzt war er beinahe dankbar dafür, klammerte sich verzweifelt an jedes Bisschen Arbeit, das er auch nur finden konnte. Er war unfassbar dankbar für jede mögliche Ablenkung von all den Dingen, die im Kapitol geschehen waren. So vieles hatte sich verändert, er hatte Katniss endgültig verloren. Auch, wenn es nicht so schien, so hatte er sich noch immer nicht ganz damit abgefunden und die Schuldgefühle plagten ihn weiterhin. Manchmal, wenn Cressida neben ihm lag und er ihren gleichmäßigen Atemzügen lauschte, dann konnte er das alles beinahe vergessen und wurde für ein paar Stunden in wohligen Schlaf eingehüllt.
Dann war da außerdem die Sache mit dem Kuss gewesen und die Spannung zwischen Cressida und ihm, die darauf gefolgt war. Sie hatten nicht wirklich darüber gesprochen, aber irgendwie war das aus seiner Sicht auch bisher nicht nötig gewesen. Irgendwie war es einfach so und sie beide konnten gut damit leben, mehr nicht.
Als sie schließlich die Stille im Raum unterbrach, drehte er sich nicht einmal komplett zu ihr um, sondern ließ den Blick auf dem Bildschirm des Computers vor sich kleben, während er geistesgegenwärtig auf dem Schreibtisch nach seinem Kaffeebecher tastete. "Hier ist noch was drin", murmelte er dann und streckte das Gefäß in ihre Richtung, jedoch saß er viel zu weit von ihr weg, um ihn ihr ernsthaft reichen zu können.

Cressida sah selber nicht von ihrem Bildschirm auf, immerhin wollte sie wenigstens mit dieser Szene heute noch fertig werden, wo sie sich sowieso kaum darauf konzentrieren konnte. Ihr funkten einfach ständig andere Gedanken durch den Kopf, die hauptsächlich mit Gale zu tun hatten, was sie ihm natürlich nicht sagte. Wenigstens dachte sie so nicht ständig an Messalla oder Castor oder an Pollux. Sie hatte ihn im Kapitol wieder getroffen und es schien ihm nicht wirklich gut zu gehen. Wenigstens ging es ihm auch nicht so schlecht, wie man es erwarten könnte. Vielleicht hatte er über all die Zeit doch zu viel gesehen und Cressida gab sich selbst die Schuld daran, wenn sie ehrlich war. Was auch immer es war, es hing genauso in ihrem Kopf fest, wie dieser Kuss und sie schaffte es nicht sich in der Arbeit zu verlieren, weil dabei ständig Gale vor ihr saß.
Als dieser dann aber so antwortete, sah sie doch nach oben und hob eine Augenbraue. "Wirklich? Du siehst nicht mal rüber? Ist mein Anblick so schrecklich?" Es sollte mehr ein Witz sein, aber diese Spannung hielt sie bald wirklich nicht mehr aus. Mit einem leisen Seufzen rappelte sie sich hoch, nahm den Kaffee entgegen und leerte ihn mit ein paar Schlucken, während sie Gale über die Schulter sah. "Du wirst schneller.", meinte sie mit ziemlich neutraler Stimme. Sie wusste nicht so ganz, ob sie das jetzt gut fand, immerhin hasste er so etwas eigentlich und wenn er sich so darauf konzentrierte musste es bedeuten, dass er sich auf irgendetwas anderes nicht konzentrieren wollte. "Na ja wie auch immer. Ich bin fast fertig. Willst du mal drüber schauen?", fragte sie, nachdem sie die Tasse wieder abgestellt und sich zurück auf das Bett geschmissen hatte.

Geistesgegenwärtig tippte Gale ein paar weitere Sätze, über die er gar nicht bewusst nachdachte, die aber trotzdem beim Korrekturlesen Sinn ergaben. Wie auch immer sein Gehirn das machte - denn er war von dreitausend anderen Dingen abgelenkt, auch wenn er das so gut wie möglich zu vermeiden versuchte. Immer wieder sah er vor seinem inneren Auge die Gesichter von Katniss und Prim, bis sie schließlich zu einem verschmolzen und sich dann so abstrakt verformten, dass sie letzten Endes zu einer der Mutationen wurden, durch die Finnick sein Leben hatte lassen müssen. Denn genau diese Bilder hatten ihn erst vor Kurzem im Schlaf erreicht und ließen ihn seitdem nicht mehr los. Mit dem Unterschied, dass sie in seinem Traum nicht Katniss' Namen flüsterten, sondern seinen eigenen und dabei beinahe vorwurfsvoll klangen. Er schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken und Erinnerungen wegzuwischen und ignorierte den stechenden Schmerz in seiner Brust gekonnt. Dann seufzte er leise und drehte den Kopf schließlich doch in ihre Richtung. "Daran wird's liegen", meinte er und nickte, um seine Aussage zu bekräftigen. "Du bist definitiv absolut hässlich und unattraktiv, aber das wussten wir ja schon." Mit diesen Worten und einem leichten Schmunzeln auf den Lippen drehte er sich wieder in Richtung des Computers, bis sie schließlich neben ihm stand und ihm über die Schulter blickte. "Ist auch nicht so, als würde mir der Scheiß besonders viel Anstrengung abverlangen", meinte er schulterzuckend und korrigierte einen Flüchtigkeitsfehler. Er warf einen Blick über seine Schulter, als sie sich wieder zurück auf sein Bett geworfen hatte und zuckte mit den Schultern. Dann speicherte er das Dokument ab und ließ sich neben ihr auf dem Bett nieder. "Na, dann zeig mal her", meinte er und zwang sich dazu, seinen Blick auf den Bildschirm und nicht etwa auf die Blondine zu heften.

Bei seiner Antwort kniff Cressida ein ganz klein wenig die Lippen zusammen. "Würdest du nicht gerade Kaffeehalter spielen, hättest du jetzt ein Kissen im Gesicht.", erklärte sie ihm. "Aber der Kaffee ist mir dann doch wichtiger und du bist mit so einem Gesicht schon genug gestraft!" Das sie damit meinte, dass sein Gesicht praktisch perfekt war und sowieso ständig irgendwer ihn irgendwo anhimmeln würde, sagte sie ihm natürlich nicht. Angesichts der Stimmung im Raum, war das vermutlich sowieso besser so. "Nein es klingt auch mega langweilig..", meinte sie, nachdem sie ein paar der ätze überflogen hatte. "Wir legen morgen nochmal nen Tag schneiden ein." Cressida hatte im Moment recht wenig Lust noch weiter zu machen und außerdem würde es sowieso besser sein, wenn sie sich etwas Zeit ließen. Dann würde man die Fortschritte auch schon viel besser sehen. "Das letzte Projekt hab ich übrigens schon weg geschickt und ich hab das Okay bekommen. Seit Coin weg ist, ist es wesentlich leichter.", informierte Cressida ihren Partner noch und verbarg nicht, dass sie nicht sonderlich traurig war wegen Coins Tod. Ihrer Meinung war sowieso alles irgendwie deren Schuld. Natürlich auch von Snow, aber gegen den hatte sie ja gekämpft, gegen Coin nicht, also war es praktisch Verrat.
Als sich Gale neben sie setzte sah sie kurz nach oben, bevor sie sich wieder konzentrierte und die erste Viertelstunde laufen ließ. Sie hatte so viel wie möglich verwendet und wie immer machte Gale sich beim erklären mehr als nur gut. Sie hatte nahezu das gesamte Material verwenden können und es nur nochmal neu zusammengeschnitten und mit dem Ton hinterlegt, den sie nochmal gefiltert hatte, damit man auch ja alles perfekt verstehen konnte. "ich finds eigentlich ziemlich gut.", stellte sie fest und sah dann abwartend zu Gale hoch, um seine Zustimmung zu bekommen.

"Damit kann ich leben", meinte Gale vollkommen trocken und zuckte mit den Schultern. "Und Kaffee geht natürlich immer vor, schon klar", fügte er dann noch weniger beeindruckt hinzu. Irgendwie mochte er es, sie ein wenig zu reizen und außerdem war dieses ständige hin und her zwischen warm und kalt zwischen ihnen beinahe schon zur Gewohnheit geworden.
Der Dunkelhaarige nickte nur leicht mit dem Kopf. "Es ist ja auch langweilig. Jedenfalls, wenn man es so trocken und sachlich in einen Bericht packen muss. Kann das nicht wer anders machen?" Jetzt tat er so, als würde ihm das Ganze zur Last fallen. Tat es ja normalerweise auch, aber eigentlich war er gerade sogar froh darüber, das Zeug machen zu dürfen und wenn er eine Wahl gehabt hätte, hätte er sich vermutlich sogar darum gerissen. Auch, wenn das irgendwie bescheuert klang. "Weg", meinte er und musste fast lachen über den morbiden Beigeschmack des Ganzen. Aber auch nur fast, denn Coins Tod hing mit so vielen anderen Ereignissen zusammen, die Gale ganz und gar nicht zum Lachen fand und die ihn nur wieder an den Schmerz erinnerten, der seit Wochen seine Glieder erschwerte. "Aber klingt doch eigentlich gut."
Zwar hatte Gale sich am Anfang noch um einen gewissen Abstand bemüht, nach ein paar Minuten des Videos legte er sich jedoch einfach neben sie auf den Bauch, ohne dabei den Blick zu ihr rübergleiten zu lassen. Wie zufällig berührten sich ihre Arme, Gale ließ sich jedoch nichts anmerken. Nachdem der Film geendet hatte, blickte er zum ersten Mal richtig in ihre Richtung. "Ja schoooon, aber die Regie hätte echt besser sein können, also da mangelt es echt an Qualität", gab er sarkastisch zurück, mit einem Tonfall, der zu signalisieren versuchte, dass er in irgendeiner Weise Ahnung vom Film hatte. "Nein, ernsthaft, ist ziemlich gut geworden."

"Musst du bestimmt demnächst mal wieder.", antwortete Cressida mit dem absolut gleichen Tonfall und grinste dann schief. "Klar. Bei dir besonders.", ärgerte sie ihn zurück. Sie waren beide ziemlich gut darin sich zu reizen und zu ärgern, bis es irgendwann einfach wieder abflaute oder einer anfing zu lachen. Letzteres kam zwar seltener vor, aber es kam vor und das war irgendwie ein ziemlich großer Schritt Richtung Fortschritt.
Bei Gales Worten zuckte die ehemalige Kapitolbewohnerin einfach die Schultern. "Bestimmt. Aber dann wäre es nicht so detailliert wie bei dir und du könntest deinen Kopf nicht in der Arbeit verlieren. Ich merk das.", meinte sie, sagte sonst aber nichts mehr weiter. Sie hatte ihren Senf dazu gegeben und man konnte in ihren Augen sehen, dass sie immer noch genauso dachte wie schon am Anfang. Gale war völlig unschuldig in ihren Augen! Und das Katniss ihn so behandelte hatte dazu geführt, dass Cressida fast an die Decke gegangen wäre. Besonders nachdem sie von der Abstimmung wegen den Hungerspielen erfahren hatte. Etwas, dass sie auch Gale gesagt hatte, aber offenbar schien es nicht zu helfen.
"Ja weg. Von der Bildfläche verschwunden. Endlich tot. Gemeuchelt. Ermordet. Vom Balkon gekippt.", sagte Cressida ungerührt und mit einem Schulter zucken. Sie war immer noch wütend auf diese Frau, aber sie versteckte es hinter der Maske aus Nicht-Beachtung, die sie sehr gut beherrschte. "Es ist gut."
Cressida interessierte es nicht wirklich, dass er am Anfang auf Abstand aus war. Klar.. sie hatte ihn geküsst und sie würde es wieder tun, aber jetzt war es irgendwie auch seine Entscheidung. Was sie interessierte war die Tatsache, dass er sich dann doch neben sie legte und sich ihre Arme berührte, weshalb Cressida eine leichte Gänsehaut unterdrückte. "Pff!", machte sie und stupste ihn einmal kräftig mit der Schulter an, bevor sie auf ihre typische Art grinste. "Sehr gut. Dann lassen wirs erstmal.", meinte sie, speicherte alles ab und kletterte frech über ihn drüber, bevor sie Richtung Türe lief. "Dann kann ich jetzt auch mal rüber und schlafen gehen. Und du auch.", meinte sie scheinbar unbeteiligt und stand sogar schon im Türrahmen, als sie doch nochmal stehen blieb, sich umdrehte, ihn musterte und sich gegen das Holz lehnte. "Ich könnte allerdings auch einfach hier schlafen.", meinte sie langsam, wobei sie unschuldig auf den Boden sah.

"Ich warte drauf", antwortete Gale unbeeindruckt und zog nur leicht eine Augenbraue in die Höhe. "Schon klar."
Der Dunkelhaarige zog kurz die Schultern hoch und ließ dann seinen Kopf kurz kreisen, wobei sein Nacken leicht knackte. Er war es schlichtweg nicht gewohnt, sich so lange nicht richtig zu bewegen und stattdessen rumzusitzen und auf einen Computer zu starren. Das war einfach nicht sein Ding und wenn er nicht bald irgendwas fand, um den Kopf freizukriegen, würde er vermutlich platzen.
Ihr Kommentar kam zwar wie beiläufig, aber sie hatte trotzdem ins Schwarze getroffen, weshalb er sich kurz anspannte. "Mhm", machte er lediglich ohne jegliche Emotion und ohne sie dabei anzusehen. An sich hatte Gale Gefühle nie wirklich als richtige Schwäche empfunden, jedoch sah das im Krieg etwas anders aus. Gefühle machten einen verwundbar, sie boten mehr Angriffsfläche und diese Haltung hatte er sich bisher nicht wirklich abgewöhnt. Manchmal fühlte er sich noch immer, als sei er auf dem Sprung, müsse jeden Moment fliehen oder das Kapitol erneut stürzen.
Der junge Mann schnaubte, was sich beinahe wie ein kleines Lachen anhörte. "Man könnte fast meinen, dass du Coin nicht besonders mochtest", meinte Gale mit so viel Sarkasmus, wie er nur aufbringen konnte.
Er zuckte nur desinteressiert mit den Schultern, als sie ihre Schulter als Waffe gegen ihn einsetzte. "Klingt nach einem Plan", meinte er, obwohl für ihn an Schlaf absolut nicht zu denken war. Er würde nur permanent über Katniss' letzte Worte an ihn nachdenken und an all die Dinge, die er falsch gemacht hatte. Genauso in den darauffolgenden Nächten, bis er irgendwann vor lauter Erschöpfung wirklich einschlafen und von Albträumen heimgesucht werden würde. Er hatte sich schon daran gemacht, seinen Computer herunterzufahren, als sie noch etwas sagte. Er hielt in der Bewegung inne und drehte sich herum. Sein Blick wanderte verstohlen an ihr hinab. "Könntest du...", meinte er dann und verschränkte die Arme vor der Brust.

Natürlich bemerkte Cressida, wie er sich anspannte und dass er nur ein kurzes mhm von sich gab und wenn man so lange so eng zusammenarbeitete, wusste man irgendwann eben auch, was das bedeuten sollte. Aus diesem Grund musterte sie ihn jetzt auch etwas länger, bevor sie die Schultern zuckte. "Mach was du willst, aber eigentlich ist es das nicht wert.", sagte sie schlicht. So empfand zumindest sie das und sie wusste, dass Gale das anders sah. Dabei hatte Katniss ihn verletzt. Es war schwer zu übersehen gewesen, wie die beiden zueinander standen, aber für die Liebe, wenn es sie überhaupt gab, konnte man eben nichts und Katniss hatte sich am Ende für Peeta entschieden. Cressida hatte das eigentlich nie wirklich gewundert. Was sie wirklich wütend machte, war Katniss Reaktion auf Gale und wie sie diesem die Schuld für den Tod ihrer Schwester gab. Natürlich war so etwas schrecklich und grausam, aber Cressida wäre nie auf die Idee gekommen irgendwem anders die Schuld an einem Tod zu geben außer sich selbst oder den Befehlshabern. Noch dazu hatte sie Beweise, die eindeutig für Gale sprachen! Aber Katniss schien das alles nicht mal zu interessieren und was das mit Gale anrichtete machte Cressida richtig, richtig sauer.
"Seltsam oder? Dabei waren wir immer beste Freundinnen.", sagte sie mit dem absolut gleichen Sarkasmus und grinste kurz ein wenig. Hätte Katniss sie nicht erschossen, hätte Cressida sicher irgendwann wieder eine Revolution angezettelt.
Cressida lehnte noch immer im Türrahmen und sah auf den Boden, als sie Gales Worte hörte. Ganz langsam sah sie nach oben, den Kopf ein wenig schief gelegt und die Augen mit diesem gewissen Funkeln auf Gale gerichtet. "Könnte ich.", wiederholte sie nochmal, während sich ein schiefes Grinsen auf ihre Lippen schlich. "Vielleicht sollte ich dann aber erwähnen, dass ich dich gerne geküsst habe und dass ich es jederzeit wieder tun würde." Fast abwartend sah sie ihren Kollegen, Mitverschwörer und Mitbewohner an.

Leise seufzend fuhr Gale sich mit der Hand über das Gesicht. "Mir aber leider schon", sagte er nur schlicht und in einem Tonfall, der zwar nicht unfreundlich war, aber klar zeigte, dass er darüber nicht mehr reden wollte. Er wusste, wie Cressida mittlerweile zu Katniss und all dem anderen Kram stand und sie wusste, wie er das sah. Sicher, sie hatte einen viel rationaleren Blick darauf, aber das war für sie auch viel einfacher, weil sie lange nicht so emotional involviert in das Ganze war, wie er. Er hatte Prim aufwachsen sehen, hatte selber Geschwister in ihrem Alter, er hatte sie jahrelang mitversorgt und sich um sie gekümmert, als Katniss in der Arena gewesen war. Und Katniss - nun, sie war seine Jagdpartnerin, seine engste Verbündete, seine beste und einzige Freundin und das erste Mädchen, das er wirklich geliebt hatte. Also egal, wie oft andere ihm einredeten, er sei nicht schuldig und habe keinen Fehler gemacht - da blieb immer noch die miese leise Stimme in seinem Hinterkopf zurück, die ihm einredete, dass er ein Monster war.
"Klar, ich weiß noch, wie ihr euch gegenseitig die Haare gekämmt und euch Witze erzählt habt. Ist fast, als wäre es gestern gewesen", meinte er dann und war dankbar dafür, dass die unangenehme Situation durch ihre Witze aufgelockert wurde. Das war genau das, was ihm in letzter Zeit gut tat, auch wenn es laut seiner Mutter eher weniger gesund war, alles in sich hineinzufressen und zu verdrängen.
Gale verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf schief und blickte Cressida für einen Moment schweigend an. "Schätze, damit komme ich schon klar", meinte er dann schulterzuckend.

Bei Gales Antwort verstummte Cressida sofort. Sie war deswegen nicht sauer oder enttäuscht oder sonst irgendwas. Sie verstand ihn komplett und es tat ihr leid, dass er so etwas durchmachte. Ihr war klar, dass er das anders empfand als sie, immerhin war Katniss nicht ihre Kindheitsfreundin, aber sie musste dabei immer an Messalla denken und sie wusste, dass sie ihm nie die Schuld geben würde. Sie würde alles daran setzen zu beweisen, dass er es nicht war. Trotzdem war das nicht ihr Bier. Sie konnte nur irgendwie dafür Sorgen, dass Gale irgendwann klar wurde, dass er es nicht gewesen war und dass er darüber hinweg kam. Auf jeden Fall würde sie alles tun, was sie konnte.
"Ja stimmt. Ich fand vor allem die Zöpfe immer super.", antwortete Cressy und konnte dann nicht anders als zu lachen. "Diese Vorstellung..." Jetzt schlich sich auch ihr typisch schiefes Grinsen wieder auf ihre Lippen. Coin mit Zöpfen wäre sicher ein Hingucker gewesen.
"Na wenn das so ist..", sagte Cressida langsam, bevor sie ihren Laptop neben seinen auf den Schreibtisch legte, die Tür mit Fuß zustieß und dann schon bei ihm war, wo sie die Hänge auf seine Brust legte, sich etwas streckte und ihre Lippen gegen seine schmiegte. Sie hatte für sich entschieden, dass es einerseits seine Anziehungskraft war und andererseits ihr Bedürfnis nach Ablenkung und natürlich auch die gemeinsamen Nächte, die ihr so gut taten, die dazu führten, dass Cressida nicht anders konnte als daran zu denken ihn zu küssen. Sie wollte aber auch nicht darüber nachdenken, ob ihre Schlussfolgerung wirklich stimmte, denn auch wenn sie Nähe brauchte war sie nicht bereit ihr jahrelanges Alleinsein aufzugeben. Besonders nicht so kurz nach dem Tod von sehr wichtigen Menschen in ihrem Leben. So oder so.. Gales Küsse waren gut und sie waren wie Balsam für ihre Seele.

Gale bemerkte, dass sie seinen Tonfall richtig gedeutet hatte und nichts mehr sagte, wofür er ihr mehr als nur dankbar war. Für ihn gab es einfach gerade keinen Weg, vernünftig darüber zu reden. Er konnte ja nichtmal wirklich darüber nachdenken, also wie sollte er seine Gedanken zu dem Thema mit einer anderen Person teilen? Noch nie war der Dunkelhaarige ein Mensch gewesen, der diese Dinge gerne tat, also ließ er es meistens auch. Der Ausbruch, den er vor einigen Wochen vor Cressida gehabt hatte, war eine Ausnahme gewesen, auch wenn sich danach etwas entscheidendes zwischen ihnen geändert hatte. Was genau, wusste er selbst nicht.
"Darauf war ich immer besonders neidisch. Ich wollte schon immer jemanden, der mir Zöpfe flechtet", meinte er und nickte dabei möglichst ernsthaft. Auch ihm kam ein kurzes, raues Lachen über die Lippen, doch es verstummte genauso plötzlich, wie es gekommen war. Irgendwie war es seltsam, aber manchmal fühlte Gale sich, als hätte er nicht das Recht dazu, sich zu amüsieren oder glücklich zu sein. Nicht jetzt. Noch nicht. Nicht, nach allem, was passiert war. Nach allem, was er getan hatte.
Gerade hatte Gale sich ganz zu Cressida umgedreht, wollte ihr etwas antworten, als sie ihn mit einem erneuten Kuss überrumpelte. Im ersten Moment erschreckte er sich regelrecht, spannte sich kurz an, dann jedoch ließ das Gefühl nach und wich etwas anderem, das er nicht ganz definieren konnte. Plötzlich wichen alle Gedanken aus seinem Kopf, er überlegte nicht mehr, sondern handelte einfach nur noch. Seine Hände fanden ihren Weg auf ihren schmalen Rücken, zogen die Blondine noch näher an sich. In diesem Moment war er einfach nur dankbar für die Nähe.