Wer?: Alec Scamander & Amanda Hudson
Datum?: 2016
Ort/Raum?: New York 🗽 (Ortwechsel werden im Folgenden gekennzeichnet)
Was soll etwa passieren?: Nach drei Jahren plötzlichem Kontaktaktabbruches begegnen sie sich wieder: Alec, der geweihte Halbgott dreier Götter und darunter einer der größten Gottheiten der griechischen Mythologie, Poseidon, und Amy, die seit dem tödlichen Autounfall vor einem Jahr das Leben einer Banshee bestreitet. Auf ihre dramatische Wiederbegegnung hin erfahren sie jedoch, dass ihre Schicksale miteinander verknüpft sind und sie zu etwas viel Größerem bestimmt sind. Das Orakel von Delphi beruft sich auf Alecs und Amandas Begegnung ein und spricht seinen Spruch, welcher den Göttern bereits schon bekannt, für sie aber nur ein entfernter Funken der Zukunft gewesen war. Nun entstanden Klarheiten für offene Fragen, doch noch sind nicht alle Antworten gefunden. Schnell wird den Beiden klar, dass sie sich ihrem Schicksal stellen müssen - gemeinsam.
Raiting?: Fsk 16

Es war einer dieser grauen Tage in New York, an denen nichts ätzender hätte sein können. Regen, gestresste Freizeiteinkäufer, gereizte Geschäftsmänner, hupende Autos, schmutzige Abgase. An solchen Tagen bereute es Amy, dass sie überhaupt den Fuß vor die Tür gesetzt hatte. Und daran war nicht der Regen Schuld, sie liebte den Regen eigentlich sogar ziemlich. Er hatte eine wahnsinnig beruhigende Wirkung auf die Banshee, wenn sie in ihrem Zimmer saß und einen neuen Schriftzug für ihre Graffitiwand ausprobierte zum Beispiel. Nein, was sie schlichtweg störte und ihr eine schlechte Laune bescherte, waren die Menschen um sie herum. Mit ernsten, gereizten Mienen bahnten sie sich ihren Weg durch die Einkaufsstraße, und sahen es nicht einmal ein sich dafür zu entschuldigen, sollten sie jemanden angerempelt haben - wie Amy gerade. Die Hände in ihrer halb durchnässten, grauen Stoffjacke vergraben hatte sie vielleicht noch die Zeit gehabt, schnell den Blick vom Boden zu heben, da stolperte sie bereits ein paar Schritte zurück. Für ein verärgertes "Hey!" war es zu spät, der vielbeschäftigte Mann hatte sie anscheinend nicht mal richtig wahrgenommen. Genervt zog Amy die Augenbrauen zusammen, atmete tief durch und fuhr mit ihrem Weg fort. Und je weiter sie ging, desto häufiger tauchte eine Frage in ihrem Kopf auf: Warum bin ich jetzt nochmal raus gegangen? Hatte sie vorgehabt neue Farbspraydosen zu holen? Allmählich glaubte sie sowieso, langsam Allzheimer zu bekommen. .... Moment. Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb mitten auf dem Weg stehen, presste ihre Lippen zusammen, schloss die Augen für einen kurzen Moment. Gleich seh ich wieder eine Leiche. Gleich liegt ein Toter um die Ecke. Ich wusste es, ich wusste es, ich WUSSTE ES. Unterdrückte Wut baute sich in ihrem Inneren auf; die Hände in ihren Jackentaschen ballte die 17 Jährige zu Fäusten, sie stampfte einmal auf den nassen, dunklen Teerboden. Dafür hatte sie gerade überhaupt keine Nerven, nur was sollte sie schon dagegen tun können? Schließlich war das weiß Gott nicht das erste Mal. In ihrer kleinen Phase, in der sie krampfhaft ihre Fassung wieder zurückerlangt hatte, vergingen vielleicht 5 bis 6 Sekunden, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte. Einfach auf dich zukommen lassen, so wie immer.

Der heute war perfekt. An Regentagen hatte man sowieso das Gefühl einfach unter zu gehen in der Welt. Man wurde nicht mehr wahrgenommen, egal wer man war und wo man war. Wenn ihm sonst die meisten einen schiefen Blick zuwarfen, entweder neugierig, interessiert oder abwertend, ignorierten sie ihn heute einfach und Alec kam das gerade Recht. Er wollte nicht gesehen werden, während er die Straße herunterlief, in eine der Gassen einbog und dann schon an einem verlassenen Teil des Hafens stand. Mitten zwischen alten Containern, die man schon vor langer Zeit ausgelagert hatte, weil sie undicht waren oder nicht mehr richtig schlossen. Seine Schwester und ihn hatte das nie gestört. Hier in der Nähe ihres Paten war es für sie genauso sicher wie im Mondschein oder im Schlaf bei ihren anderen Paten. Deshalb waren sie eines Tages einfach in einen Container geklettert und hatten sich nach und nach ihren Rückzugsort eingerichtet. Die Sachen da drin gab es immer noch, aber Alec stand nicht der Sinn danach sich dort zu verkriechen. Stattdessen kletterte er auf den Container und schob die Hände in die Jackentasche. Die Finger seiner rechten Hand ertasteten auch schnell den kleinen Dolch und für einen Moment verspannte er sich. Sollte er es wirklich hier machen? Wo sein Pate ihn praktisch beobachten konnte? Aber wo sonst? Immerhin war er seiner Schwester hier am nächsten. Seiner kleinen Schwester, die ein wahnsinniger Zeusanhänger umgebracht hatte. Natürlich hatte auch dieser nicht mehr lange gelebt, nach dem ihre Paten und Alec selber davon erfahren hatte. Und trotzdem.. Trotzdem war es nicht ausreichend gewesen... Für ein paar Stunden hatte er sich gut gefühlt, aber dann waren die Erinnerungen über ihn herein gebrochen und er hatte einen Entschluss gefasst. Er wollte den Göttern nicht mehr dienen, wollte diese Kämpfe nicht ohne seine Schwester durchstehen und er wollte ein Zeichen setzen. Es war egal, wem er geweiht war, denn am Ende bestimmte er selbst und nicht irgendein anderer über sein Leben. Nicht wie bei seiner Schwester. Niemals.
Ohne lange zu zögern sprang er von dem Container, kam sicher auf und lief noch ein bisschen weiter, bis er direkt am Wasser stand. Würde er darin landen, sobald er tot war, würde sein Pate schon dafür sorgen, dass niemand ihn entdeckte, aber er musste es perfekt timen.
Dass die Kapuze ihm beim Sprung vom Kopf gerutscht war störte ihn schon gar nicht mehr, als er jetzt den Dolch aus der Tasche zog. Normalerweise trug er ihn an der Seite seines Rucksackes in einer gut verborgenen Tasche, aber den Rucksack hatte er daheim gelassen. Er wollte irgendwie nicht, dass etwas davon nass wurde, immerhin hatte er viel Geld für den Inhalt bezahlt und viele Stunden Arbeit investiert. Außerdem würde es seinen Eltern vielleicht helfen, wenn er nicht mehr zurück kam. Kurz lächelte er wehmütig. Seine Eltern waren eigentlich ziemlich toll, aber im Moment konnten sie den Schmerz nicht auffangen, weil sie genauso daran zerbrachen. Vielleicht würden sie sich bald wo anders wiedersehen. Im Hades dann, auch wenn seine Schwester, als Heldin gestorben, sicher nicht bei ihm sein würde, denn er würde als Verräter sterben. Er war schon immer dunkler gewesen als sie. Mehr Morpheus als Artemis.

Ihr unwillentlicher Weg führte Amy in den Hafen, und beinahe sofort übermannte sie eine schauerartige Gänsehaut. Die Theorien in ihrem Kopf schlugen neue Optionen vor, verschafften ihr eine komplett andere Sicht auf das, womit sie eigentlich eher in der dunklen Gasse von eben gerechnet hätte. Inständig betete sie, dass es sich nicht um eine Wasserleiche handeln würde. Das letzte Mal, als sie es mit Wasserleichen zutun gehabt hatte, waren es schier endlose Alpträume gewesen, die sie eins nach dem anderen aufgesucht hatten. Eigentlich waren Alpträume nichts mehr Ungewöhnliches für die Hudson Tochter; besonders am Anfang war es Routine gewesen, von den Leichen am Vortag zu träumen. Früher hatte sie auch immer ihre Stimmen gehört, hatte sich nur mit Mühe aus ihrer Traumwelt des Horrors kämpfen können. Und nicht selten hatte es dann damit geendet, dass sie entweder bereits im Schlaf geschrien, oder schreiend aufgewacht war. Etwas, worüber sich besonders ihre Eltern ständig Sorgen gemacht hatten, sobald Amy am Ende weinend in ihren Armen gelegen war. Da stellten sie sich schon die Frage: Wäre es nicht besser gewesen, wenn sie nicht von diesen Leiden geplagt werden würde?
In Gedanken an üblen Szenarien verweilend ging sie durch den Regen weiter, biss sich grüblerisch auf den Lippen und hob den Kopf, als neben ihr plötzlich leere Container standen. So weit war sie schon gekommen? Verrückt, was das Banshee Dasein mit ihrer Aufmerksamkeit anstellte. Doch dies nahm sofort ab, als sie jemanden weiter vorne stehen sah. Die 17 Jährige kniff leicht die Augen zusammen, um die Person besser ausmachen zu können. Sollte hier nicht eigentlich irgendwo ein Toter liegen? Oder bekomm ich's jetzt mit 'nem Zombie zutun. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, auch wenn die Aussichten auf eine Zombieapokalypse ihr doch - innerlich - ein Schmunzeln entlockte.
Gerade, als sie sich wieder von der für unbekannt gehaltene Person abwenden wollte, fiel ihr Blick auf das längliche, spitze Ding in seiner Hand, das er gerade herausgezogen hatte. Und prompt weiteten sich die Augen der Banshee, und ihr Blick schoss hoch zu dem Seitenprofil des Fremden. Auf einen Schlag rutschte ihr das Herz in die Hose, erschrockenes Panikgefühl jagte durch ihren Körper - und diesmal nicht nur, weil sie bereits vorhersah, dass diese Person sterben würde; es war nämlich nicht nur irgendeine Person. Es war Alec Scamander. Ihr Kindheitsfreund, den sie beinahe stehen gelassen und seiner.. egoistischen Entscheidung überlassen hätte. Ohne großartig darüber nachzudenken nahm sie ihre Hände aus den Jackentaschen, sprintete los und bremste sich noch im rechtzeitigen Moment ab, bevor sie noch gegen ihn gelaufen wäre. "Alec!!!", schrie sie panisch, ihre Stimmlage rutschte um einige Oktaven höher, und im nächsten Moment hatte sie ihm instinktiv den Dolch aus den Händen geschlagen - treffsicher, sodass er aus seiner Reichweite flog und weiter neben ihm klirrend auf dem Boden aufkam. Ihr Blick glitt im Bruchteil einer Sekunde auf seinen Unterarm, nach welchem sie schlagartig fasste und die Wunden zitternd zuhielt; diese ganze Situation empfand sie als derart surreal, dass sie vor lauter Entsetzen gar nicht anders konnte, als genau so zu reagieren; bis ihre Augen direkt auf seine trafen. Zum ersten Mal nach einer gefühlten Ewigkeit stand sie ihm unmittelbar gegenüber, mit einer unglaublichen Angst und gigantischen Besorgnis in den Augen. "Was...... was TUST DU HIER?!", schrie sie ihren ehemaligen, besten Freund an; ihre Stimme bebte vor aufgebrachter Sorge um ihn. Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr er sich verändert hatte. Wie viel Zeit eigentlich vergangen war. Und dass die blanke Fassungslosigkeit das erste war, womit er sie wieder traf.

Bevor er hier her gekommen war hatte er sich lange gefragt, ob er es überhaupt tun konnte. Er vermutete, dass das jedem Selbstmörder so ging. Man überlegte hin und her, wägte ab, verwarf die Methoden. Auch Alec war es so gegangen. Obwohl er von Anfang an gewusst hatte, dass es der Dolch seines Paten werden würde, hatte er immer wieder neu darüber nachgedacht, wie genau er ihn benutzen wollte und ob er sich vorher betrinken sollte. Am Ende hatte er gedacht, dass es feige wäre sich zu betrinken und feige schnell zu sterben. Er wollte verbluten. Nicht all zu langsam, aber langsam genug. Am Ende, nachdem er die verschiedensten Wunden für sein Ableben gezeichnet hatte, hatte er beschlossen, es ganz einfach zu machen. Ein gerader Schnitt der Länge nach den Unterarm entlang. Erst links, dann rechts. Ganz einfach und so effektiv.
Er war so darin versunken seine Ärmel hochzurollen und so damit beschäftigt, dass er sowieso bald sterben würde, dass er gar nicht merkte, dass hinter ihm jemand war. Er hätte es vermutlich auch so nicht bemerkt, denn während er einen untrügbaren Sinn für Feinde hatte, immerhin war Artemis eine Jägerin, konnte er eine Banshee nicht erspüren.
Mittlerweile hatte er die Ärmel seiner Jacke nach oben gerollt. Bis über den Ellenbogen, auch wenn er erst kurz unterhalb seiner Armbeuge schneiden würde. Einen kleinen Moment wirbelte das Messer nur durch seine Finger, dann legte er es an und schnitt in dem Moment, als eine Stimme durch die Container schrillte und ihn so erschreckte, dass er nach nur drei Zentimetern zusammenfuhr und in dem Moment herumwirbelte, als ein Mädchen zu ihm stürmte und ihm das Messer aus der Hand schlug.
Im ersten Moment konnte er gar nicht nachvollziehen, was hier passierte, aber dann presste sie ihre Hand auf die Wunde und der Schmerz setzte seinen Köper quasi unter Strom. Er machte ihn wieder wach und klar, obwohl er gedacht hatte, dass er genau das wäre. Nur deshalb verstand er auch die Worte des silberhaarigen Mädchens und nur deshalb viel ihm etwas sehr entscheidendes an ihr auf. Ihre Augen. Alles andere hatte sich so verändert, aber ihre Augen waren die gleichen. "Amanda.", sagte er leise und wusste nicht, wann er sich dazu entschieden hatte ihren vollen Namen zu nennen. Er passte zu ihrer jetzigen Erscheinung einfach so viel besser als Amy. Und er passte besser zu seiner Verfassung. "Warum bist du hier?", stellte er die Gegenfrage, denn die Frage, was sie hier machte, stellte sich nicht angesichts ihrer riesigen besorgten Augen und ihrer Hand auf seinem Arm, durch deren Finger das Blut quoll. Er hatte ziemlich tief geschnitten, aber er war ein Halbgott. Er spürte nur den Schmerz, aber noch keine Schwäche. Es war das Entsetzen, die Fassungslosigkeit in den Augen seiner Kindheitsfreundin, die ihn dazu bewegte mehr zu sagen. "Lia wurde umgebracht." Drei kleine Worte, aber sie erinnerten ihn an einen Schmerz, der tiefer ging als die Wunde an seinem Arm und sie erinnerten ihn an die Wut, die er in sich trug und daran, dass er das Mädchen vor sich einmal beste Freundin genannt hatte, aber nicht mehr nennen konnte, weil er zwei Jahre an einem fremden Ort gelebt hatte und weil er die zwei Jahre danach damit verbracht hatte, andere Halbgötter zu finden und zu töten oder ihnen eine Warnung zukommen zu lassen. Oder eben in der Schule und beim zeichnen. Es machte ihn nur noch wütender, aber er zeigte es nicht. Stattdessen nahm er, ganz sanft, ihre Hand in seine, löste sie bestimmt von seinem Arm und schloss sie. "Tut mir leid Amy, aber du musst gehen." Seine Stimme war leise, sein Lächeln sanft, seine Augen tief traurig. Sie hatte sich so sehr verändert. Sie war irgendwie sie selbst geworden, zumindest hatte er dieses Gefühl, denn sie strahlte etwas aus, das sie wunderschön machte und es tat ihm schrecklich weh, dass er das bei ihr nicht mit erlebt hatte. Und dass er es bei seiner Schwester nicht mehr beobachten konnte. Innerlich wünschte er Amy viel Glück in ihrem Leben und er hoffte das jeder, der in ihrem Leben war, wusste, wie glücklich er sein konnte.

Amanda. Es versetzte ihr einen unangenehmen, kleinen Stich ins Herz, als er sie bei ihrem vollen Namen nannte. Dieser Umstand brachte so etwas befremdendes mit sich, dass sie ihn damals sicherlich dafür gezwickt hätte - aber nun waren sie keine Kinder mehr. Sie waren nicht mehr die kleinen, süßen Freunde, die sich bevorzugt draußen aufgehalten hatten. Der stillschweigende Kontaktabbruch war genau so plötzlich gekommen wie ihr jetziges Wiedersehen. Und Amy hatte nie den Grund dafür erfahren, doch daran verschwendete sie gerade keinen einzigen Gedanken. Viel mehr war sie auf die Gegenwart fixiert, die im Moment nicht sehr rosig ausgesehen und ihr einen enormen Schrecken eingejagt hatte. Und es ergab sich als etwas viel schlimmeres als eine Wasserleiche. Der Selbstmordversuch ihres Kindheitsfreundes. Die 17 Jährige konnte sich nicht einmal die Frage stellen, ob das der Grund war, warum sie ihr Wesen hierher getrieben hatte; die blanke Besorbnis saß noch viel zu tief in ihren Knochen, und es brauchte niemand Schlauen, um das in ihren Augen zu erkennen. Man erkannte es praktisch an ihrer kompletten Gestik, an ihrer kompletten Körperhaltung. "Ich.. ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber das ist auch scheiß egal!", entgegnete sie überfordert stammelnd - denn das entsprach tatsächlich der Wahrheit, sie wusste es nicht. "Wie-wieso.. wieso tust du das??", fügte sie sofort hinzu, in ihrer Stimme klirrte pure Besorgnis und trieb sie zu vehementem Brennen in ihren Augen - Tränen des Mitfühlens. Die typische Eigenschaft für eine junge Banshee.
Sie blendete die warme, dunkelrote Flüssigkeit, die an den Seiten ihrer Finger heraus zu quollen schien, vollkommen - oder krampfhaft - aus, starrte mit aufgerissen Augen in die Seine und bemühte sich um eine normale Atmung, was allerdings ziemlich zittrig ausfiel. Doch als sie seine Worte vernahm, die der Grund für seinen Versuch gewesen waren, stockte ihr abrupt der Atem. Entrüstet blicke sie ihn an, ließ langsam die Schultern hängen, bis der Schock aus ihren Augen verschwand und nur noch eins zeigte: Bestürzte Trauer. Lia.... Mit Lia hatte sich Amanda immer gut verstanden gehabt, zusammen mit Alec waren sie oft auch ein ziemlich süßes Trio gewesen. Niedergeschlagenem Ausdruckes schloss Amy ihren Mund und schluckte schwer, senkte den Blick unbewusst. Und im nächsten Moment spürte sie, wie sich zwei warme, salzige Tränen aus den Augenwinkeln stahlen und an ihren Wangen hinunter liefen. Mehr regte sich in ihrem Gesicht nicht; dafür war sie viel zu bestürzt.
Deshalb nahm sie es für ein paar Millisekunden nur nebensächlich war, wie er seine Hand auf ihre legte, die sich wiederum krampfhaft um seine tiefe Wunde klammerte. Sofort glitten ihre Augen wieder zurück zu seinen, während er ihre Hand bestimmt von dieser Stelle zog und schloss. Sie spürte das Blut an ihrer gesamten Handfläche, an ihren Fingern, und das trieb sie beinahe noch zu mehr Tränen. Der Silberschopf ignorierte seine Worte einfach weg, und blinzelte schuldbewusst zu ihm hoch. "Das.. das wusste ich nicht ... ich.. Wieso.. wieso hast du mir das nicht erzählt?" Und wieso stellte sie überhaupt diese Frage? Sie war irgendwo auch selbst daran Schuld gewesen, dass sie sich kaum noch gesehen hatten. Besonders Anfang letzten Jahres. Aber... trotzdem, es enttäuschte sie, es enttäuschte sie alles. Sie konnte es gerade selbst nich begreifen, was sich zwischen sie gestellt hatte. Und das so lange. Sein sanftes, gebrochenes Lächeln aus traurigen Augen schmerzte ihr nur noch mehr. "Ich.. ich hätte für dich da sein sollen.. oh Mann.. es.. mir tut's Leid, okay? Mir tut's so Leid, so..so sehr.. du.. du hast ja keine Ahnung ich... Oh Gott", stammelte sie bedrückt und schüttelte mehrmals den Kopf, ehe ihr betrübter Blick wieder auf die Wunde fiel. "Das.. das muss jetzt.. erstmal versorgt werden, ich.. oh Gott.." Damit wurde ihr umso mehr klar, dass sein Selbstmordversuch sie härter traf als jeder Leichenfund, den sie je gehabt hatte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn sie ihn tot gefunden hätte. Wenn er die Leiche gewesen wäre.

In dem Moment in dem er es aussprach merkte er auch, dass es Amy traf. Wie auch nicht? Ihren vollen Namen hatte er praktisch nie ausgesprochen, weil es immer merkwürdig gewesen war. Er hatte es nur ab und zu getan um sie zu ärgern und gerade wollte er sie nicht ärgern. Das kindliche war von ihnen beiden abgefallen und zurück geblieben war der Schmerz der Welt der sich in ihrer beider Gesichter widerspiegelte. Er wusste nicht, was es bei ihr war, aber sie wirkte viel erwachsener als 17 und er selbst fühlte sich oft älter als 18. Immerhin hatte er keine wirkliche Jugend gehabt. Nicht in dem Sinne, in dem andere sie gehabt hatten, denn er war drei griechischen Göttern geweiht worden. Nicht von seinen Eltern, sondern von der Hebamme, denn die Götter hatten ihn auserwählt und die Aufgabe der Hebamme übertragen. Genauso war es seiner kleinen Schwester ergangen, nur, dass nicht Morpheus und Artemis, sondern Apoll und Ares sie neben Poseidon erwählt hatten. Alleine die Tatsache, dass Poseidon zwei Kinder in einer Familie direkt hintereinander erwählt hatte war unglaublich genug, aber dass sogar die Zwillinge sie unabhängig von einander für sich bestimmt hatten, war etwas, dass noch nie passiert war. Einige andere Halbgötter waren eifersüchtig auf sie beide gewesen wegen dieser Konstellation, aber Alec hatte es oft mehr als Bürde gesehen. Auf ihm lag eine schwere Last, denn Poseidon forderte viel von ihm und Artemis war enttäuscht gewesen, als sie bemerkt hatte, dass er sich ihrem jungfräulichem Schwur nicht unterwerfen konnte. Das war vor vier Jahren gewesen, aber trotzdem waren nach zwei Jahren Training beide zufrieden gewesen. Genauso wie Morpheus, aber das hatte sich schneller abgezeichnet. Deshalb träumte Alec auch so gerne. Wenn er in der Welt von Morpheus war, war alles etwas leichter. Nur im Moment nicht. Denn im Moment beeinflusste sein Unterbewusstsein seine Träume so sehr, dass sie eine Mauer gegen Morpheus Einfluss gezogen hatten, dass er nicht gegen die Alpträume, die Alec jede Nacht wach hielten, ankam. Vielleicht aber wollte er es auch nicht wirklich. Morpheus war schon immer davon überzeugt gewesen, dass er seinen eigenen Weg finden musste.
Was auch immer es war: es entfernte Alec von seinen drei Paten, trotz seiner extrem guten Ergebnisse im Training und danach auf all seinen Missionen. Er hatte zu viele davon gemacht. Er hatte zu viele Leute verletzt, umgebracht oder in Angst und Schrecken getrieben. Er wollte nicht mehr. Es reichte ihm.
"Weil ich nicht mehr kann." Die Wahrheit klirrte in seiner Kehle und in seinen Ohren, aber es war eben die Wahrheit. Er konnte das alles nicht mehr sehen und nicht mehr tun. Er wollte in die Hitze von Hades Unterwelt und weg von der Kälte dieser Stadt und des Lebens. Als er ihre Tränen sah lächelte er nur ein ganz klein wenig und fast, als wäre er sehr müde und gerade mitten in der Nacht erwacht. Es tat ihm so leid, aber jetzt war hier und er konnte nicht aufhören.
Für einen ganz kurzen Moment dachte er daran, wie schön all das Blut auf ihrer hellen Haut aussah und wie schön ihre Hand aussah, als sie seinen Arm so umklammerte und er wünschte sich ganz kurz seine Kamera um den Moment fest zu halten. Wie auch sein Vater sah er oft die Schönheit in etwas so morbidem und schmerzhaften. Aber er hatte die Kamera eben nicht dabei und er wollte sich gerade umbringen. Nur diese Hand und dieses Mädchen hinderten ihn daran und er war weder überrascht, noch wütend auf sie. Er fühlte sich nur immer müde und er wollte, dass sie ging, damit er dem ein Ende bereiten konnte. Er sah wie hart sie die Nachricht über Lias Tod traf und sie tat ihm schrecklich leid. Trotzdem konnte er erst nichts sagen oder tun. Er stand einfach nur da, ihre geschlossene Hand immer noch in seiner und sah ihr dabei zu, wie sie Anfang zu weinen.
"Natürlich wusstest du es nicht.", sagte er sanft, beruhigend und sah dann zum ersten Mal von ihr weg. Aufs Wasser und fast ratlos. "Ich wusste nicht wie.", antwortete er und sah ihr dann wieder in die Augen. "Und ich wollte dich vor dem Schmerz beschützen.", fügte er leise und sehr, sehr sanft und warm hinzu. Obwohl er sie immer noch nicht berührte war es dieser Moment, in dem er das Gefühl hatte, ihr wieder näher zu sein. Als wäre dieses Geheimnis eine Wand zwischen ihnen gewesen.
Nur war er nicht erleichtert. Er fühlte eine unbestimmte Zuneigung, wie man sie oft gegenüber alten Freunden empfindet, aber es schien ihn nicht davon abhalten zu können und jetzt wurde sein Lächeln ein wenig bitter.
"Nein. Mir tut es Leid Amy. Sehr leid. Du solltest es nicht wissen und du solltest auch nicht wissen, dass ich von dieser Welt gehen möchte.", murmelte er leise, bevor er seinen unverletzten Arm um ihre Schultern legte und sie das letzte Stück zu sich zog, bis er spürte, wie sich ihr Körper an seinen schmiegte und wie ihre Haare sich an seine Wange drückten. "Versprich mir, niemals mit irgendjemandem über das hier zu sprechen.", flüsterte er ganz leise, während er merkte, dass er jetzt doch schwächer wurde. Ihre Hand hatte das Blut etwas abgedrückt, aber jetzt schien es, als würde es nur noch schneller fließen. "Bitte geh jetzt.", sagte er sanft, bevor er sich von ihr löste und einen kleinen Schritt zurück machte. So lange sie hier war, würde er es nicht tun können und wenn er noch länger wartete, dann würde es zu spät sein. Er würde sich um entscheiden oder zu schwach sein. Ein Blick in ihre Augen und er wusste, dass es eher ersteres sein würde. Er wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, weil es ganz plötzlich da war. So plötzlich, wie der Regen aufgehört hatte und die Sonne durch das trübe Grau schien. Zumindest war ihm nicht aufgefallen, wie eines davon langsam eine Form angenommen hatte.

Wie jedes Mal, wenn Amy der Schmerz eines Toten überrumpelte, durch ihren Körper jagte wie ein paralysierender Stromschlag, brannten Tränen des Mitfühlens in ihren Augen - egal ob widerwillig. Eigentlich sträubte sie sich immer gegen diese Art von Tränen, weil sie von ihrem Wesen bestimmt wurden und einfach kamen, ohne Vorwarnung, ohne sie aufhalten zu können. Doch im Moment, und Amy wusste nicht wieso, war sie unabhängig davon - und weinte aus eigenen Kräften. Weil es sie, wirklich sie selbst, zum Weinen brachte, was sich vor ihr abgespielt hatte, und noch abspielte. Weil ich nicht mehr kann. Unweigerlich verschwamm sich ihre Sicht ein wenig, wurde von den kommenden Tränen betrübt. Nur weil sie seit drei Jahren nicht mehr miteinander gesprochen hatten, hieß das nicht, dass sie ihn hasste. Nicht mochte. Oder sonst etwas in diese Richtung. Mit diesem Wiedersehen kamen die Gefühle und Eindrücke wieder, die sie mit ihm damals geteilt hatte. Und aus irgendeinem Grund war es stärker, viel stärker. Es fühlte sich in ihrem Inneren nicht einmal nach einem Zufall an; als müsste sie hier sein. Als wurde sie tatsächlich hierher geführt. Aber, wie konnte das möglich sein? Sie war eine Banshee, sie konnte den Tod vorhersehen, spürte den Tod, wenn er gerade im Gange war, traf auf Leichen, wenn es bereits zu spät war. Sie hatte den Sensenmann nie aufhalten können, nie. Das wurde ihr immer klarer, je länger sie hier stand, je länger sie in die wunderschönen, traurigen Augen ihres Kindheitsfreundes blickte. Ihre schemenhafte, vage Vision veränderte sich, von Sekunde zu Sekunde, parallel zu dem, was er sagte, wie er reagierte, wie er sie ansah. Und komischerweise bekam sie mehrere, ungenau zu bestimmende Bilder. Schon wieder etwas, was untypisch für ihre normale Vorgehensweise als Banshee war. Aber warum?
Eins war ihr jedoch klar: Sie konnte ihn nicht sterben lassen. Und dieses Bedürfnis stellte sich über alles in ihr, sie hatte keinerlei Ahnung wie, doch es setzte sich einfach zu sehr in ihrem Kopf fest. Ihre glasigen Augen folgten jeder seiner Bewegungen, im selben Moment versuchte sie in ihrem Kopf Worte zusammenzulegen, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Wie tat man das, ohne sein Geheimnis zu verraten? Wenn er selbst nur ein sterblicher Mensch war, der von den ganzen Mythen keinerlei Ahnung hatte, so wie Amy vor einem Jahr? Ihr war ja überhaupt nicht bewusst, dass er ein Halbgott war. Wie auch? Und ich wollte dich von dem Schmerz beschützen. Unfähig, etwas von sich zu geben, starrte sie ihn an, ließ auch die anderen Worte über sich ergehen, die Alec an sie wandte, bis er sie zu sich zog und sanft an sich drückte. Amy hatte das Gefühl, dass ihr gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Er wollte gehen, er wollte nicht mehr hier sein. Erstarrt, kraftlos wimmerte sie fast schon lautlos vor sich hin, während sie ihm so nahe war und ihre Stirn schließlich niedergeschlagen gegen seine Brust lehnte. Nein... nein... NEIN. Ihr blieb keine andere Wahl. Wenn er es wirklich beenden wollte, dann mit diesem Wissen. ".. du kannst mich nicht vor dem Schmerz beschützen..", murmelte sie brüchig, ihre blutverschmierte Hand dabei schwach schließend; das Gefühl von seinem Blut an ihrer Hand löste ein widerliches Ziehen in ihrer Brust aus. Und auf das Versprechen, das er ihr abringen wollte, stiegen die Tränen erneut auf. "Nein, Alec.. bitte... bitte tu das nicht..", schluchzte sie verloren und blinzelte zu ihm hoch, als er sich von ihr gelöst hatte. Sie bemerkte, wie er schwacher geworden war, dass die Blutung schneller erfolgte. Er würde sterben, und sie müsste dabei zusehen. ....oder... doch nicht? In dem Moment, als er sie ansah, verschwanden alle schemenhaften, brüchigen Visionen in ihrem Kopf, fegten ihren Kopf leer. Es war weg. Das Gefühl von Tod in ihrer unmittelbaren Nähe. Es war... einfach weg. Sofort weiteten sich ihre Augen, ihr Blick schoss zu ihm. "Nein! Nein, du wirst nicht sterben, hörst du?? Ich hab's gesehen... ich..", sie schluckte schwer, bevor sie die Distanz zwischen ihnen überbrückte und sich schon hektisch daran machte, ihre graue Jacke auszuziehen. "Das einzige, was du mit deinem Selbstmord getan hättest, wäre mir wirklich Schmerzen zuzufügen.. Schmerzen eines riesen Verlustes die womöglich.. ein verdammt großes Ausmaß gehabt hätten..", redete sie mit zittriger Stimme weiter, während sie ihren Arm aus dem grauen Ärmel zog und den dicken Stoff zwischen ihre Hände nahm. "Ich weiß nicht wie das.. wie das möglich sein kann", sprach die 17 Jährige weiter, nahm sich ohne Weiteres die Freiheit, ihre Jacke fest um die Wunde zu binden, aus der schon so viel Blut seinen Arm entlang gelaufen war, "aber.. du wirst nicht sterben. Ich..", ihr Atem stockte, als sie das festhielt, was in ihrem Kopf einschlug wie eine Bombe, nachdem sie den Knoten fest zuzog. "Ich hab's.. verhindert." Es war ein fassungsloses Hauchen gewesen. Und auch wenn sie damit rechnete, dass er kein Wort verstehen würde, war es für sie etwas so unfassbares, dass sie erst einmal innerlich verarbeiten musste. Doch lenkte sie das nicht vom Wesentlichen ab. "Das muss genäht werden. Sofort." Und damit wirbelte sie herum und suchte den Hafen mit ihren Augen nach einem Taxi ab, während sie sich schon dafür bereit hielt, ihr Handy zu zücken und einen herzubestellen.

Er wusste ja, dass er ihr gerade weh tat, denn immerhin war da immer noch dieses Band zwischen ihnen beiden. Dieses Band, das Jahre lang irgendwie gehalten hatte, obwohl sie seit drei Jahren praktisch keinen Kontakt mehr gehabt hatten. Im ersten Jahr hatte er es noch irgendwie durch Briefe aufrecht erhalten können, aber dann war es zu viel geworden und er hatte sie nicht ständig anlügen wollen. Wenn er jetzt blieb würde er das allerdings wieder tun müssen. Sie würde in seiner Nähe sein wollen, wie alle, die einen Selbstmord verhinderten, weil sie sehen wollten, wie es dem anderen ging und er würde sich wieder davon schleichen müssen. Noch eine Bürde, die er nicht auf sich nehmen wollte. Nicht bei ihr und bei niemand anderem auf dieser Welt. Deshalb war seine Schwester auch so unglaublich wichtig gewesen, denn niemand anderes verstand das alles. Sie hatte also die Einsamkeit verhindert und jetzt war sie weg.
Alec konnte spüren, wie es Amanda an seiner Brust schüttelte, bevor sie sich einfach dagegen sinken ließ. Ich weiß wie schwer das ist... und es tut mir so leid.., dachte er bei sich, bevor er etwas zu ihr runter sah bei ihren Worten. "Ich hab mein Bestes getan..", sagte er leise und lächelte niedergeschlagen. Er hatte wirklich sein Bestes getan, aber es hatte nicht gereicht. Sie war hier und es würde sie nur noch mehr treffen. "Amy.. bitte...", murmelte er und sah ihr so fest in die Augen, wie er konnte. Sie musste doch verstehen, dass es nicht wirklich in ihrer Hand lag. Dass sie nicht wirklich etwas tun konnte, weil sie es nie verstehen würde. Dachte er zumindest, aber dann begegnete ihr Blick seinem und etwas in ihrem Blick sagte ihm, dass da wirklich etwas in der Luft lag. Für ihn war es ein unbestimmtes Gefühl. Erst in seinem Kopf, dann in seiner Brust und schließlich in seinem ganzen Körper. In dem Moment, in dem er es dachte, sprach sie es schon aus. Du wirst nicht sterben. Er atmete ein kleines bisschen schwerer. Nein ich werde nicht sterben. Aber woher wusste sie das? Sie kam wieder näher, aber Alec war unfähig sich zu bewegen. Auch nicht, als sie die Jacke auszog und immer mehr redete. Erst in dem Moment, in dem sie die Jacke um seinen Arm band und die letzten drei Worte hauchte, machte es Klick bei ihm. Sie hatte seinen Tod nicht gesehen, sondern gespürt und sie war nicht zufällig hier, sondern weil sie geleitet wurde. Und sie hatte es verhindert. "Amy..", murmelte er, aber sie schien ihn nicht wirklich zu hören, sondern suchte weiter nach einem Taxi, weshalb er sie am Arm fasste und sanft zu sich drehte um ihr in die Augen zu sehen. "Amy es muss nicht genäht werden.", sagte er bestimmter. Zum Glück stand er noch immer in der Nähe des Hafenbeckens, denn langsam viel es ihm sogar schwer zu stehen. Es war also eine Erleichterung für ihn, als er in die Knie sank, die Jacke von seinem Arm löste und die Finger knapp über das Wasser hielt. Gerade so, dass er es nicht berührte. Es dauerte auch nur ein klitzekleines bisschen länger als sonst, bevor das Wasser anfing zu sprudeln, sich eine kleine Fontäne löste und über seinen Arm kroch. Das Wasser folgte einfach der Spur seines Blutes, bevor es die tiefe Wunde erreichte. Auch das schließen der Wunde dauerte länger als sonst, aber schließlich sah man nur noch eine kleine Narbe und das Blut an seinem Arm. Auch seine Kraft war wieder zurück gekommen und für einen Moment konnte er nicht fassen, was hier gerade passiert war. Er war mit der festen Absicht hier her gekommen, sich umzubringen. Kurz bevor Amanda aufgetaucht war und es verhindert hatte. Amanda.. die Seele aus dem Jenseits. Eine Banshee. Kein Wunder, dass er sie nicht gespürt oder gehört hatte. Vorsichtig stand er wieder auf und drehte sich zu ihr um, ehe er nickte. "Ja du hast es verhindert.", murmelte er und lächelte ein kleines bisschen, ehe er seine Jacke auszog und ihr sanft über die Schultern legte. Es regnete zwar nicht mehr, aber hier in New York war es im Moment immer noch kalt und ihre Jacke war komplett mit seinem Blut verschmiert. Noch immer war er irgendwie völlig ruhig. Es schien so, als hätte keine seiner Entscheidungen etwas an seiner Art geändert und in gewisser Weise stimmte das auch, aber tief in sich drin spürte Alec noch etwas. Den Wiederhall seiner geweihten Herkunft. Den Wiederhall der Götter und er spürte den selben bei Amanda. Bevor er wirklich darüber nachgedacht hatte, hatte er sie schon in seine Arme gezogen. Wieder ganz sanft und so locker, dass sie jeder Zeit gehen könnte. "Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was du bist.", murmelte er in der Nähe ihres Ohres.

Seine sanfte Bewegung, sie an ihrem Arm wieder zu ihm zu drehen, ließ sie in ihrem kleinen Redeschwall, ein Taxi finden zu wollen, innehalten. Augenblicklich verstummte Amy und sah ihm von seiner Hand, die ihren Arm sanft festhielt, in seine Augen. Sie schob ihr Handy das kleine Stück, das sie bereits rausgezogen hatte, wieder zurück in die Hosentasche. Amy, es muss nicht genäht werden. Für einen Augenblick wandelten sich ihre Gesichtszüge und sie starrte ihren Gegenüber verwirrt an, ehe er seine Hand von ihrem Arm löste und sich, dem Wasser zugewandt, auf die Knie sinken ließ. Die Frage nach dem was hat er vor schoss ihr unwillkürlich durch den Kopf, irritiert folgte sie seinen Bewegungen; und nach wenigen Momenten riss sie die Augen ungläubig auf. Das Wasser brodelte, bahnte sich wie aus Zauberhand seinen Weg hoch über Alecs Arm, den Fäden der Blutspur folgend, und gelangten zu dem tiefen Schnitt. Es verstrichen ein paar Sekunden, in denen Amy gebannt dem Wasserspiel zuschaute, bis sich die Wunde schloss und nichts als die Blutspuren über seinem Unterarm übrig waren. Vor lauter Staunen hatten sich Amys Lippen einen Spalt geöffnet; und wenn sie jetzt rückblickend an ihren Privatunterricht dachte, klapperte sie alle möglichen Wesen ab, um das zu erklären. Ihrer Intelligenz und dem dazugehörigen Scharfsinn war es zu verdanken, dass sie eins und eins zusammenzählte, mit dem Wissen aus ihrem Geschichtsbuch, das sie gefühlte tausend Mal hatte lesen müssen, und der Tatsache, dass sie schon einmal einen Halbgott getroffen hatte, darauf kam. Und das brachte sie noch um ein Weiteres zum Staunen. Kontrolle und Macht über das Wasser. Geweiht vom Gott des Meeres. Poseidons Träger.
Die Jacke, die Alec ihr um die Schultern legte, riss sie aus ihrer Starre. Dagegen protestieren konnte sie nicht, dafür war sie im Augenblick auch.. zu sprachlos. Wie klein die Welt doch manchmal war. Sie war die ganze Zeit über mit einem Halbgott befreundet gewesen, und hatte es nie gewusst. Das musste auch der Grund sein, warum sich ihr Gelaber für ihn nicht nach irrsinnigem Quatsch angehört hatte. Im Moment bekam sie so viele verschiedene Eindrücke von ihrer Umwelt, dass sie einfach nur noch erleichtert ausatmete, als er sie erneut in seine Arme gezogen hatte. Jetzt war ihr so einiges klar, warum ihre Freundschaft in den letzten Jahren so gelitten hatte. Jeder hat seine Geheimnisse. Schwach, und doch mit der nötigen Festigung, die ausdrücklich zeigte, dass sie bei ihm sein wollte, schloss Amy ihre Arme hinter seinem Rücken und lehnte ihren Kopf an die Brust ihres Kindheitsfreundes. Schnell zog sie ihre saubere Hand zu sich hoch und wischte sich die kleinen Tränen weg, die sie zum verräterischem Schniefen gebracht hatten. Sie war gerade so heilfroh, dass sie seinen Selbstmordversuch hatte verhindern können - egal wie das geschehen war, sie einfach nur froh. "Schon.. schon okay, ich wusste ja auch nicht was.. du bist", erwiderte sie leise, hob schließlich den Kopf und lächelte ihn herzzerreißend erleichtert an. "Ich... es ist schön dich wieder zu sehen.." Und überhaupt die Chance gehabt zu haben, dich wieder sehen zu können. Dieser Gedanke machte sie schon wieder schrecklich emotional, weshalb sie schnell ihre Hände zu sich zog und sich gerade über das Gesicht wischen wollte, noch im letzten Moment ihren Kopf zurückzog. Sie hatte es nicht wirklich darauf abgesehen, sich sein Blut in ihr Gesicht zu schmieren; ungern wollte sie Alecs Blut noch weiterhin an ihren Händen kleben haben. Welch Ironie.. "Warte.." Sie löste sich kurz von ihm, ging in die Hocke, und bewegte ihr Hand spielerisch im Wasser, als würde sie darin etwas suchen. "... mann, ich will auch sowas können..", überlegte sie laut murmelnd, auch wenn in ihrer Stimme noch etwas Verklemmtheit wegen der vergangenen Situation steckte, ehe sie sich die Hand mit dem Meerwasser sauber wusch. "Ich.. ich weiß auch nicht, ich hätt's dir erzählt wenn.. wenn wir irgendwie noch.. Kontakt gehabt hätten und.. du wahrscheinlich auch", meinte der Silberschopf, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte, "aber.. Geheimnisse, was..", fügte sie noch leise bedauernd hinzu und senkte den Blick leicht. Schon übel, was sich zwischen mancherlei engen Freundschaften stellen konnte. Am Ende fand man trotzdem wieder zueinander. Auch wenn das beinahe schief gegangen wäre. Der Gedanke daran ließ sie wieder aufschauen, aus traurigen, bettelnden Augen sah sie ihn an. "Aber tu das.. nie.. nie wieder.. wirf.. wirf dein Leben nie wieder so weg, du hast.. nur eins. Egal wie.. wie schwer es wird, es.." Und schon wieder fehlten ihr irgendwie die passenden Worte, weshalb sie nur betroffen ausatmete und diesmal sie diejenige war, die ihn umarmte. "Ich will nicht, dass du gehst. Egal welche Geheimnisse du je gehabt hast, hättest, oder.. oder wir uns nie wieder richtig getroffen hätten. Ich würde nie wollen, dass du.. nicht mehr lebst."

Eigentlich war es fast ein wenig witzig, wie Amanda ihn anstarrte, als er wieder aufstand und ihr die Jacke umlegte, weshalb er sogar ein wenig schmunzelte. "Verrückt oder nicht?", fragte er leise, bevor er sie schon im Arm hielt. Er lächelte sogar ganz leicht, als sie ihre Arme um seinen Rücken legte und den Kopf an seine Brust lehnte. Er sah ein wenig zu ich, als sie spürte, wie sie sich die Tränen weg wischte und hob dann selber eine Hand um die weg zu wischen, die sie vergessen hatte. "Ist schon gut.", sagte er sanft und lächelte dann ein kleines bisschen. "Wie auch?", fragte er eher rhetorisch und konnte dann nicht anders als selber zu lächeln. Ihr Lächeln war ansteckend und.. wunderschön. Wirklich wunderschön. Vielleicht gab es doch etwas auf dieser Welt, für das es sich lohnte zu leben. "Ja.. ist es..", sagte er leise, wobei sein Lächeln ganz kurz ein kleines bisschen schwächer wurde, dann aber zurück kam. Er wusste jetzt ja, dass sie sich genauso gut in einer ganz anderen Verfassung hätten wiedersehen können. Er hätte ihr das sehr ungern angetan. Mit leicht schief gelegtem Kopf beobachtete er, wie sie die Hände hob, dann aber stockte und nickte, während er seine Hände von ihr löste. Eine Banshee... kein Wunder, dass sie so emotional gewesen war. Er fragte sich nur, wie zur Banshee geworden war. Irgendwie machte ihm der Gedanke Angst. Der Gedanke, dass sie jetzt tot wäre, wenn Hades sie nicht zurück geschickt hätte. Und auch der Gedanke daran, dass sie eine geweihte Seele war. Kein geweihter Halbgott, sondern eine Seele. Etwas, das viel zerbrechlicher war und doch viel mehr Last aushalten konnte. Bei ihrem Gemurmel lachte er kurz auf, was dann aber in ein leises Seufzen überging. "Die damit verbundenen Pflichten sind nicht unbedingt erstrebenswert.", antwortete er mit einem Blick über das Meer, bevor er wieder zu ihr sah, als sie sich das Blut dann wirklich abwusch. "Natürlich hätte ich. Aber wir durften nicht und nur aus diesem Grund ist unser Kontakt abgebrochen.", stellte er fest und nickte dann ein wenig. "Geheimnisse ja..", sagte er einfach bestätigend und beobachtete sie, als sie so den Kopf senkte. Sie hatte sich wirklich verändert. Nicht nur ihre Haare, sondern auch ihre Bewegungen. Sie wirkte wirklich noch sanfter als früher schon und Alec.. Alec hatte das Gefühl, dass er sie mit seinen Kräften und seiner Stärker jederzeit verletzen könnte. Etwas, das er auf keinen Fall wollte. Niemand sollte sie überhaupt verletzten.
Als sie ihn wieder ansah wurde sein Blick noch sanfter, bevor er sie einfach in seinen Armen auffing und sanft an sich drückte. "Ich versuche es.", murmelte er, denn im Moment konnte er es noch nicht versprechen. "ich bring dich nach Hause.", sagte er sanft, hielt sie aber immer noch fest, wobei er sich gerade soweit zurück lehnte, dass er ihr in die Augen sehen konnte. "ich weiß. Aber gerade eben ging es um niemand anderen als um mich.", sagte er leise. Er wollte sie damit nicht verletzten, was man in seinen warmen Augen lesen konnte, aber so war es nun mal. Es war nur um ihn gegangen. "Komm.", murmelte er sanft und nahm ohne lange zu zögern ihre Hand in seine, als er mit ihr los lief.

Sein Lächeln gab dem jungen Mädchen ein wenig mehr Kraft, dieses Gefühl hatte sie jedenfalls. Diese tragische Wiederbegegnung sollte nicht nur von Trauer, Leid und Schmerz bestimmt sein. Das wollte Amy nicht; sie wollte ihm den Schmerz nehmen, nur wusste sie nicht, wie sie das anstellen sollte. Den Tod eines Familienmitglieds zu verkraften war keine Selbstverständlichkeit. Doch jetzt, wo sie sich wieder getroffen haben, auf ganz schicksalhafte Art und Weise, machte es sich die Silberhaarige unterbewusst zur Aufgabe, ihn.. zum lächeln zu bringen, ihm zu helfen, den Schmerz zu überwinden und... einfach zum Leben zu verhelfen.
Sein Auflachen war schön mit anzuhören. Etwas, was sie so lange nicht mehr gehört hatte, dass es schon echt wieder traurig war. Allerdings wollte sie nicht mehr an damals denken, nur an das hier und jetzt, das sich zum Guten gewendet hatte. Augenblicklich umspielte ein kleines Lächeln ihre Lippen, bis sie die Worte des Halbgottes vernahm. Das Lächeln der Banshee verrutschte und sie presste ihre Lippen leicht aufeinander. "...sollte ich mich jetzt.. schlecht fühlen weil mich das irgendwie.. interessiert?", fragte sie nach, woraufhin ihre Augenbrauen unschuldig in die Höhe wanderten. In der Zeit, in der er seinen besagten Pflichten nachgegangen war, war so viel passiert - was man nicht zuletzt daran erkennen konnte, wie sich die Beiden vom Aussehen her verändert hatten, insbesondere sie selbst. Schon bevor sie ihre weiß-silbrigen Haare bekommen hatte, war sie auf dem Weg gewesen, ihren eigenen Stil zu finden. Dies hatte allerdings nach ihrem "Tod" zugenommen, und mit ihrer neuen Naturhaarfarbe entdeckte sie einen neuen, eigenen Scene-Look für sich. Sie entfaltete ihre Persönlichkeit, ließ sich ein Piercing stechen und fing an, sich für Kunst zu interessieren. Sie flüchtete sich aus dem Banshee-Alltag mit Graffiti Schriftzügen - mehr zeichnete sie nicht. Ihre Aufmerksamkeit, und oft auch Begeisterung konnte man mit jeder Art von Kunst gewinnen.
Natürlich hätte ich. Aber wir durften nicht und nur aus diesem Grund ist unser Kontakt abgebrochen Sie blickte ihm lange in die Augen, bevor sie das aussprach, was durch ihren Kopf ging. "Und du..wolltest nicht weiterlügen.." So kannte Amy ihn schon immer. Freunde anlügen hatte ihm nie gepasst, das hatte er auch nie nötig gehabt. Aber sein Halbgott Dasein hatte es ihm abverlangt, und dagegen konnte man sich nicht wehren. Dagegen konnte sich kein mystisches Wesen wehren.
Für ein paar Sekunden erlaubte sie es sich, die Augen zu schließen. Jetzt fiel ihr auch wieder auf, wie gern sie ihn immer umarmt hatte. Es unterschied sich rapide von anderen Umarmungen; in seinen Armen hatte sie sich schon früher pudelwohl gefühlt. Und sie wollte nichts anderes, als ihm ebenfalls dieses Gefühl zu geben. Wenn sie die letzten Jahre nicht für ihn da sein konnte, dann wollte sie das mindestens ab heute sein. Amy versprach ihm das - stillschweigend, durch eine Umarmung. Denn genau so sollte es sein. Es brauchte nicht immer Worte, um für jemanden da zu sein. Sie bemühte sich darum, nach seinen Worten möglichst flach auszuatmen, sagte allerdings nichts dazu. Klar tat es weh, so etwas zu hören. Aber sie konnte in seinen Augen erkennen, dass es rein gar nichts mit ihr zutun hatte. Dass es einzig und allein um ihn ging. Und das stimmte auch: Schlussendlich war man es immer selbst, der die letzte Entscheidung traf. Egal ob richtig oder falsch, am Ende lag es doch in seiner eigenen Hand, und nicht in ihrer. Außer jetzt. Jetzt lag ihre Hand bildlich in seiner, die sie sanft drückte, festhielt, und sich den ganzen Weg über kein einziges Mal lockerte. "Du kennst den Weg noch", stellte die Silberhaarige auf dem Weg fest und lächelte niedlicher, sanfter Überraschung.

Irgendwie war es.. angenehm sie in seiner Nähe zu haben. Sie hatte Lia auch gekannt, aber sie überschüttete ihn weder mit Mitleid, noch musste er sich um sie kümmern. Beides wäre an sich kein Problem für den jungen Halbgott, aber in letzter Zeit war das alles sehr anstrengend geworden. Er war es einfach irgendwie leid das alles immer und immer und immer wieder zu hören und durchzugehen. Ihm fehlten mittlerweile auch die Worte um auf so etwas zu reagieren, also ließ er es meistens. Da war es eine schöne Abwechslung jemanden zu haben, der einem mit so etwas nicht die ganze Zeit in den Ohren lag.
Er konnte seine Augen immer noch nicht von ihr nehmen, was aber auch sicher an ihrem Look lag. Sie hatte sich ganz schön verändert und er mochte das. Natürlich mochte er das, immerhin hatte er den gleichen Stil entwickelt. Es passte zu dem, was er selber schön fand und so war er vor allem auch neugierig auf sie. Gerade die Frage nach dem Warum. War es so etwas ästhetisches wie bei ihm? Die Musik? Rebellion? Sollte es nur zu ihren silbernen Banshee Haaren passen? Was auch immer es war: es hatte sie noch ein wenig hübscher gemacht. Sie war immer schon hübsch gewesen, aber dieser Look brachte einfach alles noch deutlicher zum Vorschein.
Bei ihrer Frage lächelte er und schüttelte den Kopf. "Nein. Aber.. ich erkläre es dir wann anders.", sagte er sanft und musste sich kurz dazu zwingen ihr nicht mit dem Finger gegen die Stirn zu tippen, wie er es früher immer gemacht hatte, wenn sie ihn so angesehen hatte. So betont unschuldig. Meistens hatte sie dann irgendetwas ausgeheckt. Und Alec hatte immer mit gezogen. Heute war er stiller und ruhiger, so lange er einfach nur er selbst sein konnte und nicht gerade auf einer Mission war.
"Du hast dich verändert.", stellte er jetzt fest, wobei sein Lächeln zeigte, dass er es mochte und es nicht im Geringsten verurteilte.
Erst ein wenig später wurde er wieder ernster und nickte langsam. "Ja genau.", sagte er leise und weich. Er hasste es sowieso zu lügen und wenn er dann noch seine Freunde anlügen musste.. es gab für ihn nichts schlimmeres. Noch so ein Grund, warum er mittlerweile in der Einsamkeit versankt. Zumindest bis gerade eben. Und auch nur, weil Amanda das Geheimnis teilte und er sie nicht anlügen musste. Er konnte ganz normal mit ihr reden ohne sich zu verstecken, zurückzuhalten oder jedes Wort dreimal hin und her zu drehen, bevor er es aussprechen konnte. Seine Freunde hatten es irgendwann gemerkt und da er sowieso kaum noch Zeit gehabt hatte, hatten sie irgendwann auch aufgehört ihn einzuladen.
Alec spürte wie sie flach ausatmete, aber er sagte auch nichts mehr dazu. Er wusste, dass sie merkte, wie er es meinte und immerhin war sie es, die ihm das Leben gerettet hatte. Oder besser: die ihn davon überzeugt hatte, dass er leben sollte.
"Natürlich kenne ich den Weg noch.", antwortete er, wobei er zu ihr rüber sah und wegen ihrem Lächeln ein wenig schmunzelnd musste. "Als ob ich diesen Weg und dich vergessen könnte.", fügte er hinzu und drückte ihre Hand kurz noch ein wenig fester, bevor er wieder locker ließ und weiter lief. Es war nicht all zu weit bis zu ihr, weshalb sie recht bald da waren. Alec hatte während dem Laufen nicht mehr viel gesagt, weil er einfach die Stille genoss. Vor allem die Stille neben Amanda. Die war entspannend und sanft.

Wenn Amy gewusst hätte, dass er im Inneren selbst an allerlei Gepflogenheiten von damals dachte, dann hätte sie ihren Gedankensprung ziemlich erschreckend gefunden. Denn als er meinte, ih das, wofür sie sich gerade interessierte, wann anders zu erzählen, dachte sie daran, wie sie früher bei sowas einen kleinen, süßen Schmollmund aus Welpenäuglein gezogen hatte - ihre Schmollmünder haben immer gezogen; bei ihren Eltern, bei ihren Freunden, auch bei Alec. Das allerdings nur oft, nicht jedes Mal. Diese Zeiten schienen vorbei zu sein, doch tief in ihrem Herzen spürte sie, dass er an das Selbe denken müsste. An ihre Kindheitserinnerungen.
Die Banshee ließ es dabei und senkte gerade fein lächelnd den Blick, dabei locker durch ihre Haare fahrend, als sie bei seinen Worten in ihrer Bewegung leicht einfror. Du hast dich verändert. Ihre Augen glitten zurück zu seinen, und sie ließ ihre Hand parallel dazu langsam sinken. Die Tatsache, dass es ihm offensichtlich gefiel, dass sie zu sich selbst gefunden hatte, machte die Hudson ungewollt ein wenig stutzig. "Ähh.. jaa.. hat eine Weile gedauert aber.. jaa..", verließ es unbeholfen stammelnd ihre Lippen, doch zauberte es ihr ein niedliches Lächeln ins Gesicht. "Du..hast dich auch verändert.. Tunnel stehen dir echt gut", merkte sie an, als sie ihn kurz gemustert hatte, und lächelte anerkennend - und doch ein wenig schief. Damit verbarg sie, dass sie ein Fabel für Tunnel und Tattoos an Typen hatte. Sein Stil ergänzte sich seltsamerweise perfekt zu ihrem, und wenn sie sich einen weiteren Gedanken erlaubt hätte, würde sie bereits von ihrer Freundschaft abweichen.
Amy ertappte sich selbst dabei, wie ihr Lächeln eine Spur... zufriedener wurde bei seinen Worten, und sie richtete ihren Blick wieder nach vorne. Sie hatte ihn auch nie vergessen, es war nur alles einfach... schlichtweg blöd gelaufen. Die Geheimnistuerei hatte sie ebenfalls nur noch satt gehabt; es war so viel schwerer eine Freundschaft zu führen, wenn man dafür die Hälfe oder gar sein ganzes Selbst verleugnen musste. Wahre Freunde hatte Amy nicht, und sonst auch eigentlich kaum. Durch den Umstand, Privatunterricht zu bekommen, waren ihre Nahestehenden ihre Eltern, und ihre Großmutter. Und ein paar ihrer Cousins und Cousinen, denen hatte sie ihr Geheimnis allerdings ebenso wenig anvertrauen dürfen. Im Endeffekt hatte sich Amy vor jedem Verstecken müssen.
Vor ihrer Haustür angekommen ließ sie die Hand des Scamanders los, zog aus ihrer Hosentasche den Hausschlüssel heraus, wandte sich allerdings noch kurz zu ihm um und zog seine Jacke aus. Mit einem ehrlichen "Danke" gab sie ihm diese zurück, knabberte aber im nächsten Augenblick leicht auf ihrer Unterlippe rum. Wie immer, wenn sie nicht gewollt hatte, dass er schon ging. Das hatte sich nicht verändert. "Willst du nicht noch.. mit rein kommen?", fragte sie ihn, fügte noch schnell hinzu, "du warst hier schon immer Willkommen.. wir können auch schnell nach oben abhauen und.. das", dabei fiel ihr Blick bedeutungszusprechend auf die Blutspuren an seinem Unterarm, "schnell abwaschen." Sie hoffte sehr, dass er es nicht ablehnen würde. Sie wollte ihn nicht alleine lassen, und ehrlich gesagt wollte sie auch gerade selbst nicht alleine sein, nachdem sie ihren Kindheitsfreund endlich wieder dazugewonnen hatte.

Erst schien sie einfach nur anzuhalten und nicht wirklich zu wissen, wie sie das deuten sollte, aber dann sah sie doch in seine Augen. Trotzdem schien sie nicht so komplett überzeugt, weshalb sein Lächeln ein bisschen tiefer wurde. "Es steht dir. Sehr sogar.", meinte er und legte etwas den Kopf schief. Es passte so gut zu ihr. Es war fast normal. Als hätte sie schon immer genau so ausgesehen und er würde es nur wieder neu entdecken. Eigentlich war es verrückt. Bestimmt lag es auch daran, dass es seinem eigenen Stil entsprach. Was auch immer es war: er sollte nicht zu viel darüber nachdenken. Schmunzelnd legte er den Kopf schief und zuckte dann etwas die Schultern. "Ich hab ziemlich lange hin und her probiert, bevor ich es wirklich gemacht hab, aber jetzt finde ich es super.", antwortete er lächelnd und zeigte auf ihre Lippenpiercing. "Das steht dir auch echt super.", gab er das Kompliment lächelnd zurück. Er sollte aufhören sie anzusehen, sonst fand er noch mehr.
Es war fast schon surreal, dass er sich noch vor kurzem hatte umbringen wollen, weil er keinen Sinn mehr darin gesehen hatte zu leben und jetzt mit ihr hier stand und einfach redete. Er wusste auch gar nicht, ob es wirklich einen Grund dafür gab. Vielleicht hatte er es doch nicht so sehr gewollt, wie er gedacht hatte oder vielleicht war sie der Grund dafür. Oder beides zusammen. Er hatte sich umbringen wollen um zu entkommen, weil er einsam war, weil er den Göttern eins auswischen wollte. Jetzt da Amanda vor ihm stand, kamen ihm diese Gründe fast kindisch vor. Er war nicht einsam. Sie war wie er und trotzdem half sie ihm dabei, zumindest über eine gewisse Zeit, zu entkommen. Vielleicht war sie wirklich ein sehr guter Grund um sich nicht umzubringen.
Er war mitten in seinen Gedanken, während sie liefen, weshalb sein Lächeln etwas tiefer wurde und er sich kurz wunderte, als sie vor der Haustür ankamen. Trotzdem lächelte er weiter und nahm ihr langsam die Jacke wieder ab, hielt ihre aber noch fest. "Mum reinigt die für dich.", versprach er, immerhin klebten och immer sein Blut daran und so wollte er sie ihr nicht geben. Ganz kurz wollte er sich verabschieden, aber dann sah er, wie sie sich auf die Unterlippe biss und begann ein kleines bisschen zu grinsen. Als ihre worte folgten wusste er dann auch wirklich, dass sie eben immer noch irgendwie die gleiche war. "Bekomm ich einen Kaffee?", fragte er zum Scherz, wurde dann aber ernster und nickte. "Okay.", sagte er warm, hängte die Jacke so über seinen Arm, dass man das Blut nicht mehr sah und lief dann hinter ihr über die Treppen in die Wohnung. Hier zumindest hatte sich kaum etwas verändert. Er kannte sich sofort wieder aus und fühlte sich auch tatsächlich gleich wieder heimisch. Besonders, als er die vertrauten Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte.